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Volkskrankheit Depression

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Den Terminus Depression gibt es in zahlreichen Fachwissenschaften – etwa in der Geomorphologie, der Wirtschaft, der Astronomie, der Meteorologie. Und natürlich in der Medizin. Dort bezeichnet Depression “einen Zustand der Niedergeschlagenheit, gekennzeichnet durch Unfähigkeit zu Freude oder Trauer, Antriebslosigkeit und innere Unruhe”. Was das wissen.de-Lexikon so nüchtern beschreibt, löst beim Betroffenen echte Qualen aus. wissen.de-Autorin Alexandra Mankarios hat die vielen Seiten der unberechenbaren Krankheit Depression für uns untersucht.

 

Depression, was ist das eigentlich?

Traurigkeit kennt jeder. Auch wenn das Gefühl nicht schön ist, stimmen die meisten Menschen zu: Trauer gehört einfach zum Leben. Trauer ist das Gegenstück zur Freude. Jedenfalls meistens. Für Menschen, die an Depressionen leiden, geht diese Rechnung nicht auf. Ihre Niedergeschlagenheit kennt keine Gegenseite. Sie trauern auch nicht wie gesunde Menschen, sondern durchleben eher einen dumpfen Zustand ohne jegliche Gefühlsregung.

"Dienstagmorgen war ich unfähig, meinen Kopf vom Kissen zu heben. Ich fühlte mich, als wäre alles Leben aus meinem Körper gewichen" – so beschrieb der englische Ex-Fußballprofi Stan Collymore Ende November 2011 über Twitter seinen aktuellen depressiven Schub. An anderen Tagen geht es Collymore hervorragend. Wann die Krankheit zuschlägt, kann er nicht voraussagen. "Am einen Tag bin ich fit und gesund, am nächsten verdörrt und stirbt meine Seele. Andere Depressive werden mir zustimmen: Dieser dumpfe Schlag, der die Depression in Gang setzt, ist eine der beängstigendsten Erfahrungen überhaupt."

Depressionen verlaufen in Phasen. Das ist wahrscheinlich auch der Grund dafür, dass der Volksmund meistens von Depressionen – im Plural – spricht, während Mediziner und Psychologen die Krankheit schlicht  Depression nennen. Die Länge der depressiven Phasen unterscheidet sich von Fall zu Fall erheblich. Manchmal dauern sie nur wenige Tage an. In anderen Fällen kann das Seelentief ein Jahr lang anhalten - wenn sich der Depressive keine Hilfe holt.

 

Kann jeder depressiv werden?

Depression ist eine Volkskrankheit. Das heißt: Im Prinzip kann sie jeden treffen. Jeder fünfte Deutsche durchlebt mindestens einmal im Leben eine depressive Phase. Frauen sind etwas häufiger betroffen als Männer. Eher seltener packt die Schwermut auch Kinder und Jugendliche, in vielen Fällen bricht die Krankheit zum ersten Mal mit Mitte zwanzig aus. Wer traumatische Erfahrungen in seinem Leben machen musste, trägt ein größeres Risiko davon, an Depressionen zu erkranken.

Obwohl Depression nach einem freudlosen Leben mit vielen Problemen klingt, erwischt die tückische Krankheit auch viele Menschen, die eigentlich wenig Grund zum Klagen haben dürften. Zum Beispiel besonders Wohlhabende oder Erfolgreiche. Davon zeugen zahlreiche berühmte Depressive: Top-Musiker wie Robbie Williams, erfolgreiche Schauspieler wie Catherine Zeta-Jones oder Anthony Hopkins, Sportler wie der Hannover 96-Torwart Robert Enke, der sich 2009 das Leben nahm – die Liste ist lang.

Egal ob Promi oder Normalbürger, reich oder arm, die Folgen einer unbehandelten Depression können verheerend sein. Psychische Krankheiten sind bei uns mit Abstand der häufigste Grund für eine Berufsunfähigkeit. Und für einige Tausend Deutsche im Jahr endet eine Depression sogar tödlich: Der überwiegende Teil der rund 10.000 Selbsttötungen jährlich geht auf das Konto der Krankheit.

 

Wodurch wird eine Depression ausgelöst?

