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Die Selbstdarstellung im Netz: Risiken und Potenziale

Die Anzahl an Apps zur digitalen Selbstdarstellung wächst stetig.

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Facebook, Instagram, Snapchat, Tinder, Twitter – Plattformen mit unzähligen Nutzern, die sich auf irgendeine Weise im Internet selbst darstellen, um irgendwelche Zwecke zu verfolgen, sind auf dem Vormarsch. Und das nicht erst seit gestern. Außerdem kommen immer mehr Apps dazu, die Menschen weltweit vernetzen. Dadurch entstehen unheimlich viele Möglichkeiten ein Bild vom eigenen Selbst schnell und mit großer Reichweite zu verbreiten. Neben dem großen Potenzial der digitalen Selbstdarstellungsmöglichkeiten sollten auch die Risiken bedacht werden.

Der gläserne Mensch

Die Bezeichnung des gläsernen Menschen wird immer treffender: viele Nutzer sozialer Netzwerke geben inzwischen so viel von sich preis, dass ihr Privatleben vollkommen transparent wird. Was George Orwell in seinem dystopischen Roman „1984“ noch als Zukunftsvision vor Augen hatte, nämlich die totale Überwachung der Bürger eines Staates, wird immer mehr zur Realität. Und zwar nicht nur, weil die staatlichen Überwachungsmaßnahmen infolge zunehmender Terrorgefahren verstärkt werden. In erster Linie auch sind es die Bürger selbst, die sich freiwillig zu Gefangenen und Überwachten machen.

Besonders kritisch wird das, wenn freiwillig vermeintlich „smarte“ Geräte in den Haushalt gelassen werden und der gesamte Haushalt vernetzt wird. Dann herrscht in keinem Zimmer mehr Privatsphäre, denn in gewisser Weise sind die Geräte schon etwas zu smart: sie verstehen fast alles, was gesprochen und gemacht wird und überwachen einen damit auf Schritt und Tritt. Nicht nur Unternehmen, sondern auch Geheimdienste und staatliche Einrichtungen profitieren davon. Und müssen nichts dafür tun. „Der Bürger“, so schreibt Adrian Lobe in einem Beitrag der Süddeutschen Zeitung mit Rückgriff auf Foucault, „wird zum Komplizen der Polizeigewalt, zum Überwachten und Überwacher in einer Person.“

Die Selbstdarstellung vor Publikum

Snapchat, YouTube und Co.

Kleinere Problemchen mit sich selbst und mit dem, was so um einen herum geschieht, hat letztlich fast jeder Mensch. Das Problem digitaler Plattformen, wie Snapchat und YouTube ist, dass sie sich als gruppentherapeutische Einrichtungen ganz einfach und bestens nutzen lassen. Die Therapie wird also aus dem Inneren in den öffentlichen Raum verlagert und man erhofft sich, dort Heilung zu erfahren. Das Problem ist dabei unter anderem die breite Palette an heterogenem Feedback. Der Empfänger der ausgesendeten Selbstdarstellungen und Botschaften ist kein Therapeut mehr – stattdessen sitzen die unterschiedlichsten Leute vor den Geräten und sagen und schreiben, was ihnen gerade so lieb ist. Wer sich den Feedbackprozessen zu stark verschreibt, beginnt, sein Selbst über die Meinungen anderer aufzubauen, statt auf sein Inneres zu hören.

Selfiewahn

Spontan geschossene Fotos, lustige Schnappschüsse und peinliche Bilder finden sich fast kaum noch auf öffentlichen Profilen. Kein Wunder, wenn einem überall Angst gemacht wird, dass der Chef einen eventuell feuern könnte, wenn ihn dieses oder jenes Partybild erreicht. Stattdessen legen User jetzt großen Wert auf die „perfekte“ Selbstinszenierung per Selfie. Aber was heißt in diesem Fall perfekt? Inszeniert man sich dadurch nicht automatisch so, wie man gerne gesehen werden möchte und nicht, wie man wirklich ist? Und was passiert, wenn die Bestätigung auf das vermeintlich perfekte Selfie ausbleibt und niemand ein Like dalässt?

Das Selfie: Die Selbstproduktion des Ichs im Leerlauf.

