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Unbeliebte Nachbarn - Vier gängige Vorurteile gegen Flüchtlings-Unterkünfte im Faktencheck

Wenn irgendwo eine neue Unterkunft für Asylbewerber eingerichtet werden soll, gibt es fast immer Streit. Anwohner haben Angst, dass es durch die Flüchtlinge in ihrer Nachbarschaft Probleme gibt, sei es durch Kriminalität oder wirtschaftliche Einbußen. In einem Faktencheck haben wir beliebte Argumente der Unterkunftsgegner überprüft.

Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge in Dortmund-Hacheney

Vorurteil 1: "Wenn Flüchtlinge kommen, steigt die Kriminalität"

Ob an diesem Argument etwas dran ist, ist nicht ganz so leicht zu überprüfen. Denn Straftaten von Flüchtlingen nicht gesondert erfasst. Sie werden stattdessen allgemein unter der Rubrik "nichtdeutsche" Täter gelistet. Dazu gehören neben Flüchtlingen auch in Deutschland niedergelassene Ausländer sowie Durchreisende, Touristen, Angehörige ausländischer Streitkräfte und ausländische Studierende.

Nur in Berlin wurde 2014 in der Polizeistatistik der Anteil von Flüchtlingen an allen Straftatverdächtigen explizit ausgewiesen - mit 1,3 Prozent. Diese Zahl ist tatsächlich ein wenig höher als der gesamte Anteil von Flüchtlingen an der Berliner Bevölkerung. Allerdings: Es ging hier um Verdächtige, nicht um überführte Täter. Hinzu kommt: Fast zwei Drittel aller Asylbewerber sind unter 35 Jahre alt und männlich. Junge Männer aber sind generell – unabhängig von ihrer Herkunft – eine Bevölkerungsgruppe, die laut Bundeskriminalamt besonders häufig straffällig wird. Wenn es Probleme gibt, dann könnte dies daher eher daran liegen als an der Tatsache, dass es sich um Flüchtlinge handelt.

Tatsächlich sind Flüchtlingsheime entgegen vieler Befürchtungen keine Kriminalitätsschwerpunkte. Bundesweite Statistiken über die Kriminalitätsentwicklung im Umfeld neuer Gemeinschaftsunterkünfte gibt es zwar nicht, aber die Lageeinschätzungen der Polizeibehörden sind einhellig: In Berlin, Bremen und Dresden haben neue Asylbewerberunterkünfte nicht zu einer erhöhten Kriminalität geführt.

Umgekehrt nimmt aber die rassistisch motivierte Kriminalität zu: Im Jahr 2014 wurden bundesweit rund 150 Attacken auf Flüchtlingsheime gezählt, wesentlich mehr also als 2013. Da hatte das Bundeskriminalamt insgesamt 58 gegen Flüchtlinge gerichtete Straftaten gezählt, darunter Propagandadelikte, Sachbeschädigung, Brandstiftung, Volksverhetzungen, Körperverletzungen und Beleidigungen.

Vorurteil 2: "Immobilien verlieren an Wert"

Als der Hamburger Senat ankündigte, im exklusiven Stadtteil Harvestehude eine Flüchtlingsunterkunft einzurichten, reichten drei Anwohner Klage ein und begründeten dies unter anderem mit einer drohenden Wertminderung ihrer Immobilien. Das Verwaltungsgericht gab der Klage statt. Ausschlaggebend dafür war jedoch nicht ein möglicher Wertverlust, sondern die Tatsache, dass der Bebauungsplan eine Unterkunft in dem Wohngebiet nicht zuließ. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Dem Eigentümerverband Haus und Grund Deutschland liegen keine Daten vor, die einen Wertverlust durch Heimeröffnungen belegen würden. Auch der Immobilienverband IVD, die bundesweite Interessenvertretung der Makler, kann für die Ängste der Eigentümer keine sachlichen Belege anführen. Noch deutlicher äußert sich der Wertermittlungsausschuss des Immobilienverbandes Berlin-Brandenburg. Er hält Ängste vor einem Wertverlust für "subjektive Eindrücke". Zwischen der Eröffnung einer Unterkunft und der Immobilienpreisentwicklung gebe es keinen Zusammenhang.

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