Lebenskrisen, Störungen des Hirnstoffwechsels, traumatische Kindheitserfahrungen, Lichtmangel – Depressionen können viele Ursachen haben. Schon die alten Griechen haben sich an einer Erklärung versucht. Sie nahmen an, dass schwarze Galle den Körper vergifte und für die Seelentiefs verantwortlich sei. Aus den griechischen Worten für schwarz – melan – und Galle – cholía – schufen sie einen eigenen Namen für die rätselhafte Bedrücktheit, die manche Menschen befiel: Melancholie.

Auch wenn die Mediziner heute die Galle als Auslöser ausschließen, ist eine Depression keine rein seelische Krankheit. Wissenschaftler haben nachgewiesen, dass im Gehirn von Depressionspatienten wichtige Botenstoffe aus dem Gleichgewicht geraten sind. Aber die körperliche, oder genauer neurobiologische Seite allein kann Depressionen nicht erklären. Bis heute weiß man nicht genau, wie es zu dem Ungleichgewicht im Hirn kommt.

Viel leichter nachvollziehbar sind für die Betroffenen die seelischen Auslöser einer Depression. In vielen Fällen geht ein ganz konkretes Ereignis dem seelischen Absturz voraus: Zum Beispiel der Verlust eines Angehörigen, ein tiefer beruflicher Rückschlag, Stress. Manchmal kann es sogar ein positives Erlebnis sein, zum Beispiel die Geburt eines Kindes.

Auch hinter dem seit einigen Jahren so häufig diagnostizierten Burn-out-Syndrom verberge sich in den meisten Fällen eine Depression, berichtet Professor Ulrich Hegerl. Als Leiter der psychiatrischen Uni-Klink Leipzig trifft er täglich Patienten mit Depressionen, kennt ihre Sorgen und Nöte. Und er kennt die vielen Vorurteile, die über die düstere Schwermut kursieren. Er betont: "Psychische Probleme wie Überforderungssituationen oder Verlusterlebnisse führen nur zu einer Depression, wenn auch eine körperliche, oft genetisch bedingte Veranlagung dazu vorliegt."

 

Sind Depressionen heilbar?

Die gute Nachricht für alle Schwermütigen und Ausgebrannten: Depressionen sind sehr gut behandelbar. Medikamente gegen Depressionen – so genannte Antidepressiva – stellen das Gleichgewicht im Hirnstoffwechsel wieder her. Parallel dazu räumt eine Psychotherapie die seelischen Krankheitsursachen aus dem Weg.

Eine wissenschaftlich nachgewiesene Wirkung hat vor allem die so genannte kognitive Verhaltenstherapie. Sie sucht nicht in den Tiefen der Seele nach Ursachen, sondern hilft den Patienten schlicht, ihr Leben besser zu bewältigen. Wer sich im Job stets zu viel Arbeit aufhalsen lässt, lernt, "Nein" zu sagen. Erholungsmomente in den Alltag einbauen, nicht im Grübeln versinken, all dies üben Depressive während der Therapie. Und sie bringen ein Frühwarnsystem in Gang. Bei den ersten Anzeichen einer Depression wissen sie nach der Therapie, wie sie sofort gegenzusteuern können.

Während es den meisten Menschen einleuchtet, dass eine Psychotherapie gegen Depressionen helfen kann, begegnen sie den Depressionsmedikamenten mit großer Skepsis. Hegerl erzählt: "Die Patienten fragen manchmal, wie ihnen Medikamente dabei helfen sollen, ihre Beziehungs- oder Geldprobleme zu lösen. Wir sagen dann, dass durch Antidepressiva die Probleme nicht verschwinden. Aber mit dem Abklingen der Depression kehrt wieder die nötige Kraft und Hoffnung zurück, um diese zu bewältigen."

 

Eine Krankheit mit schlechtem Ruf

Hand aufs Herz: Welche Krankheit hat schon einen guten Ruf? Um den Ruf der Depression steht es aber besonders schlimm. Das hat historische Gründe. Von Anfang an: Bei den alten Griechen war die Welt noch in Ordnung. Es gab zwar Menschen, die an "Melancholie" litten, aber eine Behandlung mit spezieller Nahrung, die keine dunklen Lebensmittel enthalten durfte, Bewegung, Bädern und "anregenden Gesprächen" konnte oft Abhilfe schaffen. Die antiken Mediziner glaubten, dass Gesundheit ein empfindliches Gleichgewicht aus verschiedenen Körpersäften und Elementen sei. Die Melancholie war für sie nur eine von vielen Krankheiten, die sich einstellen konnten, wenn das anfällige menschliche System aus der Balance geriet.

