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Ein Mormone als US-Präsident?

von Caroline Mascher

Die Frage nach der Religion könnte zu einem entscheidenden Faktor bei dem Rennen um die US-Präsidentschaft werden.

Wie hältst du’s mit der Religion? Diese Gretchenfrage kümmert – 200 Jahre nach Goethes Faust – bei uns in Deutschland kaum noch jemanden – und schon gar nicht in der Politik. Ganz anders in den Vereinigten Staaten. Amerika ist ein zutiefst religiöses Land. Das Recht auf freie Religionsausübung ist Teil seines Gründungsmythos und die Institution Kirche wurde  hier – anders als in Europa – nie als repressiv oder als verlängerter Arm einer Staatsmacht empfunden. Im Gegenteil: Die strikte Trennung von Staat und Kirche gilt als Grundpfeiler für das Streben nach Freiheit und Demokratie. Dennoch - oder gerade deswegen – spielt die Religion in der amerikanischen Politik eine allgegenwärtige Rolle. Ein Politiker, der keiner der zigtausenden verschiedenen Kirchen und Glaubensgemeinschaften angehört, wäre hier absolut unvorstellbar. Mehr noch: Im Kampf um die Präsidentschaft könnte die Frage nach dem rechten Glauben diesmal die alles entscheidende Frage werden.
Rund 25 Prozent der amerikanischen Bürger bekennen sich laut Schätzungen zum fundamentalen Christentum, das heißt, zu einer wörtlichen Auslegung der Bibel. Zu ihnen gehören die Baptisten ebenso wie die Methodisten oder die Pfingstler, um nur einige der wichtigsten evangelischen Kirchengemeinschaften Amerikas zu nennen. Spätestens seit Ronald Reagan gilt es als ausgemachte Sache, dass diese sogenannten Evangelikalen, zu denen auch der letzte US-Präsident George W. Bush gehört, die Republikaner unterstützen. Auch unter den Anhängern der erzkonservativen Tea-Party-Bewegung finden sich überdurchschnittlich viele fundamentale Christen.
Doch diesmal läuft es nicht so rund.


Die Evangelikalen mögen die Mormonen nicht

Nachdem bei den Vorwahlen im konservativen Lager alle Favoriten der mächtigen evangelikalen Wählerschaft ausgeschieden sind oder das Handtuch geschmissen haben, steht Mitt Romney als Spitzenkandidat der Republikaner fest. Der Unternehmer verkörpert eigentlich alles, was ein Präsidentschaftskandidat der Republikaner in den Augen der konservativen Christen vorweisen sollte: Er ist gegen Abtreibung, Sex vor der Ehe und die Homo-Ehe ebenso wie gegen die Einmischung des Staates in Wirtschaft, Kirche und Gesellschaft. Er trinkt und raucht nicht, spendet großzügig seiner Gemeinde, ist seit 42 Jahren mit der gleichen Frau verheiratet und hat fünf Kinder und 16 Enkel. Er hat nur einen einzigen Makel – er ist Mormone. Und das ist vielen gestandenen Evangelikalen zu viel des Guten. Fast Zweidrittel von ihnen betrachten laut einer Umfrage die "Kirche Jesu Christi der Letzten Tage“, der Romney angehört, nicht wirklich als christliche Glaubensgemeinschaft, da sie nicht auf der Bibel beruhe. Diese Skepsis war wohl letztendlich der Hauptgrund, warum die Vorwahlen so lang und für die Republikaner eher selbstzerfleischend verlaufen. Selbst der katholische Bewerber Rick Santorum war vielen – ansonsten nicht gerade papstfreundlichen – evangelikalen Wahlmännern lieber als der Mormone Mitt Romney. Dessen Anhänger kommen eher aus dem Establishment der republikanischen Partei und schätzen an ihm vor allem seine Kompetenz als Wirtschaftsboss.


Der Einfluss der Mormonenkirche wächst

Auf 250 Millionen Dollar wird Romneys Privatvermögen geschätzt, das er hauptsächlich mit seiner Bostoner Investmentfirma Bain Capital gemacht hat. Jährlich zwei Millionen davon sollen er und seine Frau 2010 und 2011 an die Mormonen-Gemeinschaft gespendet haben. In jungen Jahren war Romney zwei Jahre lang auf der für Mormonen obligaten Missionarstour in Frankreich und bekleidete später in Boston ehrenamtlich hohe Ämter in seiner "Kirche Jesu Christi der Letzten Tage“. Diese Gruppe ist mit rund 14 Millionen Mitgliedern  weltweit die größte  von insgesamt drei Mormonenkirchen. Sie hat ihren Stammsitz in Salt Lake City in Utah, wo sich 65 Prozent der Bevölkerung zum Mormonentum bekennen. Grundlage ihres Kultes ist das "Buch Mormon“, das Religionsstifter Joseph Smith 1830 als Offenbarung veröffentlichte und das den Mormonen als "Gottes Wort“ gilt.

