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25 Jahre Ötzi – der "Mann aus dem Eis"

Vor genau 25 Jahren machten Wanderer in den Ötztaler Alpen einen sensationellen Fund: Sie entdeckten einen vom Eis konservierten prähistorischen Toten: "Ötzi", wie der Mann aus dem Eis seither genannt wird. Seine gut 5.000 Jahre alten Überreste geben uns heute einen einzigartigen Einblick in sein Leben und seine Zeit – aber werfen auch viele Fragen auf.

Das Tisenjoch, Fundort der Gletschermumie „Ötzi“ in den Ötztaler Alpen
Es ist der 19. September 1991 – ein sonniger Tag in den Südtiroler Alpen. Die deutschen Urlauber Erika und Helmut Simon sind auf dem Rückweg von der Finailspitze, einem Gipfel in den Ötztaler Alpen. Bei ihrem Abstieg verlassen sie den markierten Weg und machen dabei in einer mit Schmelzwasser gefüllten Felsmulde einen grausigen Fund: eine Leiche. Deutlich sind der Hinterkopf, die nackten Schultern und ein Teil des Rückens zu sehen. Handelt es sich hier womöglich um einen schon vor längerer Zeit verunglückten Bergsteiger?

Jahrhunderte älter als Stonehenge

Nachdem der Tote aus seinem eisigen Grab in 3.210 Metern Höhe geborgen wird, ergibt eine Datierung: Der Mann aus dem Eis ist mehr als 5.000 Jahre alt. Als er starb, waren der Steinkreis von Stonehenge in England und die Cheopspyramide in Ägypten noch nicht gebaut. "Ötzi" ist damit eine echte Sensation. Denn er gehört zu den ältesten bekannten Mumien überhaupt – und keine andere ist so gut konserviert wie er.

In den letzten 25 Jahren wurde kaum ein Toter so gründlich und wiederholt untersucht wie die Eismumie Ötzi. Seine Kleidung, sein Körper und seine Gene bieten Forschern eine einzigartige Chance, mehr über ihn und die Menschen zu erfahren, die in der Kupferzeit in den Alpen lebten. Gleichzeitgig aber ist Ötzi auch der wahrscheinlich älteste ungelöste Mordfall der europäischen Vorgeschichte.

Naturalistische Rekonstruktion Ötzis im Südtiroler Archäologiemuseum in Bozen

Südtiroler Archäologiemuseum / A. Ochsenreiter

Rüstiger Senior mit Wehwehchen

Wir wissen heute, dass Ötzi bei seinem Tod etwa 45 Jahre alt war – er gehörte damit schon zu den Senioren seiner Zeit. Der 1,60 Meter große, sehnige Mann mit langem Haar und braunen Augen war aber dennoch recht rüstig. Zwar hatte er schlechte Zähne, litt an Darmparasiten und vielleicht einem Magengeschwür, dennoch schaffte er es immerhin in diese unwirtliche Höhe.

Ötzi war zudem für eine längere Wanderung und einen Aufenthalt in den Bergen gut ausgestattet. Seine Kleidung war warm und schützte vor Regen und Wind, Ein Feuersteindolch und ein Kupferbeil dienten ihm als Waffen und Werkzeuge zugleich. Pfeil und Bogen halfen ihm, Reiseproviant zu erjagen. Eine Rückentrage mit einem Gestell aus einem gebogenen Haselzweig diente als Rucksack.

Forscher fanden am Körper insgesamt 61 Einzeltätowierungen. Sie gelten ältesten bisher bekannten Tätowierungen.

Südtiroler Archäologiemuseum /EURAC/Samadelli/Staschitz

Tätowierungen und ein Kupferbeil

Für Rätsel sorgen die vielen Tätowierungen des Gletschermannes. Insgesamt 61 mit Holzkohle eingefärbte Linien und Kreuze wurden auf Ötzis Haut entdeckt. Viele liegen in der Nähe der Gelenke, aber auch auf der Brust war Ötzi mit solchen Tattoos geschmückt. Welchen Zweck sie hatten, weiß man nicht. Sie könnten eine rituelle Bedeutung gehabt haben. Vielleicht sollten die Ritzungen aber auch schmerzlindernd wirken – ähnlich wie Akupunktur.

Ebenfalls spannend ist das Kupferbeil, das Ötzi bei seinem Tod bei sich trug. Denn Kupfer war damals ein begehrtes und wertvolles Material, das sich nur Clanführer, Herdenbesitzer oder Schamanen leisten konnten. Der Gletschermann war daher wahrscheinlich kein armer Wanderhirte. Auch auf der Flucht war er wohl nicht: Sein Mageninhalt verrät, dass er bei seiner Wanderung mehrere ausgiebige Essenspausen einlegte.

Der Besitz eines wertvollen Kupferbeils macht es wahrscheinlich, dass Ötzi ein Angehöriger der Oberschicht war.
Was wollte Ötzi im Gebirge?

 Aber warum war Ötzi dann so weit oben im Gebirge unterwegs? Diese Frage ist bis heute ungeklärt. Ein Händler oder Erzsucher war der Gletschermann wohl nicht, dafür fehlte ihm die typische Ausrüstung. Ötzi könnte aber ein Schamane gewesen sein, der in dieser Gletscherregion nach spiritueller Inspiration suchte oder ein Ritual durchführen wollte. Dafür könnten die Tätowierungen sprechen. Er könnte aber auch einfach nur auf der Jagd gewesen sein – wir wissen es einfach nicht.

Mehr ist dagegen über die Herkunft des Gletschermannes bekannt. Analysen seiner Ausrüstung und seine Knochen sprechen dafür, dass der Mann aus dem Eis aus dem südlichen Alpenraum stammte. Vor seinem Tod lebte er mindestens zehn Jahre im Vinschgau – einer Gegend unmittelbar südlich der Ötztaler Alpen. Sein Mutter gehörte einem Bergvolk an, das heute ausgestorben ist. Ötzi hat daher zumindest mütterlicherseits heute keine Verwandten mehr.

Wie starb der Gletschermann?

Ötzis wahrscheinlich größtes Geheimnis ist sein Tod: Klar ist eigentlich nur, dass er durch Mord oder Totschlag starb. Denn der Mann erlitt kurz vor seinem Tod gleich mehrere schwerwiegende Verletzungen. Zuerst traf ihn ein Pfeil von schräg hinten in die Schulter und verletzte dabei eine große Schlagader. Allein an dieser Wunde könnte Ötzi innerhalb von Minuten gestorben sein.

Zusätzlich aber erlitt Ötzi auch schwere Schädelverletzungen. Ihn traf von frontaler Schlag auf den Kopf, worauf er nach hinten umfiel und sich den Schädel am Boden anschlug. Reste von Blut im Schädel sprechen dafür, dass der Gletschermann dadurch ein schweres Schädel-Hirn-Trauma – das ebenfalls die Todesursache gewesen sein könnte.

Rätselhaft ist dann aber, warum die Eismumie bei ihrem Fund nicht auf dem Rücken lag, sondern auf dem Bauch. Einige Archäologen vermuten, dass sein damaliger Angreifer am dieser ungewöhnlichen Lage schuld ist: Er könnte den toten Ötzi umgedreht haben, um seinen Pfeil aus dessen Schulter zu ziehen. Tatsächlich ist die Pfeilspitze abgebrochen, der Schaft fehlt. Doch trotz aller Hypothesen: Woran der Gletschermann tatsächlich starb, bleibt bis heute sein Geheimnis – ein ungelöster Mordfall unserer Vorgeschichte.

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