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"Essen war für uns Auswandern" 

In zwei feinen Büchern erzählen das russische Autorenehepaar Kaminer und die Ex-Ostdeutsche Jutta Voigt vom »Kochbuch des Sozialismus« und »Geschmack des Ostens«. In Berlin trafen sie sich zum Schlemmen beim Edelrussen.

Marcus Römer

Nadja Klier
Das Restaurant »Lara« im Prenzlauer Berg wertet die Straße auf. Gemütlich leuchtet es ins kalte Grau des Winters. Verabredet sind hier Olga und Wladimir Kaminer, Verfasserduo von »Küche totalitär. Das Kochbuch des Sozialismus«, und Jutta Voigt, Autorin von »Der Geschmack des Ostens. Vom Essen, Trinken und Leben in der DDR«. Sie kennen sich bislang nicht, aber sie verbindet ein gemeinsames Thema. Die kulinarischen Extravaganzen und Mangelerscheinungen ihrer Heimatländer Sowjetunion und DDR. Sie treffen sich bei einem ausgedehnten Abendmahl mit Soljanka, Kaviar, Truthahnleberwurst, Gurken und reichlich Wodka, um sich über Gemeinsamkeiten, Klischees und Missverständnisse auszutauschen. Und um darüber zu reden, inwiefern die Küchen ihrer Länder das Leben der Menschen dort beeinflusst hat. Ein langer, feuchter Abend.

 

Wladimir Kaminer: Ich habe Ihr Buch richtig durchgelesen. Das ist ein seltener Fall, dass ich ein deutsches Buch zu Ende gelesen habe.

Jutta Voigt: Danke.

W. Kaminer: Aber ich verstehe einiges nicht. Selbst die freundlichsten Momente in Ihrem Buch sind von Kritik durchtränkt. Und dann schreiben Sie wieder, Sie hätten 20 Jahre lang an den Sozialismus geglaubt – und diese Stelle habe ich nirgendwo gefunden. Sie beschreiben ein durchaus interessantes Land und beschweren sich andauernd.

Voigt: Aber Sie wissen doch, was Dialektik ist. Ich habe versucht, zu dokumentieren, was die DDR für ein Land war.

Olga Kaminer: Wladimir! Immer in gewissen Maßen bleiben.

Voigt: Lassen Sie ihn sagen, was er will. Ich freue mich.

O. Kaminer: Ja, aber immer in Maßen.

 

Die freundliche Servicekraft Julia aus Barnaul bei Nowosibirsk bringt weiteren Moosbeeren-Wodka. Ein freundliches Getränk.

 

Jutta Voigt zu Wladimir Kaminer: Sie müssen mein Buch halt nochmal lesen. Aber bei euch war’s ja viel schlimmer als bei uns.

W. Kaminer: Euer Honecker war unser Breschnew.

Voigt: Aber bei uns war ja nicht alles schlecht.

Wladimir Kaminer: Den Eindruck kann man bei Ihrem Buch aber durchaus gewinnen.

Voigt: Das ist absurd!

W. Kaminer: Nun ja. Die Idee mit dem Sozialismus war ja gut, nur die Ausführung war eben mangelhaft. Weil die Typen alles versaut haben.

Voigt: Ja. Honecker und Breschnew haben alles versaut.

W. Kaminer: Ich glaube, wir haben in unseren Büchern den gleichen Ansatz, aber unterschiedliche Methoden.

Voigt zu Olga Kaminer: Ich finde ja, dass er in Natur besser aussieht als auf Fotos.

W. Kaminer: Ich finde, dass es von mir ohnehin schon zu viele Fotos gibt.

 

Julia bringt weitere Nahrung. Der Tisch füllt sich zusehends mit Zakucka, verschiedenen russischen Vorspeisen: Tomaten, Pilze, Aufschnitt, Kraut, Lachs. Als Ergänzung zum Wodka wird Kwas, russische Brotlimonade gereicht. Sie schmeckt gut, wie Malzbier.

 

Voigt: Ich habe in Moskau nie gut gegessen.

