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Hormone spielen nicht verrückt – sie haben uns in der Hand

Hormone sind in unserem Körper laufend am Werk. Sie übermitteln Informationen und steuern Lebensgrundlegendes, darunter Stoffwechsel, Wachstum, Entwicklung und – Sexualität. Hier entzünden sie ganze Feuerwerke von Gefühlen, ohne dass wir uns dagegen wehren könnten. Über den Sinn von Liebeshormonen und wie sie uns Freude bereiten oder ärgern.
von wissen.de-Autor Jens Ossa

Die Welt ist ungerecht

Ein Paar sitzt am Strand und sieht sich den Sonnenuntergang an. Sie schmiegt ihren Kopf an seine Schulter und flüstert: „Ich bin ja so glücklich!“ Daraufhin er: „Keine Sorge, Schatz, das sind die Hormone. Geht wieder vorbei.“

Ob die Beziehung den Abend überstanden hat, sei dahingestellt. Es gibt wohl Männer, die in einem solchen Moment mehr Fingerspitzengefühl an den Tag gelegt hätten. Dennoch, es sind tatsächlich die Hormone, die dafür sorgen, dass Frauen und Männer in vielen Situationen unterschiedlich fühlen – und sich demnach auch unterschiedlich verhalten. So steht das männliche Geschlechtshormon Testosteron im Verdacht, in hoher Konzentration sprachliche Fähigkeiten und soziale Kompetenz zu beeinträchtigen. Das könnte auch eine Erklärung dafür sein, dass Jungen in einem gewissen Alter, in dem sich das Hormon in Sturzbächen über ihre Zellen ergießt, mitunter recht einsilbig sind. Zu dumm, dass es gerade in Zeiten der Not verbale Überzeugungskraft braucht – die Welt ist einfach ungerecht.

Testosteron wird zum größten Teil in den Hoden produziert. Physiologisch dient es dem Wachstum, der Spermienbildung und der Prägung männlicher Merkmale wie etwa der Körperbehaarung und verstärktem Muskelaufbau. Gleichzeitig steigert das Hormon die Lust im Manne, und der – glaubt man der amerikanischen Neuropsychiaterin und Buchautorin Louann Brizendine – denkt ungleich häufiger an Sex als eine Frau. Jungs besäßen einen riesigen Flughafen als Drehscheibe für Gedanken über Sex, schreibt sie in ihrem Buch „Das weibliche Gehirn“, Mädels nur eine Mini-Landepiste für Privatflugzeuge.

 

Auch Männer werden schwanger – ein bisschen

Hormonfeuerwerk Schwangerschaft
shutterstock.com/Trout55

Während Testosteron den Mann also zum hungrigen Wolf mutieren lassen kann, sorgen für Weiblichkeit im Wesentlichen Östrogene. Größtenteils in den Eierstöcken produziert, fördern sie die Reifung der befruchtungsfähigen Eizelle. Auf mentaler Ebene steigert eine erhöhte Östrogenkonzentration zwischenmenschliches Interesse. Und so heißt es auch in Brizendines Buch weiter: „Bereits im Mutterleib werden Mädchen mit Östrogenen überschüttet und so auf Beziehungspflege programmiert.“ Heulkrämpfe und Zickenkrieg mit den Müttern in der Pubertät führt die Autorin auf einen schwankenden Östrogenspiegel während dieser schweren Phase zurück.

Bei allen hormonellen Unterschieden muss es doch etwas geben, was Frau und Mann aneinander bindet. Tatsächlich ist es ja auch nicht so, dass Männer nur triebgesteuert umherschweifen, ständig auf der Suche nach Sex, während die Frauen das Nest hüten, stets darum bemüht, die Familie zusammenzuhalten. Besonders in den ersten Wochen einer Schwangerschaft geht der Testosteronspiegel des Mannes zurück, und sein Körper produziert im weiteren Verlauf der Schwangerschaft um bis zu 20 Prozent mehr vom Milchbildungshormon Prolaktin. Dies bewirkt laut Brizendine eine erhöhte Fürsorglichkeit. Sie nennt diese Phase den „Übergang vom männlichen zum väterlichen Hirn“. Der Nebeneffekt: Werdende Väter setzen Speck an, und manchem wird wie seiner schwangeren Partnerin sogar übel. Die bei Männern anschließend einsetzende Nestbauphase schreibt die Neuropsychiaterin ebenfalls dem Prolaktin zu.

Ein weiteres Bindemittel für Frauen und Männer heißt Oxytocin. Ein Hormon, dem eine große Bedeutung beim Geburtsprozess zukommt und das zum Verhältnis zwischen Mutter und Kind beiträgt. Aber auch Verliebte schütten es aus vollen Eimern aus.

In der weiblichen Entwicklung spielt Oxytocin eine besondere Rolle. So erklärt Louann Brizendine die Telefonsucht vieler 14-jähriger Mädchen mit einem erhöhten Spiegel des Hormons. Nach den Wechseljahren sinke der übrigens wieder ab, was die Frauen scheidungsfreudiger mache.

Männer werden bei höherem Oxytocingehalt einfühlsamer, das ergab eine Studie der Universität Bonn und des Babraham-Instituts Cambridge. Die Forscher verabreichten der Hälfte der Probanden ein oxytocinhaltiges Nasenspray, dem Rest ein Placebo. Anschließend bekamen die Männer emotional belegte Fotos zu sehen. Das Ergebnis: Die Oxytocin-Probanden reagierten emphatischer. So kann ein Mann auch mal ein bisschen Frau sein.

 

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