Lexikon

Buñuel

[
bunjuˈɛl
]
Luis, spanischer Filmregisseur und -produzent, * 22. 2. 1900 Calanda,  29. 7. 1983 Mexico; zählte zu den bedeutendsten Vertretern des surrealistischen Films, u. a. mit „Un chien andalou“ („Ein andalusischer Hund“) 1928; 1940 Übersiedlung nach Mexiko, danach wandte er sich verstärkt sozialkritischen Themen zu; Filme: „Das goldene Zeitalter“ 1930; „Die Vergessenen“ 1950; „Viridiana“ 1961; „Belle de jour“ 1967;
„Die Milchstraße“ 1969;
„Der diskrete Charme der Bourgeoise“ 1972; „Das Gespenst der Freiheit“ 1974; „Dieses obskure Objekt der Begierde“ 1977.
Buñuel, Luis
Luis Buñuel
  • Deutscher Titel: Ein andalusischer Hund
  • Original-Titel: UN CHIEN ANDALOU
  • Land: Frankreich
  • Jahr: 1928
  • Regie: Luis Buñuel, Salvador Dalí
  • Drehbuch: Luis Buñuel
  • Kamera: Albert Dubergen
  • Schauspieler: Simone Mareuil, Pierre Batcheft, Salvador Dalí, Luis Buñuel
Nach der Uraufführung von »Ein andalusischer Hund«, unter der gemeinsamen Regie von Luis Buñuel und Salvador Dalí entstanden, geht ein Aufschrei der Entrüstung durch die Kinowelt: Nie zuvor hat es Bilder von derartiger Grausamkeit auf der Kinoleinwand gegeben.
Der 20-Minuten-Film reiht nach Art freier Assoziationen ein Bild an das Nächste: In der Anfangssequenz wird in Großaufnahme das Auge eines Mädchens mit einer Rasierklinge zerschnitten eine der berüchtigsten Szenen der Filmgeschichte überhaupt. Aus der Hand eines Mannes quellen wimmelnde Ameisen. Zwei Priester sind an ein Seil gefesselt, an dem ein mit verwesenden Eselskadavern gefüllter Flügel befestigt ist.
Die zahlreichen, u.a. psychoanalytischen Deutungsversuche von Kritikern bleiben zweifelhaft, da Buñuel und Dalí im Vorspann ausdrücklich die Irrationalität und Zufälligkeit ihrer Bilder betonen. Der Film ist eher eine visuelle Provokation, ein Frontalangriff auf vertraute Zusammenhänge.
Da Buñuel bewusst auf Tricktechnik verzichtet, die bei der Film-Avantgarde sonst oft zum Einsatz kommt, spiegeln seine Bilder um so deutlicher das Schreckliche im scheinbar Normalen wider. Dadurch entsteht der für Buñuels Filmschaffen typische surrealistische und sadistische Stil.
Das Entsetzen, mit dem Publikum und ein Teil der Kritik den Film quittieren, bestätigt Buñuel in seinen Ansichten über das Eingebundensein des Menschen in der fest gefügten Gesellschaft. Für die Kunstkenner, die sich an der surrealistischen Bildsprache des »andalusischen Hundes« begeistern, hat der 28jährige Provokateur nur Verachtung übrig: »Der dumme Haufen findet schön und poetisch, was eine verzweifelte und leidenschaftliche Aufforderung zum Mord ist.« Viele spätere Filme beziehen sich auf dieses frühe Werk des surrealistischen Kinos.
