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Mein Sohn wird sich zu Tode schämen

»Höhenrausch« heißt der fünfte Roman von Ildikó von Kürthy. Die Protagonistin ist Linda Schumann: leicht neurotisch, frisch verlassen und verliebt in einen verheirateten Mann. So ganz anders als ihre Erfinderin von Kürthy. Oder? Im Interview erzählt die Hamburger Autorin, wie sie mit 38 noch einmal Single spielte (Recherche!), was sie von ihrer Heldin unterscheidet und wie entwürdigend Umstandsmode ist.

von Eva Lehnen, bücher

Um Ihren neuen Roman »Höhenrausch« zu schreiben, sind Sie für zwei Monate von Hamburg nach Berlin gezogen. Hat Ihnen der Ortswechsel gut getan?

Ich wollte die Handlung meines Buches selbst erleben: Einsame, unglückliche Heldin zieht nach Berlin. Ich wollte es mir so richtig schlecht gehen lassen.


Frank Grimm; bücher
Ist Ihnen das gelungen, waren Sie denn unglücklich in Berlin?
Ich leide ja sehr schnell unter Heimweh. Die zwei Monate vor meinem Umzug, als ich noch in Hamburg war, waren am schlimmsten. Ich bin ein eher häuslicher Mensch und bin deshalb fest davon ausgegangen, dass alles ganz schrecklich werden wird. Ich habe mir eine kleine Wohnung am Prenzlauer Berg zur Untermiete genommen und fand Berlin dann wider Erwarten total super. Die Stadt vermittelt einem das Gefühl, man hätte noch jede Menge im Leben vor sich, in dem noch jede Menge möglich sei.

Das typische Berlin-Gefühl, alles ist möglich, jeder macht, was er will …
Mir hat es gut getan, mal aus dem üblichen Alltagstrott herauszukommen und das eigene Leben aus 300 Kilometern Distanz zu betrachten. Ich habe ein paar Dinge in meinem Leben gesehen, die nicht so ganz stimmen und sie dann auch gleich korrigiert.


Zum Beispiel?

Ich habe meinen Redakteursvertrag beim »Stern« gekündigt. Ich wollte zwar länger schon etwas freier sein, aber die Aussicht hat mir bislang immer eher Angst gemacht, als dass sie mich gelockt hat. Und in Berlin, da haben ja nun die meisten Leute keinen festen Job und leben mit deutlich weniger finanzieller Sicherheit als ich. Das hat mir Mut gemacht. Ich habe meine Entscheidung noch keine Sekunde bereut. Mir gefällt das selbstbestimmte Leben.


Mit Ihrem Ehemann, dem Journalisten Sven Michaelsen, sind Sie seit neuen Jahren zusammen. Wie hat es sich angefühlt, plötzlich wieder »Single« zu sein?

Ich habe Internetdating ausprobiert. Recherche! Bei meiner ersten Verabredung war ich so aufgeregt, als wäre ich nicht nur Single, sondern noch dazu 14 Jahre alt. Er hatte das Pseudonym »Don Döner«, und wir hatten uns per Mail nachmittags in einem Café verabredet. Das, was ich in meinem Steckbrief bei meinem Gewicht runtergeschummelt hatte, hatte er bei seiner Körpergröße dazu geschummelt. Er redete die ganze Zeit von sich. Von mir wollte er gar nichts wissen. In diesem Fall war mir das nur recht, weil ich gar nicht erst in die Verlegenheit kam, erklären zu müssen, dass ich eigentlich gar nicht auf der Suche nach einem Mann bin, sondern bloß nach lustigen Geschichten für mein Buch.


Dates mit Don Döner, rauschende Partynächte, Sie alleine in Berlin. Was hat Ihr Mann denn dazu gesagt?

Der hat sich das milde lächelnd angehört. Mein Mann ist ja ein ziemlich cooler Kerl. Der freut sich, wenn es mir gut geht. Sein Standpunkt ist: Alles, was mein Leben bereichert, bereichert auch seines. Ab und zu hat er mich besucht, und das war super. Ein Date mit dem eigenen Mann! Es gab natürlich die wildesten Gerüchte. Alle die uns nicht gut kennen, dachten: Krise! Die lassen sich scheiden! Das Beste was mir zu Ohren gekommen ist: Ich sei jetzt mit einem Anwalt aus dem deutschen Hochadel zusammen und würde mit ihm ein Penthouse beziehen. Ich kenne keinen einzigen Hochadeligen, und ich habe Höhenangst.


Ist das Singleleben lustiger als das Pärchendasein?

Nein. Lange Beziehungen sind auf gewisse Weise genauso absurd-komisch wie das Singledasein. Aber das Singleleben ist romantauglicher. Singles kann man die wildesten Situationen andichten, ihr Leben gibt einfach mehr Geschichten her als das von Leuten wie mir: Ehefrau, schwanger, hockt zu Hause, schreibt Bücher.


