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Ach du fröhliche - wo die Weihnachtslieder herkommen (Podcast 110)

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Man mag sie lieben oder hassen – die Ohren vor ihnen verschließen ist in diesen Tagen jedenfalls ausgeschlossen. Gemeint sind die Weihnachtslieder, die auf der Zielgeraden zum Heiligen Abend aus sämtlichen Kaufhaus- und Fahrstuhllautsprechern auf uns niederrieseln, die hartnäckig das Radioprogramm bestimmen und uns selbst an der Tankstelle oder im Fitnessstudio beschallen. Längst stehen sie für weihnachtlichen Kommerz und Konsum. Der Ursprung dieser Lieder, die Freude der Christen über die Geburt des Heilands, rückt angesichts der Dominanz von Popschnulzen wie "Last Christmas" von Wham! oder dem nervtötenden "Jingle Bells" immer mehr in den Hintergrund. Das wollen wir ändern – und widmen diesen Weihnachtspodcast deshalb den schönsten, ältesten und berühmtesten Weihnachtsliedern sowie ihren Entstehungsgeschichten.


Stille Nacht, heilige Nacht


Haben Sie’s erkannt? Was der King of Rock’n Roll mit dem Elvis-typischen Schmelz in der Stimme zum Besten gibt, ist natürlich eines der schönsten und bekanntesten Weihnachtslieder überhaupt: Stille Nacht, Heilige Nacht: Am 24. Dezember 1818 in Oberndorf bei Salzburg uraufgeführt, hat das Gedicht eines Hilfspriesters schnell einen unvergleichlichen Siegeszug durch die Gesangbücher und -Plattenlabels der Welt angetreten. Ob als "Silent Night", "Noche de Paz" oder "Douce Nuit" – von Stille kann bei einem Weihnachtsklassiker, der heute in über 300 Sprachen und Dialekten gesungen wird, nicht mehr die Rede sein.

Dabei wird sein Verfasser Joseph Mohr sicher nicht einmal an die Vertonung seines Gedichtes gedacht haben, als er 1816 die Zeilen von dem hochheiligen Paar und dem holden Knaben dichtete.  Denn erst zwei Jahre später soll das Gedicht zu seiner Melodie gekommen sein. Dies jedoch innerhalb nur eines Tages. Und dies geschah wie folgt:

Am 24. Dezember 1818 sei "der damalige Hilfspriester Herr Joseph Mohr der Pfarre St. Nicola in Oberndorf" auf ihn, den Organisten Franz Gruber, zugekommen, "mit dem Ansuchen eine hierauf passende Melodie für 2 Solostimmen sammt Chor und für eine Guitarre-Begleitung schreiben zu wollen". So schildert Franz Gruber persönlich die Entstehungsgeschichte des berühmten Weihnachtsliedes, das Gruber und Mohr noch am selben Heiligen Abend in der Christmette ihrer Gemeinde unter "allgemeinem Beifall" der Oberndorfer Gottesdienstbesucher uraufführten.

Wieso aber in aller Eile eine Melodie für das bislang unbekannte Weihnachtslied komponiert werden musste, ist nicht vollständig geklärt. Die Legende von der durch Mausezähne zerstörten Orgel der St. Nikolaus-Kirche, die ein Ausweichen auf die Gitarre notwendig gemacht habe, hält die Stille Nacht-Gesellschaft SNG jedenfalls für wenig überzeugend. Die Oberndorfer Experten glauben vielmehr, dass die Orgel einfach altersschwach gewesen sei und man außerdem für die im Anschluss an die Messe abgehaltene Krippenfeier ein anderes Instrument bevorzugt habe.

Zu glauben, das Lied von der Stillen Nacht sei direkt aus dem Salzburger Land in die Welt getragen worden, ist ebenfalls ein Irrtum. Erst musste es noch einen Umweg über Tirol gehen: genauer gesagt über Fügen im Zillertal. Hierhin hatte Orgelbauer Karl Mauracher die Noten des Liedes im Jahr 1825 mitgenommen, nachdem er in Oberndorf endlich eine neue Orgel gebaut hatte. Tiroler Sängergruppen trugen es dann von hier in alle Welt. Lange galt es deshalb als Tiroler Volkslied.

Doch dieses Detail dürfte weder für Jimmy Hendrix noch für Johnny Cash, Ella Fitzgerald oder eben Elvis Presley eine Rolle gespielt haben, als sie sich zur – lukrativen - Interpretation des Klassikers entschieden. Auch war ihnen wohl nicht bewusst, in welch kritischer Zeit Joseph Mohr die Gedichtzeile "da uns schlägt die rettende Stund" schrieb. Gerade erst waren die Napoleonischen Kriege zu Ende gegangen und Europa auf dem Wiener Kongress völlig neu geordnet worden. Das Fürstentum Salzburg verlor seine Selbstständigkeit und ging zum Teil an Österreich, zum Teil an Bayern. Oberndorf selbst wurde von seinem Stadtzentrum in Laufen getrennt. Fortan durchschnitt die Landesgrenze den Ort. Alles andere also als eine stille, heilige Zeit.
 

Macht hoch die Tür, die Tor macht weit


Das Werk Joseph Mohrs ist längst nicht das einzige Weihnachtslied, in dem sich die starke  Sehnsucht nach Frieden widerspiegelt, die die Menschen seinerzeit empfunden haben. Auch das protestantische "Macht hoch die Tür, die Tor macht weit" drückt die Hoffnung auf eine bessere Zeit, ja auf Erlösung, aus, die den Verfasser, den Königsberger Theologen Georg Weißel, beseelte, als er in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts Psalm 24 umdichtete. Die Zeilen "Es kommt der Herr der Herrlichkeit" und "Sein Zepter ist Barmherzigkeit. All unsre Not zum End er bringt" sind dafür exemplarisch. Entstanden ist das barocke Kirchenlied in einer wüsten Zeit: Von 1618 bis 1648 dezimierte der Dreißigjährige Krieg die deutsche Bevölkerung. Und als endlich Frieden eingekehrt war, beutelten Seuchen und schwere Hungersnöte die Menschen.

