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Warum wir uns verlieben – Schicksal oder Chemie?

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Fügung. Schicksal. Vorherbestimmung. Auf jeden Fall voller Bedeutung und tieferen Sinn. So mögen Verliebte die Begegnung mit der oder dem Angebeteten deuten. Dass der bloße Zufall oder die schnöde tickende biologische Uhr das Verliebtsein hätten auslösen können, das käme niemandem in den Sinn, der sich im Rausch der Gefühle verliert. Viel zu schön und erhaben ist dieses Gefühl, das selbstverständlich für die Ewigkeit gemacht ist. Pheromone, Neurotransmitter und eine eingeschränkte Gehirnaktivität - dies seien in Wirklichkeit die Auslöser für die Illusion vom Verliebtsein, argumentieren stattdessen Endokrinologen und Neurologen. Wer mag Recht haben mit seiner Theorie übers Verliebtsein? Die Wissenschaft oder die Vertreter der romantischen Liebe? Ein Annäherungsversuch. 

 

Verliebtsein macht süchtig 

Sollten Sie jemanden beobachten, der völlig geistesabwesend und unerreichbar scheint, um nur Momente später einen kaum zu stoppenden Redeflash zu bekommen oder einen Lachanfall, gefolgt von einer tief depressiven Stimmung, dann könnte es sich um einen Kokser handeln oder einen Manisch-Depressiven - oder einen verliebten Menschen. Denn in den Hirnen all dieser Personen laufen ähnliche biochemische Prozesse ab. Tonangebend ist dabei das Hormon Dopamin, das durch Drogenkonsum, aber auch durch heftiges Verliebtsein freigesetz wird. Dieser Botenstoff senkt - so wie Kokain - das Hunger- und Schlafbedürfnis und aktiviert dagegen das Lust- und Belohnungszentrum im Hirn. Der Verliebte bekommt von seiner Umwelt kaum noch etwas mit, kann nur noch an das Objekt seiner Begierde denken - und fühlt sich dabei einfach herrlich. 

 

Glück (Joseph von Eichendorf)

Wie jauchzt meine Seele
Und singet in sich!

Kaum, dass ich's verhehle,

So glücklich bin ich.

Rings Menschen sich drehen

Und sprechen gescheut,

Ich kann nichts verstehen,

So fröhlich zerstreut. —

Zu eng wird das Zimmer,

Wie glänzet das Feld,

Die Täler voll Schimmer,

Weit herrlich die Welt!

Gepresst bricht die Freude

Durch Riegel und Schloss,

Fort über die Heide!

Ach, hätt ich ein Ross! —

Und frag ich und sinn ich,

Wie so  mir geschehn: —

Mein Liebchen herzinnig,

Das soll ich heut sehn! 

Die Gedanken an den geliebten Menschen, die neben der Ausschüttung von Dopamin auch die Produktion euphorisierender Endorphine anregen, können jedoch schnell zwanghafte Formen annehmen. Bis zu vier Stunden am Tag, das hat die Psychiaterin und Neurobiologin Donatella Marazziti herausgefunden, beschäftigt sich der Verliebte ausschließlich mit dem angebeteten Menschen. Anders ausgedrückt: Verliebtsein macht süchtig. 

 

Von freier Höhe (Arno Holz)

Ich weiß.

Oft

wars nur ein Lachen, ein Handdruck von dir,

oder ein Härchen, ein bloßes Härchen,

das dir der Wind ins Genick geweht,

und all mein Blut

gährte gleich auf,

und all mein Herz
schlug nach dir.



Dich haben, dich haben.

dich endlich mal haben,

ganz und nackt, ganz und nackt! 

Übrigens schütten Hirnanhangdrüse und Hypothalamus Endorphine außer bei akuter Verliebtheit vor allem in Notfallsituationen aus, denn die opiat- beziehungsweise morphinähnliche, schmerzlindernde Wirkung lässt Gefahr und Schmerz vergessen. Das gilt auch für das Hormon Adrenalin, das bei Verliebten stark ansteigt. Es lässt das Herz schneller und kräftiger schlagen, erweitert die Atemwege und Pupillen, erhöht die Durchblutung der Muskulatur und steigert Blutdruck und Puls. Eigentlich eine recht unromantische Vorstellung, dass uns nicht der Anblick der oder des Angebeten die Schamesröte ins Gesicht schießen und unser Herz aus dem Takt geraten lässt, sondern ein Stresshormon, das unsere Ahnen im Angesicht akuter Gefahren zur augenblicklichen Flucht befähigte. 

