wissen.de Artikel

Schutzengel - Mittler zwischen Mensch und Gott?

Der Schutzengelglaube hat etwas Kindliches. Vielleicht ist genau das der Grund, warum sich so viele Menschen von Schutzengeln ansprechen lassen. Schutzengel wecken Sehnsüchte.
wissen-de-Autorin Dorothea Schmidt, Okt. 2012

Engel
shutterstock.com/Ernesto Rolandelli


Mein Schutzengel heißt Daniel und ist blond. Als ich Kind war, sagte ein Mann, man könne seinen Schutzengel kennenlernen, man müsse ihn nur bitten. Ich tat es prompt und träumte von ihm: blond, gerade kurze Haare, blaue Augen, muskulös. Er stand in meinem Kinderzimmer und nahm mich auf den Arm.

Der Schutzengel – Kindheitstraum oder Wirklichkeit? Kindheit und Schutzengelglaube scheinen zusammenzuhängen. Fragt man Menschen, ob sie an Schutzengel glauben, antwortet knapp die Hälfte der Deutschen mit „Ja“ (Institut für Demoskopie Allensbach) und erzählt von Augenblicken aus der Kindheit, in der ein Schutzengel sie vor Schlimmen bewahrt haben muss.

 

Schutzengel zum Anfassen

Es glauben mehr Menschen an Schutzengel als an Gott. Eine Theologin erklärte das einmal damit, dass Engel greifbarer seien als Gott. Sie sind Mittler zwischen Gott und Mensch, Botschafter, Helfer. Aber ist es wirklich einfacher an Engel zu glauben als an Gott?
Sicher, man trifft Schutz- und andere Engel häufig an: Putten winken von Kirchendecken oder tummeln sich in Kitschecken mancher Kaufhäuser; als Bilder, Schlüsselanhänger, Kuscheltiere. Auch in der Kunst waren sie schon immer populär. Berühmt sind Leonardo da Vincis Putten und Engel. Johann Sebastian Bach hat sie in seiner Musik – der Kantate 1249 und der Johannes-Passion etwa – zu Wort kommen lassen. Moderne Künstler wie Marc Chagall oder Salvador Dali malten sie. Auch in Songs werden sie gern verarbeitet: „Engel träumen nicht allein”, singt beispielsweise Bernd Clüver. Manche Philosophen, darunter Platon und Heisenberg, glaubten an diese immateriellen personalen Wesen.  

 

Sehnsucht nach dem Paradies

Engel haben Konjunktur. Und das weltweit. Das muss einen Grund haben. Darauf angesprochen, erinnern sich manche an ihre Kindheit. Eine junge Frau, die anonym bleiben möchte, erzählt, wie sie von einem Dach herunterfiel – und völlig unversehrt blieb. Dank ihres Schutzengels, glaubt sie. Für sie war das ein Zeichen, dass es „etwas dort oben“ geben müsse, eine andere Welt, wie sie sagt. Eine, in der eben auch Schutzengel zu Hause sind.


Möglich, dass sich eine innere Sehnsucht nach einer anderen Welt im Schutzengelglauben manifestiert. Oder die Sehnsucht, nie alleine zu sein, weil ja immer jemand auf einen aufpasst. Der Benediktinerpater und Autor zahlreicher Bücher, Anselm Grün, sieht im Schutzengelglauben die Sehnsucht nach einer Welt, in der man geborgen ist, in der man von Leichtigkeit, Schönheit und Hoffnung umgeben ist. Für ihn zeigt sich in der (auch kommerzialisierten) Schutzengelverehrung die Sehnsucht nach Hilfe und Heilung, die nicht aus dem Menschen selber kommt. Das hat etwas von einer Sehnsucht nach dem Paradies, einer Welt voller Frieden, in der allein das Gute zu Hause ist.


Ein Stückchen Paradies auf die Erde bringen wollte auch Michael London mit der Serie „Ein Engel auf Erden“, die das ZDF Ende der 1980er Jahre ausgestrahlt hat. Ein Engel wird von Gott auf die Erde geschickt, um Menschen zur Hilfe zu eilen, die sie gerade benötigen. Es heißt, Michael London (Hauptdarsteller) soll die Serie produziert haben, nachdem seine Tochter eine schwere Krankheit überlebt hat. Er wollte zeigen, dass Gott alles möglich ist, wenn man nur glaubt. Für ihn hängen Gottes- und Schutzengelglauben zusammen. Nur das Gott der Schöpfer und der Allmächtige ist, nicht die Schutzengel. Darauf werden wir auf Autobahnen erinnert, wo in großen Lettern die Aufforderung „Fahre nicht schneller als dein Schutzengel fliegen kann!“ von Plakaten prangt.

