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Im Gespräch: "Das Medizinkartell"

Marcus Anhäuser

"Sieben Todsünden begeht die Gesundheitsindustrie." Diese These vertreten die Medizinjournalisten Kurt Langbein und Bert Ehgartner in ihrem Buch "Das Medizinkartell". Auf fast 400 Seiten nehmen sie das Gesundheitssystem auseinander. Sie beleuchten die Schattenseiten der "Halbgötter in Weiß" und fühlen der Pharmaindustrie auf den Zahn, die jedes Leiden mit kleinen, bunten Pillen, den "magic bullets", wie einen Feind bekämpfen will. In einem historischen Rückblick zeigen sie, dass die Medizin gerade dann auf die falsche Bahn geriet, als sie glaubte, endlich die lange ersehnten Wundermittel gegen die großen Krankheiten der Menschheit in Händen zu halten. Wissen.de hat mit Autor Bert Ehgartner, Medizinjournalist und Chefredakteur des Gesundheitsportals surfmed.de, gesprochen.

Medizin heute

Was läuft falsch in der medizinischen Landschaft?

Das Medizinsystem insgesamt, also Gesundheitsberufe, Wissenschaft und Industrie, hat sich im Lauf der Jahrzehnte einen immer höheren Stellenwert in der Gesellschaft erkämpft. Heute verschlingt das System bereits jeden achten Euro und ist damit noch lange nicht satt. Jeder Gedanke, dass ein derart mächtiges Kartell ohne harte Eingriffe von außen jemals Selbstbeschränkung üben wird, ist hoffnungslos realitätsfremd. Gleichzeitig hat sich dieses System bisher erfolgreich gegen objektive Kontroll-Maßnahmen gewehrt.

Gibt es nicht so etwas wie eine Qualitätssicherung?

Nein, keine und auch keinerlei Transparenz. Wenn man sich heute einer Bandscheiben-Operation unterziehen muss, so hat man keinerlei Vergleich, welche Abteilung hohe oder niedrige Komplikationsraten hat. Bei jedem banalen Konsumartikel gibt es Qualitätstest. Die - öffentlich finanzierte - Medizin ist hingegen heute genauso ein Glücksspiel wie vor hundert Jahren. Hier befinden wir uns, speziell in den deutschsprachigen Ländern, noch in der Steinzeit.

Wenn man Ihnen so durch die Geschichte folgt, bekommt man den Eindruck Medizin der letzten 150 Jahre ist von Intrigen, Fehlurteilen, Dilettantismus, Eitelkeiten und Wahnsinn durchsetzt und hat irgendwann die falsche Richtung eingeschlagen. Hat Voltaire immer noch Recht mit dem Ausspruch, den Sie zitieren: "Ärzte geben Medikamente, von denen sie wenig wissen, in Menschenleiber von denen sie noch weniger wissen."

Wir glauben, dass heute tendenziell von Seiten der Medizin viel zu viel in das Leben der Menschen eingegriffen wird. Robert Koch hat seine Bakterien eingefärbt, fotografiert und diese Bilder dann in den Zeitungen veröffentlicht. Damit hat er das Prinzip der Angst als oberstes Steuerungskriterium der Medizin eingeführt. Und das ist bis heute so geblieben: Wer heute nicht gegen ein Dutzend Krankheiten geimpft ist, geht ein unverantwortliches Risiko ein, suggerieren die Ärzte. Frauen, die eine Hausgeburt planen, gelten als potenzielle Kinds- und Selbstmörderinnen. Ältere Menschen nehmen heute im Durchschnitt sechs verschiedene Medikamente, von denen man nicht weiß, wie sie sich zueinander verhalten. Der Medizinkritiker Ivan Illich meinte nicht zu unrecht: "Die Menschen geben ihr Leben dafür, soviel Behandlung wie möglich zu bekommen."

Das ganze Medizinsystem ist also schlecht?

In vielen Bereichen möchte ich die Fertigkeiten und Kenntnisse der Mediziner nicht missen. Speziell im chirurgischen Bereich sind erstaunliche Fortschritte verzeichnet worden. Dort wo es um chronische Krankheiten geht, um systemische Zusammenhänge im Organismus, um die Wechselwirkungen von Arzneimitteln und um prognostische Aussagen von Ärzten, dort habe ich aber starke Zweifel.

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