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Vivaldis Vier Jahreszeiten: Virtuose Tonmalerei

Warum sind Vivaldis »Vier Jahreszeiten« so beliebt?

Das ist sicher der programmatischen Bildhaftigkeit wie der mitreißenden Musikalität dieser Violinkonzerte zu verdanken. Darüber hinaus sind sie aber auch unbestrittene Meisterwerke des italienischen Concertos. Von den fast 230 vollständig überlieferten Violinkonzerten Antonio Vivaldis (1678–1741) sind 48 in neun Sammlungen (op. 3-12) veröffentlicht. Das op. 8 dieser Sammlungen, das sich unter der rätselhaften Überschrift »Il cimento dell' armonia e dell' invenzione« (»Die Bewährungsprobe von Harmonie und Erfindung«) vorstellt, umfasst zwölf Konzerte, von denen einige programmatische Titel tragen: unter ihnen »Le quattro stagioni« (»Die vier Jahreszeiten«), jene vier Violinkonzerte, die zur Wiederentdeckung des Komponisten im 20. Jahrhundert besonders beitrugen. »Die vier Jahreszeiten«, die um 1725 entstanden und am 7. Februar 1728 in Paris uraufgeführt wurden, bestehen aus den Konzerten E-Dur, »Der Frühling« (RV 269), g-Moll, »Der Sommer« (RV 315), F-Dur, »Der Herbst« (RV 293) und f-Moll, »Der Winter« (RV 297).

Wie gestaltet der Komponist das Thema?

Antonio Vivaldi dürfte die musikalische Deskription der vier Jahreszeiten so weit getrieben haben wie kein anderer. Nicht nur, dass er seinen vier Violinkonzerten eigene Sonette auf die Jahreszeiten voranstellt, er setzt zudem vor etliche Verszeilen Buchstaben und überträgt sie auf konkrete Stellen in der Partitur. So ergibt sich etwa für den ersten Satz des »Sommers« folgende Einteilung: A: Mattigkeit durch Hitze, B: Der Kuckuck, C: Die Turteltaube, Der Stieglitz, D: Sanfte Zephire, Der Nordwind, E: Klage des Hirten; für den zweiten Satz: F: Fliegen und Bremsen, Donner; für den dritten Satz: G: Stürmisches Sommerwetter. Ähnliches begibt sich im »freudenreichen Frühling«, bei »der reichen Ernte Freuden« im Herbst und beim »heulenden Wind« des Winters.

Welche Form wählte der Musikkünstler?

Vivaldi versteht es, diese Tonmalerei ohne Abschweifungen ins Fantastische an die Form des italienischen Concertos zu binden. Er vereint in seinen programmatischen Concerti virtuose Gestik mit rhythmischer Prägnanz, lyrische Intensität, rustikale Vitalität und dramatische Attacke mit variantenreicher Orchestrierung – nicht zu vergessen die instrumentale Raffinesse bei der Imitation der Naturlaute. In über der Hälfte seiner Werke bevorzugte er die neue Form des dreisätzigen Instrumentalkonzerts in der Abfolge schnell – langsam – schnell.

War der Venezianer der Erfinder des Concertos?

Nein, Vivaldi war nicht der »Erfinder« des Concertos, des Instrumentalkonzerts – hier wäre eher Giuseppe Torelli zu nennen. Aber er gab ihm eine klare Struktur mit dramatischen Spannungselementen zwischen Solo und Tutti. So wechseln sich in den Ecksätzen vier oder fünf Orchesterabschnitte (Ritornelle) mit drei oder vier Soloteilen ab, ein Aufbau, der zu Kontrastierungen reichlich Gelegenheit gibt. Dagegen beschränkt sich im Mittelsatz das Orchester gelegentlich so sehr auf seine Begleitfunktion, dass nur noch ein Continuo das lyrische Melos des Soloinstruments unterstützt. Dieses Melos erinnert oft an eine Opernarie, die Ritornelle der Ecksätze hingegen nehmen meist Rondo-Charakter an. In den europäischen Musikzentren fand diese Form des italienischen Instrumentalkonzerts großen Anklang.

Wie kam »der rote Priester« dazu, ein Mädchenorchester zu dirigieren?

1703 wurde Antonio Vivaldi 25-jährig zum Priester geweiht und kam als Kaplan an die Kirche S. Maria della Pietà. In dem dort angegliederten Ospedale della Pietà, einem Konservatorium für Waisenmädchen, konnte er, von allen wegen seiner Haarfarbe »il preto rosso« (der rote Priester) genannt, bald seiner eigentlichen Berufung als Musiker und Violinvirtuose nachgehen. Er ließ sich von seinen liturgischen Pflichten entbinden und war von 1704 bis 1740 als Leiter des Mädchenorchesters, Violinlehrer und Komponist am Ospedale tätig. Der 1678 in Venedig geborene Vivaldi, der älteste Sohn von neun Kindern eines geigespielenden Barbiers, bedachte sein Instrument in seinen Kompositionen gern mit solistischen Aufgaben. Vivaldi starb 1741 verarmt in Wien, wo er seinem glanzvollen Künstlerleben nach einem Popularitätseinbruch in seiner Heimat einen neuen Aufschwung geben wollte.

Wussten Sie, dass …

Vivaldi auch zahlreiche Opern schrieb? Über 50 sollen es gewesen sein. Heute so gut wie vergessen, waren sie zu seinen Lebzeiten sehr beliebt. Er dirigierte 1724 zwei davon vor dem Papst in Rom.

Johann Sebastian Bach ein großer Bewunderer von Vivaldi war? Dann sollte der italienische Komponist für lange Zeit in Vergessenheit geraten. Erst im 20. Jahrhundert wurde seine große Kunst wieder gebührend gewürdigt.

Der Tonga-Vulkan am 15. Januar 2022 um 5.40 Uhr Weltzeit, etwa 100 Minuten nach dem Beginn des Ausbruchs (Erde: rechts unten, Vergrößerung links). Das Foto stammt vom japanischen Satelliten Himawari-8.
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