Dass Menschen, die dem Verliebtsein verfallen sind, indes alles andere als ein ausgeprägtes Bewusstsein für Gefahren entwickeln, sondern sich blindlings und oft gegen alle guten Ratschläge ins Abenteuer Liebe stürzen - auch dafür konnte die Wissenschaft Gründe liefern. Neurobiologe Andreas Bartels hat zu diesem Zweck verliebte Personen in einen Kernspintomographen gesteckt und sie Fotografien ihrer Traumfrauen, beziehungsweise -männer betrachten lassen. Während wie erwartet das Belohnungszentrum wie verrückt aufleuchtete, ließen sich in anderen Hirnregionen kaum Aktivitäten erkennen, und zwar ausgerechnet in den Regionen, die für das Empfinden von Angst und für Problemlösefähigkeiten zuständig sind. So ist eine kritische, oder auch nur realistische Berurteilung des Objektes der Begierde im Zustand heftigen Verliebtseins natürlich nicht möglich. Liebe macht demnach wirklich blind und ein bisschen blöde. Auf den Romantiker Heinrich Heine trifft dies allerdings nicht zu. Desillusioniert schreibt er 

 

O schwöre nicht und küsse nur 

O schwöre nicht und küsse nur,
Ich glaube keinem Weiberschwur!

Dein Wort ist süß, doch süßer ist

Der Kuß, den ich dir abgeküßt!
Den hab' ich, und dann glaub' ich auch,

Das Wort ist eitel Dunst und Hauch. 

Inzwischen mögen Sie sich vielleicht fragen, wie der Vergleich von Verliebten mit Manisch-Depressiven zu untermauern sei. Denn zugegebenermaßen war hier bislang nur von den hormonellen Ursachen für die Euphorie des Verliebtseins die Rede, nicht aber für die andere Seite der Madaille: die düstere Verzweiflung, die Endzeitstimmung, die Verliebte überkommen kann, sobald die geliebte Person nicht in der Nähe ist, sie seit endlosen zehn Minuten keine SMS mehr geschickt hat oder der Ton ihrer Stimme oder letzen E-Mail plötzlich kühl und distanziert erscheint. 

Schuld ist das Serotonin. Natürlich wieder ein Hormon, das die Fachwelt für die depressiven Phasen der romantischen Schwärmerei verantwortlich macht, besser gesagt, der verliebtheitsbedingte Mangel an diesem Hormon. Denn während die Konzentration von Adrenalin und Dopamin durch das Verliebtsein deutlich steigt, sinkt die des Serotonins im Blut dieser Menschen auf ein ähnlich niedriges Niveau wie bei Zwangsneurotikern ab. Ein Mangel an Serotonin kann außerdem zu einer ausgewachsenen Depression führen. So einfach also lassen sich die heftigen Stimmungsschwankungen von Rosarot bis Pechschwarz also erklären. Völlig immun gegen das Auf und Ab in der Liebe zeigt sich an dieser Stelle überraschend Heinrich Heine, der an die ganze Sache mit männlicher Logik herangeht: 

 

Der Brief, den du geschrieben (Heinrich Heine, gelesen von Will Quadflieg)

Der Brief, den du geschrieben,

Er macht mich gar nicht bang;

Du willst mich nicht mehr lieben,

Aber dein Brief ist lang.

Zwölf Seiten, eng und zierlich!

Ein kleines Manuscript!

Man schreibt nicht so ausführlich

Wenn man den Abschied gibt.

Doch, wenn wir ehrlich sind, können in Kernspintomographen und dank Hormonspiegelwerte die biochemischen Prozesse erklärt werden, die das Verliebtsein in Kopf und Körper des Betroffenen auslöst. Einen Grund für die Tatsache des Verliebens an sich liefern sie hingegen nicht. Die Autorin der Bücher "Warum wir lieben" und "Anatomie der Liebe", Helen Fisher, sollte darauf eine Antwort wissen. In einem Focus-Interview gibt die us-amerikanische Professorin dann auch ihre Auffassung von der romantischen Liebe bekannt: "Ich glaube, die romantische Liebe ist einer von drei Basistrieben: Der Sextrieb entwickelte sich, um den Menschen die Suche nach einem genetisch geeigneten Partner zu bringen. Die romantische Liebe entwickelte sich, damit der Mensch seine Fortpflanzungsenergie auf einen Partner fokussieren konnte. Und der Bindungstrieb entwickelte sich, damit ein Paar zumindest so lang zusammenbleibt, bis der Nachwuchs großgezogen ist." 

Wenn Frau Fisher Recht hat, sind sexuelle Anziehungskraft, das einzigartige Gefühl des Verliebtseins und der zumindest eine ganze Weile anhaltende Bindungswunsch nichts weiter als dem Erhalt der Gattung Mensch geschuldet. Logischerweise wird niemand, der sich gerade unsterblich in die Eine oder den Einzigen verliebt hat - oder aber mit gebrochenem Herzen schwört, nie wieder jemand anderen so zu lieben, dieser Theorie folgen können, schließt sie doch das Einzigartige, das Vorherbestimmte, das Schicksalhafte der Begegnung zweier Liebender grundsätzlich aus und reduziert sie auf die genetische Kompabilität der Erzeuger. 