Vermissen Sie das Singlesein denn nicht manchmal?

Ja, besonders dann, wenn mein Mann unverständlicherweise was an mir auszusetzen hat. Ich mag gerne lange Beziehungen. Auch zu Autos, Freunden und bestimmten Schokoladensorten. Zwischendurch war ich auch mal zwei, drei Jahre allein. Das kann ich auch gut. Wenn ich meinen Mann nicht hätte, dann hätte ich lieber keinen. Ich gehöre nicht zu den Frauen, die um jeden Preis einen Typen brauchen.


Sie haben mal gesagt: »Um nichts in der Welt möchte ich heutzutage ein Mann sein müssen.« In vier Monaten soll Ihr Sohn auf die Welt kommen. Tut er Ihnen jetzt schon Leid?

Ich tue mir selbst am meisten Leid, weil ich in Zukunft all die furchtbaren Frauen vergraulen muss, die er anschleppt.


Ahnen Sie schon, was für eine Art Mutter Sie werden?

Ich weiß es nicht. Vielleicht werde ich so eine Schreckschrauben-Schwiegermutter, vielleicht zieht er mit 14 aus, vielleicht werde ich eine Superglucke oder vergesse mein Kind ständig in irgendwelchen Umkleidekabinen. Neulich war ich im Freibad und habe kleine Jungs beobachtet. Was ich da gesehen habe, war schrecklich. Lauter schlecht erzogene, fiese, kleine Typen! Enttäuschend! Letzte Woche bei Ikea war ich dann allerdings wieder sehr versöhnt. Dort habe ich einen sehr süßen kleinen Jungen erspäht. Ich habe ihn durch das halbe Möbelhaus verfolgt, bloß um ihn einmal von vorne zu sehen. So einen will ich auch.


Schwangere lassen sich ja zu den absonderlichsten Dingen hinreißen. Bestreuen Marmeladenbrötchen mit gehackten Kapern, bekommen Nervenzusammenbrüche, wenn ein Lkw neben ihnen hupt. Wie bekommt Ihnen die Schwangerschaft?

Total gut. Ich habe da ziemliches Glück. Übel wurde mir auch immer nur dann, wenn ich zu wenig im Magen hatte. Das kam meinem verfressenen Charakter sehr entgegen, kam also fast nie vor. Aber man macht ja auch ohne gesundheitliche Probleme einiges mit. Alleine Umstandsmode anzuprobieren ist komplett entwürdigend. Neulich stieß ich bei ausgiebigen Internetrecherchen auf »Schluppi«, die Schwangerschaftsunterhose, groß wie ein Einmannzelt! Das sind ungeahnte Welten. Zum Glück war ich mal dicker und habe noch ein paar Sachen im Schrank, die mir eben jetzt wieder passen.


Macht Ihnen der Gedanke, bald Mutter zu werden, Angst?

Ich bereite mich auf unser Kind vor, indem ich versuche, mir möglichst wenig vorzumachen. Was ich vermute: In wenigen Bereichen wird so viel Idyll-Korrektur betrieben wie beim Muttersein und Mutterwerden. Wer ist denn schon ernsthaft begeistert, wenn er nicht mehr durchschlafen kann, geschwollene Füße hat, oder sich die Bluse mit Fruchtwasser versaut? Das ist einfach nicht schön. Ich sehe haufenweise Paare, die sich trennen, nachdem sie ein ersehntes Kind bekommen haben, es aber einfach miteinander nicht auf die Reihe bekommen. Ein Kind bedeutet auch immer Krise. Je mehr man sich das vorher klar macht, desto weniger ist man später überrascht. Hoffe ich zumindest. Fragen Sie mich in einem halben Jahr nochmal.


Sie sind jetzt 38 Jahre alt. Hätten Sie lieber früher schon ein Kind bekommen?

Der Zeitpunkt jetzt ist gut, vor acht Jahren wäre es aber auch völlig okay gewesen. Ich fühle mich nicht zu alt.


Ihr Mann geht in Rente, wenn Ihr Kind Abitur macht.

Na und? Meine Eltern waren auch eher alt, und ich habe überhaupt nicht darunter gelitten.


Geben Sie ihrem Sohn Ihre Bücher zu lesen, damit er möglichst schnell lernt, wie die Frauen ticken?

Wahrscheinlich wird er sich zu Tode schämen, wenn er meine Bücher liest und aus Protest lieber Schopenhauer auswendig lernen. Und was nützte es ihm, zu wissen, wie Frauen ticken? Wenn einer die weibliche Seele gut versteht, darf er den Mädels immer freundschaftlich Rat geben, wenn sie mal wieder mit den falschen Typen geschlafen haben. Ist ja auch nicht so erstrebenswert. Kummer bleibt nun mal nicht aus, wenn man sich auf Liebe einlässt. Aber es lohnt sich. Immer wieder.

Ildikó von Kürthy: Höhenrausch, Wunderlich, 256 Seiten, 17,90 Euro

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