  • Deutscher Titel: Das goldene Zeitalter
  • Original-Titel: L„AGE D„OR
  • Land: Frankreich
  • Jahr: 1930
  • Regie: Luis Buñuel
  • Drehbuch: Luis Buñuel, Salvador Dalí
  • Kamera: Albert Dubergen
  • Schauspieler: Gaston Modot, Lya Lys, Max Ernst
Der spanische Regisseur Luis Buñuel zeigt in seinem Film ein Liebespaar, das der bürgerlichen Gesellschaft den Krieg erklärt, weil es seine Zuneigung nicht ungestört ausleben kann. Mit dieser Geschichte von einer Liebe gegen alle Konventionen fordert Buñuel die bestehende Ordnung heraus: Ein Mann gibt seiner Gastgeberin eine Ohrfeige, weil sie einen Tropfen Wein auf seinem Anzug verschüttet hat, ein Vater erschießt seinen Sohn, weil er ihn beim Zigarettendrehen stört. Dabei werden diese Spielszenen immer wieder durch Dokumentaraufnahmen aus der Wochenschau oder Sequenzen eines Tierfilms über Skorpione unterbrochen. Buñuels Absicht, mit »diesem Film einen Skandal herbeizuführen«, erfüllt sich: Nach kurzer Vorführungszeit im Pariser Avantgarde-Kino »Studio 28« wird der Film verboten.
  • Deutscher Titel: Die Vergessenen
  • Original-Titel: LOS OLIVADOS
  • Land: Mexiko
  • Jahr: 1950
  • Regie: Luis Buñuel
  • Drehbuch: Luis Buñuel
  • Kamera: Gabriel Figueroa
  • Schauspieler: Alfonso Mejia, Roberto Cobo, Stella Inda
  • Auszeichnungen: Filmfestival Cannes 1951 für Regie
Luis Buñuel verarbeitet den erschreckenden Alltag in der mexikanischen Metropole zu dem beklemmend-realistischen Film »Die Vergessenen«.
Eine Kinderbande treibt in den Slums von Mexico-City ihr Unwesen. Unter der Führung des gewissenlosen Jaibos (Roberto Cobo) bestehlen die Kinder Bettler und Kranke. Als der feinfühlige Pedro (Alfonso Mejia) zufällig beobachtet, wie Jaibo einen anderen Jungen zu Tode prügelt, beschließt er, sich von der Bande zurückzuziehen. Jaibo kann das nicht dulden: Er begeht einen Diebstahl und lenkt den Verdacht auf Pedro. Als dieser versucht, den wahren Sachverhalt aufzuklären, kommt es zu einem erbitterten Kampf mit Jaibo, bei dem Pedro getötet wird. Jaibo flieht vor der Polizei, wird jedoch angeschossen und stirbt einsam in einem Versteck. Pedros Leiche landet auf einer Müllhalde.
Buñuel verzichtet bei seiner wirklichkeitsgetreuen Darstellung auf jegliches Moralisieren. Er macht deutlich, dass unter derartigen Lebensbedingungen alle menschlichen Ansätze wie sie sich an der Figur Pedros festmachen lassen schon im Keim erstickt werden. Auch die hilflosen Opfer der Beutezüge sind von dieser Realität geprägt: Wo sie andere zum Opfer degradieren können, nutzen sie ihre Überlegenheit aus. Auch wenn in der Person des Jaibo das Böse im Menschen verkörpert wird, zeichnet ihn Buñuel nicht als wirklich Schuldigen. Sein einsamer Tod in einem dunklen Winkel der Slums soll vielmehr symbolisieren, dass auch er ein Opfer der sozialen Umstände ist.
Neben der aufrüttelnden Sozialkritik weist Buñuels Film für ihn typische, surrealistische Stilelemente auf, mit denen er zum Teil auf eine ironisierende Ebene übergeht: Traumsequenzen, mit geschlossenem Mund gesprochene Dialoge, das symbolträchtige Auftauchen von Vögeln und Insekten.
  • Deutscher Titel: Viridiana
  • Original-Titel: VIRIDIANA
  • Land: Spanien
  • Jahr: 1961
  • Regie: Luis Buñuel
  • Drehbuch: Luis Buñuel, Julio Alejandro
  • Kamera: José F. Aguayo
  • Schauspieler: Francisco Rabal, Silvia Pinal, Fernando Rey, Margarita Lozano
  • Auszeichnungen: Goldene Palme Filmfestspiele Cannes 1961 für Film
Empört weist die junge Novizin Viridiana (Silvia Pinal) den Heiratsantrag ihres Onkels Don Jaime (Fernando Rey) zurück, woraufhin er sich umbringt. Viridiana tritt aus dem Orden aus und begründet gegen den Willen des Miterben Jorge auf dem Gut des Onkels ein Armenasyl. Doch das Unternehmen scheitert an der Unvereinbarkeit von religiösen Zielen und menschlichen Niederungen: Bettler, die in das Haus eindringen, misshandeln Jorge und Viridiana; die Frau entgeht nur knapp einer Vergewaltigung.
