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Frédéric Chopin - der kleine Mozart Polens (Podcast 73)

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Noch heute haftet Frédéric Chopin der Ruch des Salonlöwen, des großen Bonvivants, aber bestenfalls zweitrangigen Komponisten an. Woran liegt das? In unserem heutigen Beitrag „Der Paganini des Klaviers“ gehen wir unter anderen auch dieser Frage auf den Grund. Am 1. März 2010 feiern wir Chopins 200. Geburtstag. In seinem Werk vereinte er Virtuosität und Poetik, prägte einen neuen Klavierklang und entwickelte die kleine Form zur Meisterschaft.

 

Der kleine Mozart Polens

"Wir bedauern stets aufs Neue“ – so schrieb ihm seine kurzzeitige Verlobte Maria Wodzinska -, "dass Sie nicht Chopinski heißen oder durch irgendein anderes Zeichen als Pole kenntlich sind. Denn dann könnten uns die Franzosen wenigstens nicht das Recht streitig machen, Ihre Landsleute zu sein.“ Tatsächlich gehört Frédéric Chopin zu den Komponisten, auf die gleich zwei Nationen mit Besitzerstolz blicken- und dabei verdrängen, dass er im Grunde Kosmopolit war. Der Vater, Nikolaus Chopin, war mit siebzehn Jahren aus seiner lothringischen Heimat nach Polen ausgewandert, arbeitete in Warschau als Sprachlehrer in "guten“ Familien und war im Zuge der nationalen Erhebungen gegen die Russen sogar zum Offizier befördert worden. Als Hauslehrer der Gräfin Skarbeck lebte er auf dem Landgut Schelasowa Wola bei Warschau, heiratete die zarte Cousine der Aristokratin und nannte den dort geborenen Sohn Fryderyk Francischek. Als Nikolaus Chopin eine Stelle als Französischlehrer im Lyzeum von Warschau erhielt, bedeutete das zwar den Abschied von der friedvollen Welt der ländlichen Idylle, gleichzeitig aber brachte der Umzug in die Großstadt auch ein eminentes Plus an Anregungen und Wettbewerb.

Fréderic galt, nach kurzem Unterricht bei dem erfahrenen böhmische Pädagogen Adalbert Zywny und nach ersten Kompositionsversuchen als „der kleine Mozart Polens“ und war bald ständiger Gast in den Palästen und Salons der polnischen Hocharistokratie: "Auch in unserem Lande werden Genies geboren“, vermerkte die Warschauer Revue in stolzem Nationalbewusstsein. Nicht nur die spätere Vorliebe Chopins für die elegante, kultivierte Welt der höheren Stände hat hier ihren Ursprung, sondern auch seine Begeisterung für die bäuerliche Musik der einfachen polnischen Landbewohner, die er in Form von Mazurkas und Krakowiaks kennenlernte. An lauen Sommertagen trug man sein Klavier unter die Tannen, und die Leute aus der Nachbarschaft lauschten hinter der Hecke dem Kind aus Warschau.

 

Aus Liebe zur Kunst

Mit 15 Jahren trat Chopin in das Warschauer Konservatorium ein und fand in dem Direktor Josef Elsner einen vorzüglichen Ratgeber und Förderer. Von den Polen gehätschelt, war der junge, aber häufig kränkelnde Virtuose jedoch mit seinem Ruf als bester Pianist Warschaus nicht zufrieden: Er wollte das Urteil anerkannter Meister aus Paris und Wien über sich erfahren, die über einen größeren Schatz an Erfahrung verfügten. Eine aus den Ersparnissen des Vaters finanzierte Konzertreise nach Wien im Jahr 1829 wurde zum erfolgreichen Sprungbrett für die erhoffte internationale Karriere. Trotz seiner Schüchternheit stellt er sich dem großen Publikum und setzte sich dem Vergleich mit Moscheles, Herz und Kalkbrenner aus: "Ich gebe mich hier als Mann, dem es nicht ums Geld zu tun ist ... als Musiker aus Liebe zur Kunst.“

 

Paganini des Klaviers

Für wenige Monate kehrte Chopin dann noch einmal in seine polnische Heimat zurück. Sein in Warschau erstmals aufgeführtes Klavierkonzert f-moll bringt ihm das Lob "Paganini des Klaviers“ ein – bei der Premiere wurde das Werk, zeitüblichem Brauch gemäß, in zwei Abschnitten gebracht: Nach dem ersten Satz schob man eine Ouvertüre seines Lehrers Elsner und ein Divertimento für Jagdhorn ein... Den zweiten Satz, ein schwärmerisches Larghetto, nutzt er dazu, seiner schüchternen Liebe zu der aus der Ferne angebeteten Sängerin Konstanzia Gwhadkowska Ausdruck zu verleihen: "Seit sechs Monaten“, so heißt es in einem Brief, "räumte ich von ihr jede Nacht. An sie dachte ich, als ich das Adagio meines Klavierkonzertes komponierte.“ Auch das heimische Publikum will den schwermütigen jungen Pianisten und Komponisten für sich vereinnahmen. Auf die Bitte, sein gedrucktes Porträt verkaufen zu dürfen, reagiert er allerdings höchst unwillig: "Ich will nicht zum Einwickeln der Butter dienen.“ Der Erfolg von Wien bestärkt ihn jedoch darin, weiterhin im Ausland sein Glück zu machen: "Ich muss mich über alles hinwegsetzen, wenn es um meine Zukunft geht.“

