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Placebos – wirkungsvolle Medizin ohne Wirkstoffe (Podcast 214)

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Fühlen Sie sich heute etwas matt und angeschlagen? Dann könnte Ihnen eine rote Tablette helfen. Möglichst teuer sollte sie sein, und im Idealfall prangt das Logo eines bekannten Pharmaherstellers darauf. Dann ist es auch beinahe egal, was in der Pille steckt. Das haben Studien zum Placebo-Effekt herausgefunden: Rote Pillen wirken anregend, und je höher der Preis und je bekannter der Hersteller eines Medikaments ist, desto besser wirkt es – selbst wenn gar kein Wirkstoff enthalten ist. Das klingt ein bisschen nach Hexerei, funktioniert aber wahrscheinlich auch bei Ihnen. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs der Forschung zum geheimnisvollen Placebo-Effekt. wissen.de-Redakteurin Alexandra Mankarios hat für uns zusammengetragen, wie uns Medikamente ohne Wirkstoffe gesund oder krank machen können und wie sehr unsere Überzeugung den Körper steuert.

 

Schmerzen, bis der Arzt kommt

Kennen Sie das? Sie haben starke Schmerzen, quälen sich zum Arzt Ihres Vertrauens und halten gerade noch so die endlos scheinende Wartezeit durch. Dann endlich werden Sie hereingerufen. Und im Gespräch mit dem netten, zugewandten Arzt erscheint der Schmerz schon wieder gar nicht mehr so schlimm. Verantwortlich dafür ist eine Art Selbstheilung: Allein die Erwartung, dass sich mit dem Arztbesuch der Schmerz verringern wird, sorgt für Linderung. Ein Medikament erledigt dann problemlos den Rest. Und zwar nicht nur wegen seiner Wirkstoffe, sondern auch, weil der Patient fest damit rechnet, dass es wirkt.

Das funktioniert allerdings nur, wenn der Mediziner wirklich das Vertrauen seines Patienten besitzt und dieser an die Wirkung der verschriebenen Arznei glaubt. Wer hingegen Ärzten und Medikamenten mit großem Misstrauen begegnet, dem ist buchstäblich schwer zu helfen.

 

Placebo – was ist das eigentlich?

Soll ein neues Medikament auf den Markt kommen, dann ist es üblich, es vorher an Menschen zu testen. Und das geht so: Zunächst werden die Studienteilnehmer über Wirkung und Nebenwirkungen des neuen Medikaments aufgeklärt. Dann müssen sie die neue Arznei schlucken. Aber während ein Teil der Studienteilnehmer die Tablette mit dem Wirkstoff erhält, bekommt der Rest ein Placebo – also eine Pille, die genau gleich aussieht, aber keinerlei Medizin enthält. Anschließend werden die Reaktionen der beiden Gruppen beobachtet. Tatsächlich gibt es in beiden Gruppen etwas zu beobachten, auch wenn die eine gar keine wirksame Medizin erhalten hat. Zugelassen wir das Medikament am Ende nur, wenn die gewünschte Wirkung bei den Teilnehmern, die die echte Pille geschluckt haben, deutlich höher ist als in der Placebo-Gruppe.

Weil Placebos somit in praktisch jeder klinischen Medikamentenstudie mitgetestet werden, ist bestens bekannt, wie viel sie leisten können. Wirkstofffreie Medikamente können Schmerzen lindern, beim Einschlafen helfen, das Immunsystem stärken oder den Kreislauf anregen. Kurzfristig können sie sogar das Wachstum von Krebszellen oder das typische Zittern von Parkinson-Kranken stoppen – um nur ein paar Beispiele zu nennen.

 

Wieso wirken Placebos?

Unser Körper treibt bekanntlich ziemlich viel Aufwand, um uns am Laufen zu halten. Hormone, Nervenimpulse, Enzyme und Botenstoffe verrichten tagein, tagaus, Minute für Minute ein Werk, von dem wir kaum etwas mitbekommen. Mit dem Willen haben wir wenig Einfluss auf diese Prozesse, und das ist auch gut so – wir würden das fein ausgeklügelte Gleichgewicht wahrscheinlich bloß durcheinanderbringen. Wenn der Körper also den Bedarf für die Ausschüttung bestimmter Stoffe feststellt, dann schüttet er sie eben aus, zum Beispiel Glückshormone wie Dopamin oder Opioide, die Hungergefühle oder Schmerzen unterdrücken. Diesen Mechanismus nutzen Placebos.

Erwarten wir Schmerzlinderung durch ein Medikament, dann stellt unser Körper schon einmal auf Schmerzlinderung um. „Das ist keine Einbildung und auch keine Uminterpretation, es kommt tatsächlich weniger Schmerz im Gehirn an“, erklärt die Neurologin Ulrike Bingel vom Hamburger Universitätskrankenhaus Eppendorf. Bingel forscht seit mehreren Jahren zum Placebo-Effekt bei Schmerzen. Für Ihre Studien hat sie ihren Probanden echte Schmerzmittel oder Placebos verabreicht und dann mit einem Magnetresonanztomographen die Verarbeitung von Schmerzimpulsen in Rückenmark und Hirn beobachtet. „Wir konnten zeigen, dass allein die Erwartung von Schmerzlinderung dafür sorgt, dass bereits im Rückenmark Schmerzsignale anders verarbeitet werden“, so Bingel.