Nach »Nazarin« (1959) setzt sich Buñuel erneut mit der Unerfüllbarkeit religiöser Ideale auseinander. In vielen Ländern u.a. auch in Deutschland werden nur zensierte Fassungen gezeigt. Kirchliche Vertreter zeigen sich empört über »schockierende« Szenen mit christlicher Symbolik. Im Entstehungsland Spanien wird der Film ganz verboten; verantwortliche Beamte der Film-Genehmigungsbehörde werden entlassen. Die Abrechnung des Filmemachers, der aus einer streng katholischen Familie stammt, mit der christlichen Karitas gilt heute als eines der hervorragendsten Werke des spanischen Surrealisten.
  • Deutscher Titel: Belle de jour Schöne des Tages
  • Original-Titel: BELLE DE JOUR
  • Land: Frankreich
  • Jahr: 1967
  • Regie: Luis Buñuel
  • Drehbuch: Luis Buñuel, Jean-Claude Carrière, nach dem Roman von J. Kessel
  • Kamera: Sacha Vierny
  • Schauspieler: Cathérine Deneuve, Jean Sorel, Pierre Clémenti, Michel Piccoli
  • Auszeichnungen: Goldener Löwe Filmfestival Venedig 1967 für Film
In »Belle de Jour Schöne des Tages« befasst sich Luis Buñuel, der Altmeister des surrealistischen Kinos, einmal mehr mit der Doppelbödigkeit der bürgerlichen Gesellschaft.
Séverine (Cathérine Deneuve) ist die Ehefrau des angesehenen Arztes Pierre (Jean Sorel). Sie betätigt sich heimlich nachmittags als Nobelprostituierte. Indirektes Resultat ihres Doppellebens ist der Anschlag eines Dritten auf Pierre, der erblindet und gelähmt fortan von Séverine gepflegt wird.
Buñuel setzt immer wieder übergangslos Versatzstücke aus Traum, Vorstellung und Realität nebeneinander. Der Film erzielt seine surreale Wirkung dabei ohne großen technischen Aufwand.
Catherine Deneuve, die 1969/70 einen weiteren Film mit Buñuel dreht (»Tristana«), zeigt sich als Séverine nach außen hin als Muster einer kühlen, unbewegten Großbürgersfrau. Umso frappierender ist der Kontrast zu ihrer darunter verborgenen Lasterhaftigkeit.
  • Deutscher Titel: Der diskrete Charme der Bourgeoisie
  • Original-Titel: LE CHARME DISCRET DE LA BOURGEOISIE
  • Land: Frankreich
  • Jahr: 1972
  • Regie: Luis Buñuel
  • Drehbuch: Luis Buñuel, Jean-Claude Carrière
  • Kamera: Edmond Richard
  • Schauspieler: Fernando Rey, Delphine Seyrig, Stéphane Audran
  • Auszeichnungen: Oscar 1973 für ausländischen Film
Im Mittelpunkt stehen sechs Mitglieder der sog. besseren Gesellschaft, die sich ständig gegenseitig zu einem Abendessen einladen. Doch trotz aller hartnäckigen Versuche, die meist in peinlichen Situationen enden, gelingt es nicht, das gemeinsame Mahl einzunehmen, denn ständig passieren unvorhergesehene Dinge. Hinter bürgerlicher Selbstinszenierung werden Dekadenz und Verlogenheit offensichtlich.
Die bourgeoise, bis zur Karikatur entstellte Gesellschaft bleibt ein Lieblingsthema des spanischen Regisseurs Luis Buñuel. In seinem neuen Film, der bei aller Sozialkritik durchaus noch komödiantische Züge trägt, lehnt er sogar die bürgerliche Dramaturgie ab: Es gibt keine erzählte Geschichte mehr, sondern nur noch einzelne Anekdoten. In surrealistischer Manier vermischen sich dabei Traum und Wirklichkeit: Das sichere Gefühl der Zuschauer, Logik und Realität zu erkennen, bringt er damit ins Wanken.