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Wächst dann plötzlich die Unsicherheit: Bin ich authentisch? Selbst wenn dieser erste Schritt der Selbsterkenntnis gelingt, scheint das digitale Ich noch immer in der Funktionsweise des Internets gefangen. Denn die heutzutage so moderne Forderung nach Authentizität kann wiederum zu dem narzisstischen Zwang, sich ständig selbst zu überwachen, führen. Der Berliner Philosoph Byung-Chul Han meint dazu: „Die Authentizität ist letzten Endes eine neoliberale Produktionsstrategie. Das Ich wird dem Zwang unterworfen, als Unternehmer seiner selbst permanent sich zu produzieren. Wem diese Selbstproduktion nicht gelingt, greift eben zur Rasierklinge.“ Will heißen: Findet das Produkt des Ichs im digitalen Raum keine Anerkennung, folgen oftmals Hilfs- und Ausweglosigkeit, Depression und Schlimmeres. (Wenn man nicht auf dem Weg dahin bereits durch das Selfie selbst stirbt!). Vermeiden lässt sich das nur durch Alternativen der Selbstdarstellung.

Das Potenzial des Internets nutzen

Die Selbstdarstellung im Netz, die berechtigterweise so oft einen negativen Beiklang hat, kann natürlich auch auf produktive und gesunde Weise genutzt werden. Voraussetzung dafür ist ein bewusster und reflektierter Umgang mit dem Medium.

  • Der eigene YouTube Channel muss nicht dazu genutzt werden, über die Problemchen des Selbst oder der Freundin zu sprechen oder sonstige private Dinge preiszugeben. Stattdessen bieten sich diese Kanäle beispielsweise auch an, um gesellschaftliche und politische Missstände aufzuzeigen. Viel zu selten nutzen YouTuber ihre Reichweite und mischen Unterhaltung und Anspruch. 
  • Auch das allseits aus Datenschutzgründen verteufelte Facebook lässt sich bewusst nutzen und bietet diverse Vorteile gerade hinsichtlich globaler Kommunikation. So ist es recht einfach, einen internationalen Gruppenchat zu erstellen, um beispielsweise alle Mitglieder der im Ausland lebenden Familie erreichen zu können.
  • Wer sich sein Publikum noch gezielter suchen und seine Daten keinen großen Konzernen überlassen möchte, kann sich auch von den großen Plattformen fernhalten und auf eine eigene Website zurückgreifen. Wer sich mit Wordpress und Co. nicht auskennt, kann sich mittlerweile von Experten auch ganz einfach eine eigene Website erstellen lassen. Diese lässt sich mitunter als Informationsportal, als Präsentationsoberfläche eigener Kunst oder sonstiger kreativer Einfälle nutzen.

Die Alternativen zur digitalen Selbstsuche liegen vor der Tür. In der freien Natur in sich zu gehen oder sich zu bewegen führt meist schon zu größerer Zufriedenheit.

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Alternativen zur digitalen Bestätigungssucht

Dass die Bestätigungssucht im Internet wie jede andere Sucht zu nichts als dem Verlangen nach der nächsten kurzen Befriedigung führt und dann wieder von vorne beginnt, sollte selbstverständlich sein. Die Alternativen dafür sind simpel zu verstehen, gleichzeitig aber nicht unbedingt einfach umzusetzen.

Denn oftmals gehen sie mit einer Einschränkung des bisherigen Konsum- und Produktionsverhaltens des Selbst und des Anderen im Netz einher. Das heißt: einfach mal die Kanäle abschalten. Weniger am Handy oder vor dem PC hängen und wieder mehr mit sich dem inneren Selbst und den Antworten, die sich von dort eröffnen, befassen.

Wem das durch Besinnung, Meditation oder sonstige geistesentspannende Techniken nicht gelingen will, der kann es einfach mal mit mehr Bewegung und Sport probieren. Oder sich wieder mit Freunden treffen, statt sie nur im Chat über die eigenen Probleme zu informieren. Letztlich wissen die meisten sowieso, was zu tun ist. Wenn sie nur kurz mal ehrlich zum nicht digitalen Selbst sind.

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