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Lust am Experimentieren

Eintönige Arbeit ist nichts für Deutschlands junge Winzer. Denn die heute 20- bis 35-jährigen Weinmacher haben eine sehr gute Ausbildung genossen, konnten meist auch internationale Erfahrungen sammeln und nun steht ihnen quasi die Weinwelt offen.
Wolfgang Hubert, 05.11.2015

Im Vorfeld herrschten auch Zweifel. Wer wird mitmachen beim ersten Wettbewerb "Deutschlands beste Jungwinzer" des Genussmagazins selection, fragten sich nicht zuletzt etliche Kollegen der Fachpresse. Doch dann gelang dem Verkostungs- und Redaktionsteam ein Coup. Nach ein paar Gesprächen konnten sie sich optimalen Beistand sichern. So wurde die Suche schließlich unterstützt von "Vinissima Frauen & Wein e.V.", der renommierten Prof. Dr. Ruth Fleuchaus von der Hochschule Heilbronn, Studiengang Weinbetriebswirtschaft, den regionalen Weinverbänden und Initiatoren der Jungwinzervereinigung "Generation Riesling", die für eine breite Informationsstreuung sorgten.

Das hat bestens funktioniert. Und die Resultate bewiesen, dass man sich keine Sorgen machen muss um den Winzernachwuchs in Deutschland. Der schickte gut 450 seiner aktuell besten Weine ins Rennen.

Die vierte Weinfarbe - zu Rot, Weiß und Rosé gesellt sich jetzt Orange.

thinkstock.com, premat

Bei den Verkostungen zeigte sich, dass neben nahezu klassisch perfekt ausgebauten Weinen auch ein bemerkenswerter Anteil von so genannten experimentellen Weinen in die Goldränge kamen. Beispielsweise so genannte Orange Wines, das sind Weine aus weißen Rebsorten, deren Trauben für meist mehrere Tage auf der Maische vergoren werden, wie man es sonst von Rotweinen kennt. Die Weine nehmen dadurch eine intensivere, oft orangeähnlich anmutende Farbe an. Dazu haben sie, ähnlich wie Rotwein, mehr oder weniger deutliche Tannine und zeigen sich, vor allem wenn sie noch jung sind, von einer zartbitteren Seite. Das alles bewirkt, dass viele Orange Wines nicht mehr so schmecken, wie man von anderen Weine aus derselben Rebsorte kennt. Wenn man also einen Riesling oder Silvaner dieser Ausbauart probiert, muss man sich darüber klar sein, dass er meist völlig anders riecht und schmeckt. Was den einen oder anderen Schreiber dazu animiert, schaudernd von stinkenden Brühen oder ganz einfach von Dreck zu berichten.

Tüftler im Weinberg und Keller

Anstatt jedoch erst einmal diese Kategorie von Grund auf mies zu machen, würde es nicht schaden, einen Blick zurück zu wagen. Ich erinnere mich noch sehr gut an die ersten Versuche etlicher Winzer mit dem Ausbau in Barriques. Da gab es selbst von Top-Winzern Weine zu verkosten, die völlig vom Holzgeschmack erschlagen waren und auch noch Jahre später eher an frisch gelegten Parkettboden als an Spät- oder Weißburgunder erinnerten. Auch damals gab es reichlich Stimmen, die jede Art von Holzausbau bei deutschen Weinen für völligen Unfug hielten und strikt ablehnten. Da hat sich in der Zwischenzeit die Stimmungslage doch sehr verändert.

In den 1980er Jahren kam der Barriqueausbau weltweit in Mode - auch in Deutschland wurde experimentiert.

thinkstock.com, kavcicm

Also nicht abschrecken lassen, sondern erst einmal selbst probieren. Etwa die Weine von Martin Metzler, vom Weingut Metzler in Bermersheim v.d.H., der beim selection-Wettbewerb sowohl der "Beste Jungwinzer Rheinhessen" wurde, als auch in der Kategorie "Experimentelle Weine" Sieger wurde. Mit seinem 2014er Mandelberg Riesling, der animierend nach gelben Früchten und weißen Pfirsichen duftet, erreichte er Gold und 89 von 100 Punkten. Was aber macht er bei diesem Wein anders als bei den sonstigen Weinen?