  • Deutscher Titel: Das Gespenst der Freiheit
  • Original-Titel: LE FANTOME DE LA LIBERTE
  • Land: Frankreich
  • Jahr: 1974
  • Regie: Luis Buñuel
  • Drehbuch: Luis Buñuel, Jean-Claude Carrière
  • Kamera: Edmond Richard
  • Schauspieler: Adriana Asti, Julien Bertheau, Jean-Claude Brialy
Luis Buñuel ist bekannt für seine kompromisslose Ablehnung aller bürgerlichen Regeln und einer klassischen Dramaturgie. Schon in der »Milchstraße« (1969) und in »Der diskrete Charme der Bourgeoisie« (1972), die stilistisch in einer Reihe mit dem »Gespenst der Freiheit« stehen, wird der Trend zur diskontinuierlichen Erzählweise deutlich. Es gibt nur einzelne Episoden, zwischen denen eine Figur aus der alten Episode in die folgende vermittelt. Erneut greift Buñuel die bürgerlichen Normen an. Wenn die zur Erschießung bereitstehenden Spanier in »Nieder-mit-der-Freiheit«-Rufe ausbrechen, eine Abendgesellschaft sich auf Kloschüsseln sitzend zusammenfindet oder Mönche um Devotionalien pokern dann sind das surrealistisch verzerrte Verspottungen Buñuels.
  • Deutscher Titel: Dieses obskure Objekt der Begierde
  • Original-Titel: CET OBSCUR OBJET DU DESIRE
  • Land: Frankreich
  • Jahr: 1977
  • Regie: Luis Buñuel
  • Drehbuch: Luis Buñuel, Jean-Claude Carrière
  • Kamera: Edmond Richard
  • Schauspieler: Fernando Rey, Carole Bouquet, Angela Molina
In seinem letzten Werk zieht der 77-Jährige, fast taube Luis Buñuel noch einmal alle Register seines Könnens: »Dieses obskure Objekt der Begierde«, die Geschichte der Tänzerin Conchita, die den reichen Lebemann Mathieu um den Verstand bringt, wird beim Altmeister des Surrealismus zur ironischen Parabel auf den desolaten Zustand der Bourgeoisie.
Pierre Louys Roman »La femme et le pantin« von 1898 wurde bereits mehrfach verfilmt, u.a. 1935 von Josef von
Sternberg
mit Marlene Dietrich (»Die spanische Tänzerin«) und 1958 von Julien Duvivier mit Brigitte Bardot (»Ein Weib wie der Satan«). Während sich diese Filme auf den melodramatischen Gehalt der Femme-fatale-Story konzentrierten, zeigt Buñuel die Brüchigkeit einer scheinbar fest gefügten bürgerlichen Ordnung.
Am Anfang des Films gießt Mathieu (Fernando Rey) aus dem Zug heraus der jungen Conchita einen Eimer Wasser über den Kopf. Während der Fahrt erklärt er den Mitreisenden im Abteil sein Verhalten: In Rückblenden zeigt der Film, wie Conchita als Hausmädchen zu ihm kommt, wie der alte Lüstling sogleich versucht, sie zu verführen, sie jedoch all seinen Bemühungen widersteht. Die Schöne findet Gefallen daran, mit ihm zu spielen. Sie betrügt ihn vor seinen Augen, oder sie läßt ihn bereitwillig in ihr Bett, wo er vor einem festverschnürten Korsett kapitulieren muss. Mathieu bleibt ihr verfallen selbst dann noch, als sich Conchita Terroristen anschließt.
Während der Dreharbeiten zerstritt sich Luis Buñuel mit seiner Hauptdarstellerin Angela Molina. Um den Film zu retten, besetzte er die Rolle der Conchita doppelt. Leinwand-Debütantin Carole Bouquet sprang für die schöne Spanierin ein. Der Umstand, dass das obskure Objekt der Begierde von zwei Frauen verkörpert wird, verstärkt die irritierende Wirkung des Films.
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