O. und W. Kaminer: (Schweigen.)

Voigt: Wir haben in der DDR viel von den Russen und ihren Essgewohnheiten übernommen. Wir ließen immer alles stehen, bis tief in die Nacht. Dann konnte man spät beim Wodka immer noch ein Häppchen essen.

W. Kaminer: Also, für mich war die DDR ein absolutes Konsumentenparadies. Was es dort alles gab – das war für mich unfassbar.

Voigt: Unsere Wurst war besser als die, die es heute gibt.

 

Es soll angestoßen werden. Worauf, ist zunächst unklar. Dann einigt man sich: auf die, die ihre Ideale behalten haben. Irgendwie so was.

 

W. Kaminer: Für mich war die DDR westliches Ausland.

O. Kaminer: Das Ragout fin auf der Leipziger Messe war toll.

W. Kaminer: Ja. Unser Ragout fin in Moskau war teurer als Kaviar. 25 Rubel hat der gekostet.

Voigt: Es wird noch immer leicht vergessen, dass es viele Leute gab, die gut gelebt haben. In der Sowjetunion und in der DDR, in beiden Systemen.

W. Kaminer: Meine Frau und ich sind zwar keine Ostalgie-Fans. Aber da haben Sie Recht. Russland ist zum Feiern wirklich gut, aber zum täglichen Leben taugt es weniger. So etwas wie eine Lebensversicherung zum Beispiel ist bei uns so gut wie unbekannt. Der Russe hat jeden Tag eine große Lebenserwartung, doch dann macht irgendwann das Herz nicht mehr mit. Bei uns war das Essen, also das Essengehen, immer ein Grund zum Feiern, aber das Essen selbst diente eher als Beilage zum Trinken. Was ich in Berlin wirklich vermisse, das sind die echte russische Küche und die Clubs.

Nadja Klier
Voigt: Das war bei uns völlig anders. Essen war so etwas wie Volkssport. Wir haben eigentlich ständig gefuttert – als Kampf gegen die Langeweile und die Ereignislosigkeit. Eigentlich wollte ich mein Buch deswegen auch »Nimmersatt« nennen, aber der Verlag war dagegen. Die hatten sich die potenziellen Bedenken der Ostler angeeignet und gemeint, mit so einem Titel würde nur wieder auf die angebliche Unzufriedenheit der früheren DDR-Bürger hingewiesen. Im Sinne von ewig stänkernder Ossi, der sich noch nicht einmal für den Soli-Beitrag bedankt.

Die Kaminers: Den Titel hätte ich viel besser gefunden. Aber irgendwo sind diese Bedenken schon nachvollziehbar.

Voigt: Ja. Es ist doch einfach lächerlich, zu behaupten, dass es zwischen Ost und West – ich meine Deutschland – keine Unterschiede mehr gibt. In der DDR war das Alltagsleben, ich meine, man hat ja auch unter der Woche viel gefeiert und sehr viel getrunken, also dieses Alltagsleben war viel orgiastischer. Essen, das war für uns auch immer eine Flucht. Essen war Auswandern.

W. Kaminer: Und dann ist Ihr Land einer ideologischen Provokation zum Opfer gefallen. Das war bei uns anders. Unser Sozialismus ist an Gorbatschow gescheitert. Das Land wurde von einer Nuss geleitet. Gorbatschow hat die UDSSR aus freiem Willen aufgelöst. Ich meine, wir haben ja nicht gehungert oder so. Viele Sachen bekam man natürlich nur über Beziehungen. Das Angebot bestimmte das Bedürfnis. Meine Eltern haben immer gesagt: »Solange Schwarzbrot und Kaviar da sind, brauchen wir uns keine Sorgen zu machen.« Wobei da auch ein beliebtes Missverständnis gepflegt wird. In Russland wird beispielsweise viel weniger Kaviar gegessen. Aber wir hatten immer Bananen.

Voigt: Warum haben wir nicht eure Bananen bekommen?