 

Vom Himmel hoch, da komm ich her


Bei der Entstehung dieses protestantischen Weihnachtsliedes spielte die Weltpolitik hingegen keine Rolle – und das, obwohl sein Verfasser eine der wichtigsten Figuren der Kirchengeschichte und der Geschichte an sich war: Martin Luther hatte beim Dichten des Liedes "Vom Himmel hoch, da komm ich her" allerdings nur seine Familie im Sinn. Denn es waren seine Kinder, denen er damit im Jahr 1535 die Bescherung versüßen wollte. Dass Luther das private Weihnachtslied anfangs mit der Melodie der bekannten Volksweise "Ich komm aus fremden Landen her" unterlegte, spricht indes dafür, dass er sehr wohl für die Verbreitung seines Liedes über den Familienkontext hinaus sorgen wollte. Dank der bekannten Melodie besonders eingängig, eignete sich das Lied jedenfalls hervorragend für die beliebten, musikalisch unterlegten Krippenspiele jener Zeit, die Luther wenig später jedoch als "Papstkirchensitte" ablehnen sollte. Vielleicht lässt sich so auch erklären, wieso der Reformator wenig später eine eigene Melodie für sein Lied dichtete. Die fand bereits 1539 Eingang ins Gesangbuch und wird noch heute gesungen.

Dass Weihnachtslieder heute überhaupt in aller Munde sind, hat mit einem Demokratisierungsprozess zu tun, den die Kirche im ausgehenden Mittelalter erlebte und den nicht zuletzt Martin Luther angestoßen hatte. Während das Singen der Texte, die das Weihnachtsgeschehen erzählten, anfangs noch Bestandteil der Liturgie und damit vom Priester allein zu leisten war, wurde die Kirchengemeinde langsam immer stärker in das kirchliche Singen einbezogen. Besonders Reformatoren wie Michael Praetorius erkannten die gemeinschaftsstiftende Wirkung der gesungenen Weihnachtschoräle. Und die populären Krippenspiele sorgten schließlich dafür, dass immer mehr Menschen Weihnachtslieder sangen – in der Kirche ebenso wie zuhause


Joseph, lieber Joseph mein


An dem aus dem 14. Jahrhundert stammenden “Joseph, lieber Joseph mein” lässt sich der Weg des Weihnachtsliedes von der Kanzel ins Kirchenschiff gut nachvollziehen, ist es doch dem lateinischen Weihnachtshymnus "Resonet in laudibus" entlehnt und ist auch heute noch trotz seines hohen Alters in jedem Gesangbuch vertreten  – auf Deutsch, versteht sich.

Nicht alle alten Weihnachtslieder sind kirchlichen Ursprungs. Das gilt besonders für die Lieder des 19. Jahrhunderts. Genannt seien an dieser Stelle das von Karl Enslin auf die Melodie einer deutschen Volksweise gedichtete "Kling Glöckchen, klingeling" oder das fröhliche Liedchen "Morgen kommt der Weihnachtsmann", das aus der Feder Hoffmanns von Fallersleben stammt, der im Übrigen auch die deutschen Nationalhymne verfasste. Als musikalische Vorlage seines Weihnachtsliedes diente von Fallersleben – wenig nationalistisch – das französische Lied "Ah! vous dirai-je, Maman".

Zu den Liedern, die sich direkt an ein kindliches Publikum wenden, zählt außerdem das Lied "Ihr Kinderlein kommet", das der katholische Pfarrer Christoph von Schmid aus Schwaben Ende des 18. Jahrhunderts verfasste.

Auch  "Oh du fröhliche" war anfangs als Kinderlied gedacht. Es war im Jahr 1819, als sich Johannes Daniel Falk und Heinrich Holzschuher an die alte sizilianische Schifferweise "O sanctissima" erinnerten, die Johann Gottfried Herder dreißig Jahre zuvor von einer Italienreise mit nach Deutschland gebracht hatte. Diese Melodie diente den Begründern der Jugendsozialarbeit als Basis für das Lied von der gnadenbringenden Weihnachtszeit, das sie den Kindern des Lutherhofs widmeten. Diesen Hof hatte Falk für die Weimarer Kinder gebaut, deren Eltern der schweren Typhusepidemie von 1813 zum Opfer gefallen waren. Falk selbst hatte damals vier seiner sieben Kinder verloren.


Oh, Tannenbaum


Die Geschichte, die das aus dem 16. Jahrhundert stammende schlesische Volkslied „Ach Tannenbaum“ durchlief, ist nicht ganz so traurig. Auch wenn Joachim August Zarnack das Loblied auf das Bäumchen im Jahr 1819 in ein tragisches Liebeslied umdichtete. Dabei diente die beständige Tanne dem Gekränkten als sinnbildlicher Gegensatz zu einer untreuen Geliebten. Erst als der Leipziger Lehrer Ernst Anschütz 1824 das Lied um Vers zwei und drei ergänzte, wurde es zu dem Weihnachtslied, das wir heute kennen -  und uns zum Abschluss von Nat King Cole vortragen lassen – ohne zu fragen, wie viel der Amerikaner von dem versteht, was er singt…

Susanne Böllert, wissen.de-Redaktion

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