 

Paris – die schönste aller Welten

Am 2. November 1830 verlässt der Zwanzigjährige erneut die Heimat – diesmal für immer. Das wertvollste Erinnerungsgeschenk der Freunde ist ein kleiner Silberpokal mit polnischer Erde, den er bis zu seinem Tode wie einen Schatz hütet. Über Breslau, Wien, Linz, Salzburg, München und Stuttgart erreicht er das weltoffene, kosmopolitische Paris: Für ihn "die schönste aller Welten!“ Hier, im Exil, wird der französische Pole zum polnischen Franzosen und zum bewunderten Mittelpunkt der geschmacksbildenden Salons. Er hält Kontakt mit den Geistesgrößen der Stadt, freundet sich mit Liszt, Berlioz und Heine an, wird der gesuchteste Klavierlehrer und macht sich dank seiner horrenden Honorare wirtschaftlich unabhängig, so dass er nicht auf die verhassten Konzertveranstaltungen und –reisen der Konkurrenten angewiesen ist. Eigene Kutscher, Diener, Parfums, elegante Kleidung und Wäsche, ein kostbar eingerichtetes Appartement mit einem täglich erneuerten Meer von Blumen – das alles dokumentiert auch nach außen, dass er zu Arrivierten zu zählen ist. Konzerte mit Orchester gibt er gar nicht mehr. Möglicherweise auch deshalb, weil er inzwischen seinen orchesterbegleiteten Werken mit kritischer Distanz gegenübersteht. Auch ihm muss nach den Diskussionen mit Berlioz und anderen bewusst geworden sein, dass der Orchesterpart seiner beiden Konzerte, des "Krakowiak“ und des "Andante spianato“ nicht dem entsprach, was etwa Mozart in seinen Konzerten geschaffen hatte. Während dieser Klavier und Orchester zu gleichberechtigten Dialogpartnern machte, ging der neunzehnjährige Chopin bei diesen Frühwerken von einer anderen Vorstellung aus: Bei den für sich selbst geschriebenen Konzerten sollte nichts den Hörer vom Spiel des Solisten ablenken. Das Orchester stellt "nur“ die kostbare und samtweiche Seide dar, vor deren Hintergrund die kunstreiche Feinarbeit der geschliffenen Klavierjuwelen umso schöner zur Geltung kommt. Ihren Reiz empfängt die Musik aus anderen Qualitäten: im "Krakowiak“ und der "Grande Polonaise“ aus den markanten Rhythmen, mit denen der Volkstanz und der feierliche Schreittanz des polnischen Adels das folkloristische Element betonen. Und in den Klavierkonzerten bestaunt man, mit welchem Geschick der Teenager poetische Virtuosität, lyrischen Zauber eines Nachtstücks, fingerfertige Brillanz, chromatisch recht getränkte Harmonik sowie tänzerische Rhythmik zu einem bezwingenden Gesamteindruck zusammenfügt.

 

Internationaler Klavierstil

Von seinen Zeitgenossen, den als Klaviervirtuosen durch die  Städte ziehenden Konkurrenten Kalkbrenner, Berger, Dreyschock, Döhler und vielen anderen ist heute nicht eine Note mehr zu hören. Ihre Fastfood-Kompositionen in Gestalt von Potpourris, Paraphrasen und Salonpiécen waren, wie verstaubte Archivnoten zeigen, von einer solchen kompositorischen Blässe, dass die Oberflächlichkeit ihrer Serienproduktion sie für heutige Hörer ungenießbar werden ließ. Und Chopin? Der feilte an seinen rund 190 Solostücken so ausdauernd, bis jedes Werk ein unverwechselbares Profil erhalten hatte. Was hebt seine Musik qualitativ über die seiner Zeitgenossen hinaus und hat sie so lange am klingenden Leben erhalten? Nicht ihre pianistische Bravour oder die Legende, er habe – wie Liszt und andere – mit seinem brachialen Interpretationsstil ganz Flügel unspielbar gemacht. Im Gegenteil. Der Komponist, der von Robert Schumann in dessen Aufsatz „Neue Bahnen“ enthusiastisch als neues Genie begrüßt wurde, hörte wegen seines zu zarten und fragilen Spiels mehr Tadel als Lob. Vielmehr dürfte die Internationalität seines Klavierstils ihm seinen Rang in der Geschichte gesichert haben. Alfred Einstein summierte die Gründe, warum Chopin trotz seiner ausschließlichen Beschränkung auf das Klavier gleichwohl zu den Großen gezählt werden müsste, mit den Worten:

"Das Polnisch, Französische, Deutsche, Italienische wird ununterscheidbar – es verschmilzt zum Chopinesken. In Chopins Musik steckt Bach und Mozart, aber es ist vollends aufgelöst und aufgesogen, es ist als Liebreiz und Strenge nur unserem Entzücken fühlbar und nur schwer unserer Analyse zugänglich. Auch in den Mazurken und Polonaisen steckt Bach und Mozart, und das hebt sie hinaus über jede nationale Begrenzung; diese 'nationale' Musik ist immer auch Weltmusik.“

Im Übrigen ist der Streitpunkt, ob er zu den Polen oder zu den Franzosen zu rechnen sei, salomonisch geschlichtet worden: Sein Leichnam ruht auf dem Pariser Prominenten-Friedhof Père-Lachaise, sein Herz wurde in die Warschauer Heilig-Kreuz-Kirche überführt.

 

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