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Helmut Schmidt: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“

Henry Kissinger soll einmal gesagt haben, dass er vor Helmut Schmidt sterben wolle, da er nicht in einer Welt ohne Schmidt leben wolle – an persönlichen Lobpreisungen und offiziellen Ehrungen für den großen Helmut Schmidt hat es nicht gemangelt. Der fünfte Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, der sich bis zuletzt eingemischt hat, dessen Integrität für die Mehrheit der Deutschen außer Frage stand, der in Krisenzeiten Vertrauen und Sicherheit vermittelte, der unserer Polit-Klasse immer wieder Lektionen in Moral und Pragmatismus erteilte und für viele schlicht ein wichtiger Mahner und ernstzunehmender Zeitgenosse war, ist am 10. November 2015 im Alter von 96 Jahren verstorben.
Andreas Schmid

Helmut Schmidt
Picture-Alliance GmbH, Frankfurt/Angelika Warmuth
Wer war der wie ein Schlot Menthol-Zigarette rauchende Hanseat, der in Talk-Shows – manchmal langatmig – Tacheles redete und als Publizist das Weltgeschehen, die Rolle Deutschlands und die Aufgaben der Zukunft analysierte? Der Polit-Dino Schmidt war einer der letzten großen Politiker der Bundesrepublik, dessen fundamentale Erfahrungen noch aus dem Krieg stammten. Diese Erlebnisse waren ein Leben lang Kern einer Politik, die Friedenssicherung im Fokus hatte.

 

Ein Rückblick - Loki, Hamburg und Krisenmanagement

Helmut Heinrich Waldemar Schmidt wurde am 23. Dezember 1918, kurz nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, im Hamburger Arbeiterviertel Barmbek geboren. Sein Vater war der Studienrat Gustav Schmidt, der ihm Strenge und Disziplin vorlebte, Mutter Ludovika war für die liebevolle Erziehung zuständig. 1937 machte er sein Abitur an der Hamburger Lichtwark-Schule, musste im Anschluss Reichsarbeits- und Wehrdienst leisten. Als Soldat war Schmidt bei der Bremer Luftabwehr, anschließend diente er bis 1942 an der Ostfront. Von 1942 bis 1944 arbeitete er als Referent für Ausbildungsvorschriften der Flakartillerie im Reichsluftfahrtministerium in Berlin und Bernau. Bis zum Ende des Krieges schloss sich ein Einsatz an der Westfront an.

Helmut Schmidt
Picture-Alliance GmbH, Frankfurt
Zuvor, im Jahr 1942, ging er einen Bund ein, der Jahrzehnte überdauern sollte. Helmut Schmidt heiratete seine frühere Klassenkameradin Hannelore Glaser. »Loki«, ein Spitzname, den sie selbst sich gegeben hatte, war Lehrerin. Als Hobby-Botanikerin, die internationales Renommee genoss, und engagierte Naturschützerin war sie auch später, während der Polit-Karriere ihres Mannes, stets mehr als nur „Angeheiratete der Politik“, wie sie es selbst einmal sagte. Bis zu ihrem Tod 2010 war sie über die Maßen beliebt und ein Vorbild für viele Deutsche. Für ihren Mann war sie „Volkes Stimme“, wie Schmidt einmal schrieb.

Unmittelbar nach dem Ende des Weltkriegs studierte Helmut Schmidt Volkswirtschaftslehre und trat in die SPD ein (1946). Er war in leitender Funktion in der Verkehrs- und Wirtschaftsbehörde seiner Heimatstadt tätig, ehe er 1953 in den Bundestag einzog. Der kantige Schmidt, der den Philosophen Karl Popper verehrte, fiel als rhetorisch überzeugender und scharfzüngiger Redner auf. Lieblingsgegner war Franz Josef Strauß. Rasch verpasste man ihm den Spitznamen „Schmidt-Schnauze“. Seine Fähigkeit, Dinge auf den Punkt zu bringen, hat er sich über die Jahrzehnte auch jenseits des Politparketts bewahrt. „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“ ist ebenso ein Bonmot wie sein Satz „Seitdem es Flugzeuge gibt, sind die entfernten Verwandten auch nicht mehr das, was sie einmal waren.“

Schmidt, seit 1958 im Bundesvorstand der SPD kämpfte gegen die atomare Bewaffnung der Bundeswehr. 1961 wurde er Hamburger Polizeisenator und legte daraufhin sein Bundestagsmandat nieder. Sein kluger koordinierter Einsatz bei der gewaltigen Hochwasserkatastrophe von 1962 in Hamburg brachte ihm höchstes Lob und den anhaltenden Ruf eines durchsetzungsstarken Krisenmanagers ein.

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