W. Kaminer: Hehe. Jedenfalls hatten wir nicht das Gefühl, dass uns etwas gefehlt hätte.

Voigt: Nun, an Grundnahrungsmitteln hat es uns auch nicht gefehlt. Aber wir waren irgendwie total isoliert. Wir hatten kaum Einflüsse von draußen, auch nicht von den sozialistischen Bruderländern. Man könnte ja annehmen, dass es in der DDR russische oder ungarische oder bulgarische Restaurants gegeben hätte. Aber das war die absolute Ausnahme. Ich glaube, in Ostberlin gab es ein russisches Restaurant, aber die Küche dort war auch nicht wirklich russisch. Mir wird heute noch ganz schlecht, wenn irgendwo »deutsche Küche« dransteht.

W. Kaminer: In Moskau gibt es viele ausgezeichnete russische Lokale. Die regionale Küche, die wir in unserem Buch beschreiben, ist bei uns auch weiterhin auf dem Vormarsch. Es gibt kaum italienische oder französische Restaurants. Italienisch isst man in Mailand gut.

O. Kaminer: Ja, Mailand ist wunderbar. Neapel nicht so.

Voigt: Ich habe diese Geschichte in Ihrem Buch so gemocht, wo Sie sich über die Unhöflichkeit der russischen Kellner lustig machen. Wissen Sie, in diesem Restaurant, wo alle Gerichte, die sich dieser Gast bestellt, aus sind. Was dem Kellner aber ganz egal ist. Der war das nicht anders gewohnt. Und dann beschlabbert der Kellner dem Gast auch noch die Hose mit einer Suppe.

W. Kaminer: Ja, man kann sagen, das ist ein Teil der Moskauer Mentalität – die übrigens sehr viel gemeinsam hat mit der Berliner Mentalität, sofern man sie am Verhalten von Kellnern festmachen kann. Man rettet einen Hund und schlägt einen Menschen.

 

Das Telefon klingelt, Voigts Mann.

 

Voigt: Wir essen russisch. Aber gut. Bis gleich.

W. Kaminer: Sie hatten vorhin darauf hingewiesen, dass es durchaus Unterschiede gibt zwischen West und Ost. Finde ich ja auch. Aber es gibt eine Gemeinsamkeit. In beiden Teilen, wenn ich das mal so sagen darf, wird ständig gejammert. Ich kenne kaum jemanden hier – nicht nur in Berlin –, der sich nicht über irgendetwas beschwert. Ich will ja nun nicht sagen, dass Deutschland ein Paradies ist, aber es ist schon sehr in Ordnung. Und ich lebe jetzt seit knapp 15 Jahren hier.

Voigt: Ja, die Ex-DDR-Bürger meinten, mit der Wende würde das Paradies über sie hereinbrechen. Und dann waren sie enttäuscht.

W. Kaminer: Und noch was: Die westlichen Nachrichten waren immer genauso überdreht und hochgebauscht wie im Osten. Alles in den Medien wurde immer fürchterlich übertrieben.

Voigt: Nochmal zurück zur DDR. Es gab ja auch Spaß. Wir waren zum Beispiel ständig damit beschäftigt, Mangelware zu ergattern. Und wenn dann tatsächlich was erobert wurde, dann wurde zum Halali geblasen. Immerhin ist man in den bürgerlichen Restaurants der neuen Länder der Soljanka treu geblieben.

O. Kaminer: Mangelware. Ja, die Sowjetunion war voll mit Mangelware. Wir mussten zwar auch bei den Nahrungsmitteln immer mal irgendwo Schlange stehen. Aber am schlimmsten waren Schuhe, die gab’s einfach nicht. Aber ich habe noch den Duft eines Parfüms in der Erinnerung: Dior Poison, glaube ich. Das hatten wir.

W. Kaminer: Es gibt ein paar tolle Vorstellungen in Deutschland über das Leben in der Sowjetunion. Wodka zum Beispiel. Natürlich wird viel Wodka getrunken, allein deshalb, weil allgemein viel getrunken wird. Aber ich habe noch nie so viel Wodka getrunken wie hier in Deutschland. Die Russen trinken nämlich eigentlich viel lieber Bier.

O. Kaminer: Das mit den Schuhen war wirklich schlimm.

 

Olga und Wladimir Kaminer: Küche totalitär, Manhattan, ca. 224 Seiten, 18 Euro

Jutta Voigt: Der Geschmack des Ostens, Kiepenheuer, 214 Seiten, 16 Euro

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