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich diese Kirche zu einer mächtigen Institution entwickelt. Sie soll laut Recherchen des „Time Magazine“ von 1997 über ein Vermögen von 30 Milliarden Dollar verfügen. Das meiste davon stammt aus Spenden ihrer meist sehr erfolgreichen Mitglieder, aber auch aus eigenen Unternehmen wie etwa einem Versicherungskonzern, Rinderfarmen oder Radiostationen. Auch der politische Einfluss der Mormonen in Washington ist in den vergangenen Jahren stetig gewachsen. Sie stellen 2,8 Prozent der Kongressabgeordneten, aber nur 1,7 Prozent an der Gesamtbevölkerung.


Ein treuer Soldat seiner Kirche?

Mitt Romney galt stets als treuer Soldat seiner Mormonenkirche. Als 2002 die Olympischen Winterspiele in Salt Lake City schon im Vorfeld wegen zu hoher Verschuldung zu scheitern drohten, eilte der Unternehmer von der Ostküste zur Hilfe, übernahm das Ruder in der Organisation, sammelte Spenden und machte die Spiele zu einem rauschenden Erfolg.  Doch obwohl Romney danach öffentlich als „Macher“ gefeiert wurde, konnte er sich 2008 als Präsidentschaftskandidat der Republikaner weit abgeschlagen nicht durchsetzen. Vielen Konservativen ging sein Mormonentum damals wohl noch zu weit.  
Aber Romney hat seine Lektion gelernt: Bei den jetzigen Vorwahlen hat er alles getan, um seine Beziehungen zur Mormonenkirche herunterzuspielen. Dazu gehört auch, dass er bislang auf zu offensichtliche Hilfe durch Spenden verzichtet. Offenbar zieht diese Strategie: So werden die Amerikaner im November 2012 zu entscheiden haben, ob sie lieber einen Mormonen oder einen zwar bibelfesten, aber progressiven Schwarzen als Präsidenten haben wollen.


Die neuen Evangelikalen – Obamas Hoffnung?

Bei den konservativen Evangelikalen wird die Wahl trotz ihres Misstrauens wohl dennoch auf den Mormonen Mitt Romney fallen, da sich seine moralischen Überzeugungen vor allem beim Thema Abtreibung mit ihren decken. Spannend aber wird die Frage, wie sich die sogenannten „Neuen Evangelikalen“ verhalten werden, die sich seit einigen Jahren formieren und wieder verstärkt auf Themen wie soziale Gerechtigkeit, Umweltschutz  und den Kampf gegen Rassismus setzen. Diese meist jüngeren Evangelikalen für sich zu gewinnen, wird eine der wichtigsten Aufgaben für Präsident Barack Obama, wenn er den Wahlkampf gewinnen will.
Obama ist zwar als bekennender Christ in Chicago jahrelang in der afro-amerikanischen Gemeinde "Trinity United Church of Christ" aktiv gewesen, doch immer wieder muss er gegen Vorurteile ankämpfen, er sei in Wirklichkeit Muslim oder lege die Bibel falsch aus. Wie wichtig ihm die Stimmen gerade der evangelikalen Wähler sind, hat er schon vom ersten Moment seiner Präsidentschaft an deutlich gemacht. Kein geringerer als der einflussreiche konservative  Prediger Rick Warren sprach im Januar 2009 das Gebet zu Obamas Amtseinführung. Der Kalifornier Warren ist Gründer der viertgrößten Kirchengemeinde Amerikas, der Saddleback Church in Lake Forrest. Vor allem durch seinen Bestseller „Leben mit Vision“ wurde er in ganz Amerika populär. Wenn er predigt, kommen die Menschen in Scharen – 22000 sind es jeden Sonntag. Und der Gottesmann weiß um seine Macht. Schon im letzten Präsidentschaftswahlkampf hatte Warren die damaligen Kandidaten Barack Obama und seinen republikanischen Gegner John McCain zu einem „Glaubensgipfel“ in seine Kirche geladen.  Seine Begründung damals: „Ich glaube an die Trennung von Staat und Kirche, aber nicht an die Trennung von Glauben und  Politik.“
 

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