 

Unsere Wegbegleiter

Der Engel als Aufpasser und lebenslange Begleiter, das finden wir in vielen Religionen. „Denn er befiehlt seinen Engeln, dich zu behüten auf all deinen Wegen“, heißt es in Psalm 91 der christlichen Bibel. Im Christentum kam der Schutzengelgedanke im 15./16. Jahrhundert auf - eng verbunden mit dem Erzengel Michael, der die Welt vor heftigen Angriffen des Teufels beschützt. Für die Juden ist der Erzengel der Patron des Volkes Israel. Im Judentum wie im Christentum gelten Engel  als Mittler, die dem Menschen  Gottes Willen und seine Anweisungen nahebringen. Man denke nur an die Erzählung, in der ein Engel Josef befiehlt, mit seiner Familie nach Ägypten aufzubrechen, um dem Morden des Herodes zu entkommen. Bekannt ist zum Beispiel auch Tobias, der den jungen Mann Raphael auf einer Reise begleitet. Die Bibel ist voll von Engeln, von Wegbegleitern.

 

Ehrenhafte Schreiber und Bodhisattvas

Ein sehr ähnliches Schutzengelverständnis haben die Muslime. Allerdings glauben sie sich von zwei Schutzengeln begleitet, den „Ehrenhaften Schreibern“. Der Engel zur Rechten notiert das Gute, das der Mensch tut, der Engel zur Linken alles Schlechte. Beide Listen werden am Tag des Gerichts abgewogen und entscheiden darüber, ob der Mensch ins Paradies gelangt oder nicht.
Der Buddhismus kennt verschiedene Bodhisattvas. Das können Menschen, aber auch Geistwesen sein. Als  Menschen streben die Bodhisattvas nicht nur selbst nach höchster Erkenntnis, um ins Nirvana einzugehen, sondern helfen auch anderen auf dem Weg dorthin. Als Geister helfen sie den Menschen ebenso, nur das sie selbst schon im Nirvana leben.


Genius und Totem

Spielende Kinder in Unfallgefahr
mev, Augsburg/Eckart Seidl


In der Zeit vor Christi Geburt vertrat die so genannte römische Religion die Ansicht, Männer hätten einen persönlichen Schutzgeist, den Genius. Der Genius bestimmte die Persönlichkeit und das Schicksal, sorgte aber auch für eine gute Zeugungskraft. Der Mann musste seinem Genius nur fleißig Opfer bringen. Der Geniusgedanke entsprang dem Ahnenkult, nach dem die Ahnen als persönliche Beschützer ihrer Nachkommen fungierten.


Eine Entsprechung findet sich in vielen indianischen Völkern. Dort gibt es das Totem, ein Ahne des Menschen, den dieser Totem als Helfer und Beschützer begleitet – manchmal auch in der Gestalt eines Tieres. Dann darf der Mensch entsprechende Tiere nicht essen, sonst verlässt ihn der persönliche Schutzgeist.

 

Garuda und Daimonen

Die griechische Philosophie und Mythologie kennt die Daimonen, die als Geister zwischen Gott und Mensch vermitteln – bei Platon war er der Überbringer von Ideen - und in gewisser Weise das Schicksal des Menschen verkörpern. Deswegen erklärten die Griechen psychische Vorgänge im Menschen mit dem Daimon. Der Daimon begleitet den Menschen wohlwollend bis zum Tod, ähnlich dem christlichen Schutzengel.

 

Telepathie mit dem Schutzengel

Groß in Mode sind Schutzengel außerdem in der Esoterik. Da soll es nun doch Menschen geben, die fähig sind, Schutzengel zu sehen – zumindest aber zu fühlen oder ahnen. Der Kontakt zu ihnen soll wichtig für das Seelenheil sein. Esoteriker legten großen Wert darauf, mit dem eigenen Schutzengel, aber auch mit Engeln allgemein, zu kommunizieren. Das funktioniert über Telepathie: Man vermittelt dem Engel gedanklich eine Botschaft, sagt ihm etwa, was man wissen möchte. Der Schutzengel antwortet durch Ereignisse, Erkenntnisse und Gefühle.

 

„Engel lassen sich erfahren”

Selbst wenn ein Mensch nicht an Gott glaubt - eine Sehnsucht nach etwas Transzendentem scheint ihm implizit zu sein. Die Schutzengel als transzendente Wesen sind da beliebt und sehr willkommen, weswegen sie sich auch einträglich vermarkten lassen. Und ein Beschützer tut jedem gut. Ob jemand an Engel glaubt oder nicht, ist dabei laut Pater Anselm Grün nicht relevant, denn: „Engel lassen sich erfahren.”
 

Mehr Artikel zu diesem Thema

Weitere Lexikon Artikel

Weitere Artikel aus dem Wahrig Synonymwörterbuch

Weitere Artikel aus dem Wahrig Fremdwörterlexikon

Weitere Artikel aus dem Wahrig Herkunftswörterbuch

Weitere Artikel aus dem Wahrig Herkunftswörterbuch

Weitere Artikel aus dem Vornamenlexikon