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Die Milch ist schuld?

Im Nachkriegsdeutschland galt Milch als äußerst gesundes Lebensmittel: reich an Kalzium und Vitaminen und dabei sehr bekömmlich. Doch die Zeiten ändern sich. Heute gilt Milch als Hauptverdächtige sobald der Magen grummelt und rumort. Inzwischen gibt es laktosefreie Milch, laktosefreien Käse, ja sogar laktosefreie Globuli. Immerhin leben in Deutschland rund 12 Millionen Menschen, die Probleme bei der Verdauung von Milchzucker haben. Längst hat auch die Nahrungsmittelindustrie das weite Feld der Allergien und Unverträglichkeiten für sich entdeckt, denn viele der Betroffenen sind bereit, einen höheren Preis zu bezahlen für Lebensmittel, die speziell auf sie zugeschnitten sind.
von wissen.de-Autorin Katja Schmid, August 2013

Bauchweh
Fotolia.com/J.C. Marlaud / Jesse Barrow
Ebenfalls zur Zielgruppe gehören all jene, die Milchzucker zwar problemlos vertragen, aber denken, laktosefreie Produkte seien gesünder. Einer Stichprobe der Verbraucherzentrale Hamburg zufolge liegt der Preisaufschlag für 'laktosefreie' Produkte bei durchschnittlich 140 Prozent, in Einzelfällen bei 266 Prozent. Und so prangt das Lockwort 'laktosefrei' sogar auf Lebensmitteln wie Mozzarella, Emmentaler und Schinken, die von Haus aus 'laktosearm' bzw. 'streng laktosearm' oder gar 'laktosefrei' sind. Wobei auch 'laktosefreie' Lebensmittel bis zu 10 mg Laktose pro 100 g enthalten dürfen. Zum Leidwesen der ernsthaft Betroffenen sind Hersteller bislang nicht verpflichtet, den genauen Laktosegehalt auf der Verpackung anzugeben. Da hilft bislang nur eins: Zutatenliste genau studieren und vor allem die individuelle Toleranzgrenze herausfinden, denn selbst bei einer nachgewiesenen Unverträglichkeit können kleinere Mengen Laktose meist problemlos verdaut werden.

 

Vom Normalzustand in den Ausnahmezustand

Laktose ist der in Milch und Milchprodukten enthaltene Milchzucker. Er ist ein so genanntes Disaccharid, also ein Zweifachzucker, der bei der Verdauung mithilfe des Enzyms Laktase in die beiden Einfachzucker Galaktose (Schleimzucker) und Glukose (Traubenzucker) aufgespalten wird. Dieser Prozess findet im Dünndarm statt. Fehlt das Enzym oder wird es blockiert (z.B. durch Sorbitol), gelangt der Milchzucker in den Dickdarm und wird dort von Bakterien vergoren. Das kann zu Völlegefühl, Blähungen, Krämpfen, Erbrechen und wässrigen Durchfällen führen. Bleibt der Laktasemangel symptomfrei, spricht man von einer Malabsorption. Erst wenn es zu Verdauungsproblemen kommt, spricht man von einer Intoleranz.

Je nach Alter und Veranlagung bildet der menschliche Körper mehr oder weniger Laktase. Am höchsten ist die Laktaseproduktion bei Säuglingen, nach dem Ende der Stillzeit nimmt sie stetig ab. Dass Erwachsene Milchzucker schlecht vertragen, ist also der Normalzustand. Nur in Nordeuropa und in Nordamerika kann ein Großteil der Erwachsenen Milchzucker verdauen. Grund ist eine Genmutation, die vor ca. 8.000 Jahren erstmals auftrat, zu jener Zeit also, in der die Menschen in Europa sesshaft wurden und Milchvieh hielten. Forscher vermuten einen evolutionären Vorteil in der so genannten Laktasepersistenz: wer über das Säuglingsalter hinaus Milch verträgt, kommt besser durch den Winter und andere Mangelzeiten.

 

Nachweis von Laktoseunverträglichkeit

Für den Nachweis einer Laktoseunverträglichkeit gilt ein H2-Atemtest als Goldstandard. Andere Verfahren sind ungenau oder können falsche Ergebnisse liefern. Für den Test trinkt der nüchterne Patient eine Laktoselösung. Danach wird in regelmäßigen Abständen die Atemluft auf Wasserstoff-Partikel untersucht. Der Atemtest basiert auf der Tatsache, dass bei einem Laktasemangel der Milchzucker nicht im Dünndarm aufgespalten wird, sondern in den Dickdarm gelangt, wo durch Bakterien unter anderem Wasserstoff freigesetzt wird. Dieser gelangt über die Blutbahn in die Lunge und kann dann in der Atemluft nachgewiesen werden. Da es zahlreiche Ursachen für Verdauungsbeschwerden gibt, sollte man zur Abklärung einen Facharzt aufsuchen, zumal eine Unverträglichkeit selten allein kommt. Je nach Symptomatik wendet man sich an einen Gastroenterologen (Schwerpunkt Verdauung), an einen Dermatologen (Schwerpunkt Haut) oder an einen HNO-Arzt bzw. Allergologen (Schwerpunkt Atemwege).

 

Milchzucker vs. Milcheiweiß – Unverträglichkeit vs. Allergie

Nicht zu verwechseln mit Laktoseintoleranz ist die Milcheiweißunverträglichkeit, auch Kuhmilchallergie genannt. Die Symptome ähneln sich zum Teil, die Ursachen sind jedoch grundverschieden. Denn eine Allergie ist eine immunologische Abwehrreaktion gegen tierische oder pflanzliche Eiweiße. Milch enthält 25 verschiedene Proteine, die Allergien auslösen können (so genannte Allergene). In Europa sind Schätzungen zufolge rund zwei bis drei Prozent der Säuglinge und Kleinkinder und rund ein Prozent der Erwachsenen betroffen.

 

Therapie, laktosearme Ernährung - Alternativen zu Kuhmilch

Wurde eine Laktoseintoleranz festgestellt, sollte man sich nach Absprache mit dem Arzt zunächst möglichst laktosearm ernähren bzw. gegebenenfalls Laktasepräparate einnehmen, um eine Malabsorption zu vermeiden. Schaf-, Ziegen- oder Stutenmilch fallen als Alternative zu Kuhmilch aus, da der Laktosegehalt aller Tiermilcharten ähnlich ist. Am ehesten sind Reis-, Hafer-, Soja- oder Mandelmilch als Ersatz geeignet – vorausgesetzt, man verträgt die entsprechenden Inhaltsstoffe. Im nächsten Schritt geht es um die Verbesserung der Darmflora. Komplett auf Laktose verzichten müssen nur die wenigsten, in der Regel gibt es eine Restaktivität des Enzyms Laktase, so dass bei entsprechender Diät die individuelle Toleranz aufgebaut werden kann.

 

Einordnung der Laktosegehalte

laktosefrei < 0,01 g/100 g

streng laktosearm < 0,1 g/100 g

laktosearm < 1 g/100 g

Quelle: Lebensmittelchemischen Gesellschaft (LChG)

 

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