Lexikon

industrille Revolution

Anfang des 19. Jahrhunderts in Analogie zur Französischen Revolution gebildeter Begriff, der zunächst den tief greifenden Wandel in der Produktionstechnik bezeichnete. Da sich mit den Produktionsbedingungen auch die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse dramatisch veränderten, wurde der Begriff von L. A. Blanqui (1837) und F. Engels (1844/45) erweitert; industrielle Revolution bezeichnete nun die Phase rascher technischer, wirtschaftlicher und sozialer Veränderungen, durch die sich seit Ende des 18. Jahrhunderts zunächst England
Das Elend einer Industriestadt
Das Elend einer Industriestadt
Der französische Schriftsteller Alexis de Tocqueville berichtet von Reiseeindrücken in England 1835:

Auf dem Gipfel der Hügel, die ich eben beschrieben habe, erheben sich dreißig oder vierzig Fabriken. Mit ihren sechs Stockwerken ragen sie hoch in die Luft. Ihr unabsehbarer Bereich kündet weithin von der Zentralisation der Industrie. Um sie herum sind gleichsam willkürlich die erbärmlichen Behausungen der Armen verteilt; auf unzähligen gewundenen schmalen Pfaden gelangt man dorthin ... Einige dieser Straßen sind gepflastert, aber die Mehrzahl besteht aus Buckeln und schlammigem Boden, in dem der Fuß des Passanten oder der Wagen der Reisenden einsinkt. Kehrichthaufen, Trümmer von Häusern, Lachen mit fauligem Wasser scheinen da ...

Aus diesem übel riechenden Labyrinth, inmitten dieses unermesslich und düsteren Ziegelhaufens ragen hin und wieder herrliche Steinpaläste auf, deren kannelierte Säulen das Auge des Fremden überraschen. Man denkt an eine mittelalterliche Stadt, in der sich die Wunderwerke des neunzehnten Jahrhunderts hinbreiten ...
Über dem Landstreifen, der tiefer liegt als der Flussspiegel und überall von gewaltigen Werkstätten beherrscht wird, erstreckt sich ein Sumpfgebiet, das durch die in großen Abständen angelegten Gräben weder trockengelegt noch saniert werden konnte. Dort enden gewundene und enge Gässchen, gesäumt von einstöckigen Häusern, deren schlecht zusammengefügte Bretter und zerbrochene Scheiben schon von weitem eine Art letzten Asyls ankünden, das der Mensch zwischen Elend und Tod bewohnen kann.
Unter diesen elenden Behausungen befindet sich eine Reihe von Kellern, zu der ein halb unterirdischer Gang hinführt. In jedem dieser feuchten und abstoßenden Räume sind zwölf bis fünfzehn menschliche Wesen wahllos zusammengestopft.
Um dieses Elendsquartier herum schleppt einer der Bäche, die ich vorhin beschrieben habe, langsam sein stinkendes Wasser, das von den Industriearbeiten eine schwärzliche Farbe erhält ...
Ein dichter, schwarzer Qualm liegt über der Stadt. Durch ihn hindurch scheint die Sonne als Scheibe ohne Strahlen. In diesem verschleierten Licht bewegen sich unablässig dreihunderttausend menschliche Wesen ...
Inmitten dieser stinkenden Kloake hat der große Strom der menschlichen Industrie seine Quelle, von hier aus wird er die Welt befruchten. Aus diesem schmutzigen Pfuhl fließt das reine Gold. Hier erreicht der menschliche Geist seine Vollendung und hier seine Erniedrigung; hier vollbringt die Zivilisation ihre Wunder, und hier wird der zivilisierte Mensch fast wieder zum Wilden."
, dann die meisten kontinentaleuropäischen Staaten sowie die USA und Japan aus Agrar- zu Industriegesellschaften entwickelten. Die industrielle Revolution war also weniger (plötzliche) „revolutionäre Umwälzung“, sondern eher Höhepunkt einer langen Entwicklung. Mit ihr einher ging die Entwicklung neuer Verkehrs- und Transportmittel (vor allem Dampfschiff, Eisenbahn) und ein starkes Bevölkerungswachstum; sie erzeugte auf der einen Seite einen starken Fortschrittsoptimismus, auf der anderen führte sie (u. a. durch Verelendung der Industriearbeiter und die sich verschärfenden sozialen Gegensätze) zur Entstehung der Arbeiterbewegung und des Marxismus.
Als Voraussetzungen und Ursachen der industriellen Revolution gelten: 1. Erfindung neuer Maschinen (Dampfmaschine, Spinn- und Webmaschine) sowie neuer Produktionsverfahren, vor allem bei der Eisen- und Stahlgewinnung (ab circa 1760); sie ermöglichten bzw. erzwangen den Übergang vom Verlags- oder Manufaktursystem zur Fabrik bzw. zum Industriebetrieb; 2. Verfügbarkeit von freiem Kapital, das aus dem (Übersee-)Handel stammte; es gab den Anstoß zur wirtschaftlichen Nutzung der neuen Technologien; 3. Vorhandensein einer „industriellen Reservearmee“; durch die sog. agrarische Revolution (Intensivierung der Anbaumethoden und Bauernbefreiung) entstand ein ländliches Proletariat, das von der Landwirtschaft nicht mehr leben konnte und in großer Zahl in die wachsenden Industriestädte drängte, wo es nun als (billige) Arbeitskräfte zur Verfügung stand.
Im Zusammenhang mit Automation, Nutzung der Kernenergie, der elektronischen Datenverarbeitung und der Globalisierung sowie den dadurch verursachten wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts wird auch von einer zweiten industriellen Revolution gesprochen; sie kennzeichnet den Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungs- oder Informationsgesellschaft.
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