Und tatsächlich kann Liebesgott Amor seine Pfeile gleich im Kescher stecken lassen. Denn scheint es weder Vorherbestimmung noch göttliche Fügung zu sein, wer unseren Hormonspiegel aus dem Gleichgewicht bringt und unsere Zurechnungsfähigkeit beeinträchtigt, sondern die körpereigenen Duftstoffe, die wir verströmen. Die Pheromone, die den Individualgeruch einer Person bestimmen, geben nämlich Aufschluss über den genetischen Code der potenziellen Liebespartner. Und es scheint so zu sein, dass wir dazu tendieren, einen genetisch von uns ganz verschiedenen Menschen zu Fortpflanzungszwecken zu erwählen. Durch unterschiedliche genetische Anlagen wäre zumindest der gemeinsame Nachwuchs besser gegen Krankheiten, Bakterien und Parasiten gewappnet. 

Natürlich findet die aromatische Beeinflussung auf einer unbewussten Ebene statt. Denn, auch wenn das Sprichwort "jemanden gut oder gar nicht riechen zu können" eine Tatsache zu beschreiben scheint, so fällt es doch schwer zu glauben, dass ausgerechnet der Achselschweiß des Angebeteten die Liebes- und Lustgefühle produzieren soll. Verliebtsein entpuppt sich mehr und mehr als ein Fremdgesteuertsein durch Hormone und Sexuallockstoffe. Was droht, wenn die einmal nachlassen, beschreibt Zyniker Erich Kästner

 

Sachliche Romanze (gelesen von Will Quadflieg)

Als sie einander acht Jahre kannten

(und man darf sagen sie kannten sich gut),

kam ihre Liebe plötzlich abhanden.

Wie andern Leuten ein Stock oder Hut.



Sie waren traurig, betrugen sich heiter,

versuchten Küsse, als ob nichts sei,

und sahen sich an und wussten nicht weiter.

Da weinte sie schliesslich. Und er stand dabei.


Vom Fenster aus konnte man Schiffen winken.

Er sagt, es wäre schon Viertel nach vier

und Zeit, irgendwo Kaffee zu trinken.

Nebenan übte ein Mensch Klavier.


Sie gingen ins kleinste Café am Ort

und rührten in ihren Tassen.

Am Abend sassen sie immer noch dort.

Sie sassen allein, und sie sprachen kein Wort

und konnten es einfach nicht fassen.

Ähnlich ernüchternd kommt folgende Erkenntnis der Liebesforscher daher: Der Schwur zu ewiger Treue entstammt wohl nicht dem überwältigenden Gefühl, endlich die oder den Richtigen gefunden zu haben, die oder der der eigenen Existenz tieferen Sinn verleiht, sondern lediglich dem Hormon Oxytocin, das der Körper unter ganz bestimmten Umständen produziert: zum Beispiel bei der Geburt eines Kindes oder während des Stillens im Gehirn der Mutter, aber auch durch erotische Berührungen, innige Küssen und besonders bei Orgasmen. Dieses als "Treuehormon" bekannte Produkt des Hypophysenhinterlappens intensiviert jedenfalls Vertrauen und Verbundenheit der Liebespartner und in letzter Konsequenz eben auch die Bereitschaft zur Treue. Doch verbirgt sich in dieser endokrinologischen Beobachtung auch eine positive Botschaft: So lange in einer Partnerschaft das Sexleben stimmt, scheint dank einer üppigen Ausschüttung von Oxytocin die Treue des Partners garantiert -  auch über das erst Verliebtsein hinaus. Ein Überschuss des Sexualhormons Testosteron reicht allerdings schon aus, um diese These zu widerlegen. 

Wer sich die Illusion von wahrer Liebe nach all diesen neurobiologischen Überlegungen nicht gänzlich zerstören lassen will, dem sei das "Liebes-Lied" von Rainer Maria Rilke gewidmet, das die Frage nach dem Ursprung der Liebe auf sehr poetische Weise stellt: 

 

Das Liebes-Lied

Wie soll ich meine Seele halten, dass

sie nicht an deine rührt? Wie soll ich sie

hinheben über dich zu andern Dingen?

Ach gerne möcht ich sie bei irgendwas

Verlorenem im Dunkel unterbringen

an einer fremden, stillen Stelle, die

nicht weiterschwingt, wenn deine Tiefen schwingen.

Doch alles, was uns anrührt, dich und mich,

nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich,

der aus zwei Saiten eine Stimme zieht.

Auf welches Instrument sind wir gespannt?

Und welcher Spieler hat uns in der Hand?

O süßes Lied.

 

 Susanne Böllert, wissen.de-Redaktion

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