Lexikon

Fontane, Theodor: Effi Briest

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Mit „Effi Briest“, von Thomas Mann der beste deutsche Roman seit den „Wahlverwandtschaften“ genannt, hat sich Theodor Fontane einen festen Platz in der Weltliteratur erworben. Er hat darin ein Thema behandelt, das in der europäischen Erzählliteratur vielfach aufgegriffen wurde: das Thema des Ehebruches. Jahrzehnte vor ihm schilderte der Franzose Gustave Flaubert das Problem in seiner damals wegen Unsittlichkeit heftig attackierten „Madame Bovary“ (1857), fast 20 Jahre später entwarf der Russe Leo Tolstoi ein breites Fresko aus der oberen Gesellschaft in „Anna Karenina“ (1878), und kurz vor der Jahrhundertwende fühlte sich Fontane durch einen Vorfall in der Gesellschaft angesprochen, der ihm vertraulich mitgeteilt wurde. Als er bei einem Arbeitsurlaub in Thale im Harz ein englisches Geschwisterpaar beobachtete (Beobachtung war überhaupt seine Leidenschaft), da sah er das Urbild seiner Effi vor sich, und er konnte an die Arbeit gehen, zunächst an das „Brouillon“, den Rohentwurf, dann an die Ausführung und zuletzt an die stilistische Überarbeitung. Von 1892 bis 1895 schrieb der fleißige Schriftsteller, der, das sollte man nicht übersehen, im 74. Lebensjahre stand, an dem Roman, der zuerst 1896 im Vorabdruck in der Zeitschrift „Deutsche Rundschau“ im Verlag seines Sohnes Friedrich Fontane erschien.
„Vielleicht ist mir Effi Briest so gelungen, weil ich das Ganze träumerisch und fast wie mit einem Psychographen geschrieben habe . . . Es ist so wie von selbst gekommen, ohne rechte Überlegung und ohne alle Kritik.“ Dies Urteil des passionierten Briefschreibers vom 2. März 1895 darf man nicht so wörtlich nehmen, denn die kritische Distanz ist bei keinem Erzählwerk Fontanes, auch nicht bei diesem fast vollkommenen Werk, völlig ausgeschaltet.
Baron Gert von Innstetten, ehrgeiziger und übertrieben korrekter Landrat des Kreises Kessin, hält bei den Briests um die Hand der 17-jährigen, lebenslustigen und fröhlichen Tochter Effi an und führt sie in das neueingerichtete Haus in dem kleinen hinterpommerschen Ort. Weder der liebenswürdige Apotheker Gießhübler, noch Bälle und Veranstaltungen, noch die Geburt der Tochter Annie vermögen die Einsamkeit der jungen, sich nach Zärtlichkeit und Liebe sehnenden Frau in dem als Spukhaus geltenden Haus zu bannen. So wendet sie sich, mehr aus Langeweile denn aus Leidenschaft, dem Major von Crampas zu, der als „Frauenmann“ auf einige Affären zurückblicken kann. Über acht Jahre danach erfährt ihr Mann, der, zum Ministerialrat befördert, nun mit seiner Frau in Berlin lebt, zufällig von dem Verhältnis seiner Frau und fordert, dem Ehrenkodex der Zeit gehorchend, den Beleidiger seiner „Ehre“ zum Duell heraus und tötet ihn. Effi, die daraufhin von ihrem Manne geschieden wird, siecht dahin, wird von den Eltern, auf Bitten eines Arztes, in ihrem Hause aufgenommen und verbringt dort, gebrochen, getrennt von ihrer Tochter, ihre einsamen Tage. Knapp 30-jährig verstirbt sie in Hohen-Cremmen und wird da beerdigt. Obwohl Fontane nirgendwo unmittelbar Anklage erhebt, stellt er doch die Fragwürdigkeit der Konventionen und der „ungeschriebenen Gesetze“ im damaligen Preußen-Deutschland kritisch dar. Fontane war es klar, dass die Moral in diesem Lande doppelbödig und heuchlerisch geworden war. Diese Einsicht wird in dem großartigen Gespräch zwischen Innstetten und dem Baron von Wüllersdorf (27. Kapitel) gestaltet, und zugleich wird deutlich, dass der streberische, überkorrekte Beamte Innstetten nur mit Hilfe von „Hilfskonstruktionen“ weiter sein Leben fristen kann. Die Tragik dieser Konventionen wird von Fontanes Darstellung dadurch deutlich gemacht, dass jeder auch lnnstetten ihre Fragwürdigkeit erkennt und dennoch nach ihnen handelt.
Fontane, der immer Menschenbeobachter aus Passion war, hat hier eine Galerie von Charakteren geschaffen, die unvergesslich ist. Nicht nur die liebenswürdige Effi ergreift den Leser, auch der korrekt sachliche Innstetten ebenso wie der charmante Hasardeur von Crampas sind liebenswert gezeichnet. Fontanes große Kunst offenbart sich in den Nebenfiguren, von denen hier nur drei genannt seien: der zurückhaltende, aber seine Tochter verstehende Herr von Briest, der schwärmerische und den Künsten zugeneigte Apotheker Gießhübler (womit Fontane dem Apothekerstande, als dessen Lehrling er einst begann, eine Reverenz erweist) und die treue, ungebildete, aber menschlich redliche Dienerin Roswitha Gellernshagen, die „uns allen über ist“, wie Wüllersdorf erkennt. In dem Roman sind, so meint C. Wandrey, „alle Vorzüge der Fontaneschen Kunst vereinigt: der wohlproportionierte Bau des Ganzen, das Durchkomponierte des Einzelnen, das Ableuchten der Szenen und Situationen bis in den Winkel“. Man sollte dabei keineswegs die Kunst der Gesprächsführung übersehen, die in jedem Roman des märkischen Erzählers bewundernswert ist, die aber hier einen Gipfel erreicht. An keiner Stelle spürt man ein Nachlassen der Schöpferkraft, nirgends kann man eine Schluderei beobachten, alles ist hier durchdacht, vor allem meisterhaft die voraus- oder zurückdeutenden Passagen. In dem Werk ist nichts dem Zufall überlassen, aber alles wirkt leicht und locker, man spürt nicht die gewaltige Arbeit und Überlegung. Thomas Manns Bemerkung über das Werk er war überhaupt ein Bewunderer Fontanes trifft völlig zu: „Effi Briest ist ein Kronjuwel erzählender europäischer Prosa.“
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