Lexikon

Staat

Recht
die höchstorganisierte Ordnungseinheit menschlichen Zusammenwirkens (H. Heller), deren Eigenart darin besteht, dass sie das Monopol der legitimen physischen Gewaltanwendung besitzt (M. Weber). In einem allgemeinen Sinn besteht eine staatliche Ordnung überall dort, wo eine politische Ordnung mit der Möglichkeit der Zwangsanwendung ein Mindestmaß von Ordnung des Zusammenlebens garantiert. Nach der Drei-Elementen-Lehre bedarf es zur Existenz eines Staats des Staatsvolks, des Staatsgebiets und der Staatsgewalt. Die Staatsgewalt stellt das organisierende Element dar, sie ist entscheidend.
Unter rechtlichen Gesichtspunkten (juristischer Staatsbegriff) stellt der Staat eine juristische Person dar, eine Gebietskörperschaft mit oberster, unabgeleiteter Anordnungsgewalt, die zugleich Gebietsherrschaft und Personenherrschaft ausübt.

Staatsformen

Die Staatsformen, d. h. die Arten der organisatorisch-soziologischen Struktur des Staats, können gegliedert werden:
1. Nach der Repräsentanz des Staats (Staatsoberhaupt) unterscheidet man Monarchie und Republik, wobei alle Nicht-Monarchien Republiken sind, auch Diktaturen.
2. Bei der Unterscheidung nach dem Träger der Staatsgewalt versagt die klassische Dreiteilung des Aristoteles nach der Herrschaft des Einzelnen, mehrerer oder vieler nebst ihren Zerrformen (Monarchie, Aristokratie, Politeia [Demokratie] einerseits, Tyrannis, Oligarchie, Demokratie [Anarchie] andererseits). Die heutigen Alternativen verfassungsrechtlicher Art sind Demokratie oder Nichtdemokratie (Monokratie, Autokratie). Denn es kommt darauf an, ob die Staatsgewalt beim Volk liegt (Demokratie) oder bei Klassen, Ständen, Gruppen, Einheitsparteien oder sogar in der Hand eines Einzelnen („Führerstaat“).
3. Bei den Regierungsformen wird unterschieden: parlamentarisches System oder keine Abhängigkeit der Regierung vom Vertrauen des Parlaments (das parlamentarische System haben z. B. Großbritannien und die Bundesrepublik Deutschland, nicht dagegen die USA und die Schweiz). Nach der Organisationsform und der Stellung des Regierungschefs wird unterschieden zwischen dem sog. Kanzlersystem (der Regierungschef „bestimmt die Richtlinien der Politik“) und dem Kollegialsystem.
4. Weiter besteht die Unterscheidung zwischen unitarisch und föderalistisch organisierten Staaten (Föderalismus), wobei die Staatsgestaltung Frankreichs, Italiens und Großbritanniens mehr nach der ersten, diejenige der USA, der großen lateinamerikanischen Staaten, der Bundesrepublik Deutschland, der Schweiz und Österreichs mehr nach der zweiten tendiert.
5. Unter funktionalen Gesichtspunkten hat C. Schmitt die Einteilung nach Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und Justizstaaten vorgeschlagen, was auf eine unterschiedliche Ausprägung bestimmter Staatstätigkeiten hinweist.
6. In gruppensoziologischer Sicht kennzeichnet man Staaten nach den jeweils herrschenden, d. h. im Wesentlichen auch in den sozialen Prestigeansichten an der Spitze befindliche Gruppen: Beamtenstaat, Militärstaat, Ständestaat, Parteistaat, wobei zu beachten ist, dass gerade diese Begriffe oft stark polemischen Charakter haben.
7. Nach historisch-politischen Gesichtspunkten lässt sich jedenfalls für Europa in der Neuzeit eine Entwicklung in folgender Richtung feststellen: a) der absolutistische Staat (als Wiege des modernen Staats) mit der Ausgestaltung der Bürokratie, der Erweiterung der Staatstätigkeiten, der Entwicklung der militärischen Macht, gestützt vornehmlich auf den Adel als privilegierte Schicht; b) nach der Französischen Revolution der Übergang zur konstitutionellen Monarchie unter Anerkennung von Gewaltenteilung, beginnender Ausprägung von Grundrechten, was sich mit der Form eines liberalen Rechtsstaats verbinden lässt; c) der republikanisch-demokratische Verfassungsstaat moderner Prägung unter Einschluss des parlamentarischen Systems, der Grundrechte und der Rechtsstaatlichkeit. Dabei kann sich die Form einer Diktatur einschieben, wie sie in Europa nach dem 1. Weltkrieg als Zeichen der Krise der Demokratien (Ausnahme: Großbritannien, Skandinavien, Schweiz) in den verschiedensten Formen verwirklicht wurde (Mussolini, Hitler, aber auch Primo de Rivera, Dollfuß, Piłsudski, Antonescu). Die Diktatur steht als Bedrohung der Demokratie stets im Hintergrund; sie kennzeichnete als Dauereinrichtung die meisten kommunistischen Staatensysteme.

Entstehung des Staates

In soziologisch-geschichtlicher Sicht entwickelt sich eine politische Ordnung zunächst im kleinen Kreis der Gruppe, des Stammes (so z. T. noch heute in Ozeanien), kann jedoch, selbst bei nicht sesshaften Völkern (Mongolen unter Tschingis Chan), zu großen Gesamtleistungen führen.
Kultische und religiöse Überzeugungen wirken einheitsbildend und können der staatlichen Ordnung ihr Gepräge auch durch die Ausgestaltung der Führerschicht geben (ägyptisches Priesterkönigtum, Inkakult). Im Abendland entwickelte sich der Staat von der durchorganisierten Polis der Griechen (ähnlich Rom) zum Flächenstaat mit unterschiedlich starker Ordnungskraft. Das universalistische Reich des Mittelalters mit der Teilung in weltliche und geistliche Herrschaft (wobei letztere auch weltliche Herrschaft bedeutete) ließ einen Staatstypus entstehen, in dem es einander übergeordnete autonome Bereiche ohne „Durchgriffsrecht“ gab, wobei die Ordnungskraft der kleineren Gemeinschaften sich als stärker erwies als die der großen (Stadtrecht bricht Landrecht, Landrecht bricht Reichsrecht). Im absolutistischen Territorialstaat wurde dieser Grundsatz umgekehrt. Mit Hilfe der Souveränitätstheorie wurden die untergeordneten Gewalten zugunsten des zentralen Staatsapparats beseitigt. Diese Grundsituation blieb auch bei der Entwicklung der Nationalstaaten und damit des heute beherrschenden Typus bestehen, trotz aller Verschiedenheit des Aufbaus (Föderalismus) oder der Staatsform. Das europäisch-amerikanische Modell der Staatlichkeit wurde auch für Asien und Afrika maßgebend, wo die politische Ordnungsform der einheimischen Bevölkerung vom westlichen Kolonialismus überlagert wurde, bis die Entkolonialisierung den Weg für autonome Staatsgründung frei machte.
Die Entstehung von Staaten ist heute nur noch durch eine Neugruppierung bisheriger staatlicher Einheiten möglich: Zerfall eines Staats (Dismembration; so Österreich-Ungarn 1918, Pakistan 1971, Jugoslawien 1991), Bildung neuer Staaten aus Teilen anderer Staaten (juristisch gesehen, nicht im historischen Sinn Polen 1919), Vereinigung bisheriger Staaten zu einem neuen Staat (Fusion; z. B. das Deutsche Reich 1871).
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