Für den griechischen Philosophen und Naturforscher Theophrast war die Melancholie sogar eng mit der Genialität verknüpft. "Warum erweisen sich alle außergewöhnlichen Männer in Philosophie oder Politik oder Dichtung oder in den Künsten als Melancholiker?", fragte er im vierten Jahrhundert vor Christus.

Mit dem Christentum ging es mit dem Ruf der Depression steil bergab. Man argwöhnte, dass in der Niedergedrücktheit der Glaube ins Wanken gerät, und ordnete die Krankheit kurzerhand unter dem Namen Acedia unter die Todsünden. Der Volksmund sprach auch von der "Mönchskrankheit" – und meinte damit eine Mischung aus Traurigkeit, Trägheit und Überdruss. Martin Luther war das noch nicht genug. Selbst depressiv, identifizierte er den Teufel persönlich als Urheber der tückischen Krankheit. In der Folge hatten Depressive nicht nur unter ihrer Krankheit, sondern obendrein auch noch unter gesellschaftlicher Ausgrenzung zu leiden.

Heute sind wir zwar besser informiert, trotzdem haftet Depressionen noch immer der Ruf einer Schwäche an. "Stell dich nicht so an", muss sich mancher Kranke anhören. "Das wird schon wieder, du musst nur wollen!" Leider verfehlen solche gutgemeinten Ratschläge ihre Wirkung völlig. Depressionen sind kein Zeichen von Schwäche, sondern eine handfeste Krankheit. Man heilt ja auch keinen Asthmakranken, indem man ihm sagt "Hey, du brauchst nicht so viel zu husten!" Noch viel Aufklärung über die Krankheit sei nötig, findet Hegerl. Deshalb hat er 2008 zusammen mit Kollegen aus ganz Deutschland die Stiftung Deutsche Depressionshilfe ins Leben gerufen. Das Netzwerk will dafür zu sorgen, dass die potenziell tödliche Krankheit häufiger erkannt und richtig behandelt wird.

 

Was tun, wenn eine Depression entsteht?

Plötzlich lässt der Appetit nach, das Einschlafen fällt schwer, jeder Gang wird zur Qual. Alle Freude ist wie weggeblasen, stattdessen kreist der Geist ohne Unterlass um eine erdrückende Menge persönlicher Probleme. Wenn so ein Zustand über mehrere Tage anhält, dann könnte sich eine Depression eingeschlichen haben. Das Tückische an der Krankheit: Die persönlichen Probleme scheinen völlig logisch die Ursache des miserablen Wohlbefindens zu sein. Wer diese Zeichen an sich beobachtet, sollte seinen Hausarzt aufsuchen. Der kann dann alles weitere organisieren, je nach Fall selbst behandeln oder überweisen.

Und auch die Angehörigen spielen eine wichtige Rolle, jedenfalls dann, wenn sie sich mit Aufmunterungsversuchen und Ablenkungsmanövern zurückhalten. "Geduld, Zeit, Freundlichkeit und Unterstützung, mehr brauchen wir nicht", schreibt Ex-Fußballprofi Collymore auf Twitter. "Stellt nicht infrage, was der Kranke euch erzählt. Bringt ihn dazu, so schnell wie möglich zum Arzt zu gehen. Helft ihm dabei, all die kleinen Dinge, die sonst selbstverständlich sind, Schritt für Schritt zu erledigen: Sich zu waschen, fünf Minuten spazieren zu gehen oder zu kochen. So können Freunde und Familie helfen."

Dann, am Schluss seines sehr persönlichen Krankheitsberichts wendet sich Collymore direkt an seine depressiven Leidensgenossen. Sein tröstender Gruß klingt ein bisschen wie der Aufruf zu einer Revolution: "Ihr seid nicht allein. Es gibt Millionen von uns."

 

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