Dieser Riesling ist aus seiner besten Einzellage, dem Lonsheimer Mandelberg, und bereits im Weinberg wurde die Grundlage für den Siegerwein gelegt. Angefangen bei einer sehr radikalen Handentblätterung in der Traubenzone und späteren Reduzierung der Trauben pro Stock und später nochmals bei der Vor- und der Hauptlese im Weinberg. So hatte er letzten Endes einen Ertrag von gerade mal 20 Hektoliter pro Hektar, selbst die Topweine aus Bordeaux weisen meist einen höheren Ertrag auf. Danach fand eine 24-stündige Maischestandzeit statt. 80 Prozent dieser Ernte wurde daraufhin gekeltert und vorgeklärt.

Vom Weingut Metzler Bermersheim v.d.H., stammt der Sieger in der Kategorie "Experimentelle Weine".

Wolfgang Hubert

"Danach haben wir den Most in ein Barriquefass gelegt und hier kamen die restlichen 20 Prozent unserer Ernte als ganze Beeren dazu und blieben während der achtwöchigen Spontangärung im Gebinde", erklärt Martin Metzler. Nach der Gärung wurden die Beeren vom Rest getrennt und abgepresst. Im Anschluss hatte der Mandelberg Riesling acht Monate Zeit im Edelstahlgebinde auf der Feinhefe zu reifen, bevor er in die Flasche kam. Und später von den Jurorinnen und Juroren völlig zu Recht Gold erhielt.

Der Winzer selbst, dessen Vater bereits in den 1970er Jahren mit ökologischem Weinanbau begann, ist so ziemlich für alles offen, sofern der Wein am Schluss schmeckt. "Meine Frau Sarah und ich wollen den Mut und Spaß zu neuem nicht verlieren", so Martin Metzler, der 2004 seinen ersten eigenen Wein ausbaute und mit dem 2014er Jahrgang, quasi einem Jubiläum einen Doppelsieg errang.

Das könnte auch bei mittelfristigen des Paares Ziel helfen. Denn sie wollen mehr von ihren Experimentellen Weinen an die Kunden vermitteln können. Wenn jene so sind wie der Mandelberg Riesling, sollte das nicht schwer fallen.

Auf Pferdestärke setzen

Auch der Gesamtsieger des Wettbewerbs, Christian Nett vom Weingut Bergdolt-Reif & Nett in der Pfalz, hat seine eigenen Ideen vom Wein. Gerade von seinen Burgundern, etwa dem 2014er Weißburgunder trocken Avantgarde Elf, der nach Stachelbeeren, gelben und exotischen Früchten duftet, und von den Juroren mit enormen 94 Punkten bewertet wurde. Nicht viel weniger erhielt sein 2014er Grauburgunder trocken Avantgarde Hansen.

Weshalb beide Sorten ganz oben stehen, hat seinen Grund. Die heute im allgemeinen erhältlichen Reben haben mit der Rebenvermehrung der 1970er und 1980er Jahre ihre qualitativ wichtigen Merkmale, wenig Trauben mit kleineren Beeren, oft verloren. "Doch genau die kleinen, sehr aromatischen Trauben erhalten die volle Mineralik des Bodens, die pralle Sonne eines Sommers und ausreichend Feuchtigkeit aus der Tiefe, um zur absoluten Reife zu gelangen", meint der Winzer. Deshalb hat er mit seinem Vater 2004 die besten der über 50 Jahre alten Reben aus der Top-Lage Mandelberg selektiert und selbst weiter vermehrt. 2006 konnten sie in der Parzelle erstmals ihren eigenen Weißburgunder und 2007 den ersten eigenen Grauburgunder anlegen.

Spaziert man mit ihm über seine Weinberge, sieht man in den Toplagen zwischen den Rebzeilen Pferdeäpfel statt Traktorspuren. Wieso denn das? “Weil es die Erde lockerer lässt und den Boden zum Atmen bringt. So kommt mehr Qualität in die Traube und mehr Charakter in den Wein”, ist Christian Nett überzeugt und streichelt sein Rheinisch-Deutsches Kaltblut namens Vicky. In den Genuss dieser behutsamen, aufwändigen und handarbeitsintensiven Bewirtschaftung mit Hilfe der Pferdekraft kommen bisher nur die Rebstöcke für die drei Topweine Grauburgunder, Spätburgunder und Weißburgunder aus der Spitzenlage Mandelberg. Schließlich muss der Winzer ja auch noch im Keller arbeiten. Mit Top-Resultaten.

Alle Sieger, die besten Jungwinzer der selection-Verkostung und deren Weine finden sich auf wein.com.

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