 

Wer Placebo sagt, muss auch Nocebo sagen

So positiv es auch ist, dass der Körper Schmerzen ohne Medikamente lindern kann – der Placebo-Effekt hat auch eine Schattenseite: den Nocebo-Effekt. Damit sind die negativen Wirkungen gemeint, die durch wirkstofffreie Medizin ausgelöst werden können. Auch bei Schmerzmitteln gibt es einen Nocebo-Effekt. Das hat Ulrike Bingel zum Beispiel in einer Studie in England erforscht. Die Probanden hatten ein sehr starkes Schmerzmittel erhalten, ohne davon zu wissen, oder gingen gar mit einer negativen Erwartung in die Studie. In der Folge fiel die Schmerzlinderung viel schwächer aus als angesichts der starken Schmerzmittel, die sie bekommen hatten, anzunehmen gewesen wäre.

Der Nocebo-Effekt ist zwar viel weniger bekannt als der Placebo-Effekt, dürfte jedoch schon für einiges Leid gesorgt haben. Haben Sie zum Beispiel schon einmal den Beipackzettel eines Schmerzmittels oder Antibiotikums durchgelesen? Von Kopfschmerzen und Übelkeit über Fieberkrämpfe bis hin zu lebensbedrohlichen Schockzuständen wird dort meist eine breite Palette möglicher Horrorszenarien geschildert – wahrlich keine empfehlenswerte Lektüre für zarte Gemüter! Bingel bestätigt, dass die Erwartung von Nebenwirkungen böse Folgen haben kann: „In Medikamentenstudien zeigen die Probanden der Placebo-Gruppe häufig die gleichen Nebenwirkungen wie diejenigen, die das echte Medikament erhalten haben. Insofern ist der Nocebo-Effekt bei medikamentösen Behandlungen ein Riesenproblem.“

 

Bei wem wirken Placebos?

Fassen wir zusammen: Damit unser Körper seine Selbstheilungskräfte aktiviert, müssen wir vor allem erwarten, dass er sie aktivieren wird. Wir müssen an die Kompetenz des Arztes, die Effektivität der Therapie, die Wirksamkeit der Medikamente glauben. Daneben spielt auch die Vorerfahrung eine große Rolle: Wer schon etliche Male erlebt hat, dass eine Tablette wirkt, bei dem wird sie wieder wirken. Wer sich morgens nach einer Tasse Kaffee wacher fühlt, wird diese Wirkung wahrscheinlich auch spüren, wenn ihm jemand unbemerkt koffeinfreien Kaffee untermogelt. Und wer fest davon überzeugt ist, eine Krankheit zu besiegen, hat tatsächlich bessere Heilungschancen.

Trotzdem wirkt der Placebo-Effekt nicht bei jedem Menschen gleich gut. Bei ängstlichen oder depressiven Persönlichkeiten sei der Placebo-Effekt vermutlich schwächer und der Nocebo-Effekt stärker, erklärt Ulrike Bingel. Und weiter: „Auch neurobiologische Faktoren bestimmen, wie empfänglich jemand für Placebos ist. Bei der Schmerztherapie spielt es eine wichtige Rolle, wie stark die verschiedenen Regionen, die im Gehirn mit der Schmerzverarbeitung zu tun haben, mit einander vernetzt sind. Das ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich.“

 

Was bringt uns die Placebo-Forschung?

Zwischen 20 und 80 Prozent der Wirkung eines Medikaments gehen vermutlich auf den Placebo-Effekt zurück, legen Studien nah – bei einigen Leiden wirken Placebos stärker als bei anderen. Wäre es dann nicht naheliegend, viel mehr Placebos zu verschreiben, anstatt uns mit Chemikalien zu überfüttern? Nein, meinen Patientenschützer und Mediziner. Vor allem ethische Gründe sprechen dagegen, schließlich hat jeder Patient ein Recht darauf zu erfahren, was man ihm verabreicht.

Umsonst ist die Placebo-Forschung trotzdem nicht. „Die große Hoffnung besteht darin, dass wir Erwartung und Vorerfahrung der Patienten so beeinflussen, dass unsere medikamentösen Strategien noch wirksamer werden“, beschreibt Ulrike Bingel. Viele Patienten wüssten etwa gar nicht, was für Medikamente sie bekommen und wogegen diese wirken sollen – sie hätten also gar keine positive Erwartung, erklärt die Medizinerin.

Eine alternative Möglichkeit zur Nutzung von Placebos legt darüber hinaus eine neue Studie aus den USA nah. Wissenschaftler konnten darin nachweisen, dass Placebos auch dann noch wirken, wenn die Patienten wissen, dass sie ein Placebo erhalten – das räumt alle ethischen Bedenken aus dem Weg. „Patienten knüpfen inzwischen auch an Placebos eine hohe Erwartung, und dafür gibt es gute Argumente“, erklärt Bingel. „Placebos haben schließlich in vielen großen Studien ihre Wirkung bewiesen. Das ist ja keine Falschinformationen.“ Bislang allerdings sind offen deklarierte Placebos noch nicht im Handel – auch wenn bei einer ganzen Reihe von Medikamenten die medizinische Wirkung umstritten ist. Sollten Placebos demnächst frei verkäuflich werden, dann haben wir noch einen guten Rat für Sie: Kaufen Sie nach Möglichkeit keine Tabletten, sondern Kapseln, und nehmen Sie am besten immer gleich zwei davon ein – denn dann wirken Placebos nachgewiesenermaßen besonders gut.

 

von wissen.de-Redakteurin Alexandra Mankarios, Dezember 2012

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