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PISA-Studie: Warum Deutschland immer schlechter abschneidet
Alle drei Jahre legen rund 690.000 Schüler aus 81 Staaten eine PISA-Prüfung ab. PISA steht dabei für „Programme for International Student Assessment“ und gilt als wichtigster Schulvergleichstest der Welt. Die teilnehmenden Schüler sind 15 Jahre alt, befinden sich also in der Mittelstufe und damit zumindest für Haupt- und Realschüler kurz vor Ende der Schulpflicht. Um von dort ins Berufsleben starten zu können, sollten Jugendliche über umfassende Kenntnisse in Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften verfügen. Alle drei Disziplinen werden beim PISA-Test geprüft, wobei jedesmal eine von ihnen im Vordergrund steht – dieses Mal die Mathematik.
Wie sieht die PISA-Studie aus?
Doch wie ist es eigentlich, einer der 14.000 repräsentativ ausgewählten Jugendlichen zu sein, die hier in Deutschland an der PISA-Studie teilnehmen? Sie alle müssen einen zweistündigen Test schreiben, in dem sie unterschiedlich schwere Aufgaben am Computer bearbeiten. Dazu gehören Multiple-Choice-Fragen ebenso wie frei zu beantwortende Fragen. Anders als die meisten Klassenarbeiten fragt PISA jedoch nicht einfach nur auswendig Gelerntes ab, sondern prüft, wie gut die Schüler in der Lage sind, ihr Fachwissen auf Problemstellungen im Alltag anzuwenden.
Zum Beispiel mussten die Jugendlichen dieses Mal eine Anleitung für einen Fliesenleger erstellen, der mit unterschiedlich gestalteten Fliesen ein bestimmtes Muster legen soll. Oder sie mussten anhand eines Stadtplans den kürzesten Weg von einem Ort zu einem anderen finden. Eine weitere Aufgabe bestand darin, den Umgang mit einem Simulationstool zu erlernen und mit seiner Hilfe herauszufinden, wie sich verschiedene Sparsummen langfristig auswirken.
Wie hat Deutschland abgeschnitten?
Nachdem hunderttausende Schüler diese und viele weitere Aufgaben im Frühling 2022 gelöst haben, sind nun ihre Ergebnisse veröffentlicht worden. Wie schon in den Jahren zuvor ist darin weiterhin ein klarer Abwärtstrend zu beobachten. In vielen Industrienationen sind die akademischen Fähigkeiten der Schüler weiter zurückgegangen – in Deutschland sogar überdurchschnittlich stark. Bei uns haben die Jugendlichen so schlecht abgeschnitten wie nie zuvor.
Dadurch liegt Deutschland in Mathematik und Lesen nur noch im Durchschnitt der Industrienationen, wozu unter anderem Europa, die USA und Japan gehören. Zu den Anfängen der PISA-Studie in den frühen 2000er Jahren waren die deutschen Jugendlichen noch deutlich besser, ihre Leistungen sind dann aber immer weiter eingebrochen. Mittlerweile liegen die deutschen Schüler nur noch in den Naturwissenschaften leicht über dem Durchschnitt der Industrienationen.
Was bedeuten die Ergebnisse für Deutschland?
Auf die einzelnen deutschen Schüler heruntergebrochen bedeuten die Ergebnisse, dass ein Drittel von ihnen in mindestens einer der drei getesteten Disziplinen nur das allerniedrigste Kompetenzniveau erreicht. Bei jedem sechsten Schüler trifft das sogar auf alle drei Disziplinen zu. Ihre Leistungen waren also so schwach, dass sie eigentlich zusätzliche Förderung benötigten, um schulisch oder beruflich voranzukommen und an allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens teilzuhaben, wie die Technische Universität München erklärt. Trotzdem erhält aktuell nur die Hälfte dieser leistungsschwachen Schüler tatsächlich eine solche Förderung.
Gleichzeitig ist auch der Anteil der Schüler gesunken, die sich in den Vorjahren als besonders leistungsstark hervorgetan haben. Im Bereich Mathematik liegt ihr Anteil noch bei neun Prozent, im Lesen bei acht Prozent. Lediglich im Bereich Naturwissenschaften ist ihr Anteil mit rund zehn Prozent stabil geblieben.
Warum haben wir so schlecht abgeschnitten?
Aber warum nehmen die akademischen Leistungen deutscher Schüler immer weiter ab? Die Technische Universität München, die die Studie hierzulande organisiert, hat dafür verschiedene Erklärungsansätze. Zum einen könnte es sein, dass die Schulschließungen während der Corona-Pandemie bei den Schülern Bildungslücken erzeugt haben. Viele Schüler fühlten sich währenddessen im Stich gelassen und konnten von zu Hause aus nur schwer mit dem aktuellen Stoff mithalten. Außerdem war Deutschland nicht gut mit Digitalgeräten für den Distanzunterricht ausgestattet, was das Homeschooling nochmals erschwerte.
Gleichzeitig gab es in der diesjährigen PISA-Studie aber auch Länder, die ihre Schulen deutlich länger und drastischer geschlossen hatten und in denen die Leistungen trotzdem nicht derart eingebrochen sind. Der Corona-Faktor allein erklärt den Kompetenzsturz also wahrscheinlich nicht. Die TU München vermutet daher noch weitere Gründe, darunter die familiäre Situation der Jugendlichen. Denn so wie bereits in den Vorjahren haben Kinder aus einkommensschwachen Familien oder aus solchen mit Migrationshintergrund im Schnitt deutlich schlechtere Leistungen erbracht. Das könnte zum Beispiel daran liegen, dass die Eltern ihren Kindern nur bedingt bei den Schulaufgaben helfen können, zu Hause kein Deutsch reden oder sich keine Nachhilfe leisten können.
Eine Frage der Motivation?
Darüber hinaus vermutet die TU München noch einen dritten Grund für das PISA-Debakel: die Motivation der Schüler. In begleitenden Fragebögen sollten die teilnehmenden Jugendlichen auch angeben, wie viel Freude sie an den verschiedene Fächern haben und wie sie die Unterrichtsgestaltung bewerten. Und dabei zeigte sich, dass die deutschen Schüler gerade am Bereich Mathematik deutlich weniger Interesse und Freude zeigen als noch vor zehn Jahren. Viele von ihnen sehen zudem keinen großen Nutzen darin, das Fach zu lernen.
„Die Ergebnisse zeigen außerdem, dass sich die Schüler weniger durch ihre Mathematiklehrkraft unterstützt fühlen – diese Unterstützung ist aber ein wichtiges Merkmal für guten Unterricht. Zudem nehmen die Jugendlichen den von ihren Lehrkräften intendierten Lebensweltbezug im Unterricht nur in Teilen wahr. Das erschwert es ihnen zu erkennen, welche Bedeutung Mathematik in ihrem Leben spielt – worunter wiederum die Motivation für das Fach leiden kann“, erklärt Studienleiterin Doris Lewalter.
Warum steht PISA in der Kritik?
Dass Deutschland seit Jahren so schlecht abschneidet, könnte aber noch einen ganz anderen Grund haben. Bildungsforscher kritisieren schon seit längerem den Aufbau der PISA-Studie und bemängeln, dass manche Länder regelmäßig „schummeln“, um höhere Plätze zu erreichen. Was als repräsentative Schülerauswahl gilt, ist nämlich nicht einheitlich geregelt und so stehen einige Länder wie Schweden und China im Verdacht, Kinder aus bildungsfernen Provinzen oder Einwandererfamilien gezielt nicht teilnehmen zu lassen, um den eigenen Score zu verbessern.
„In Deutschland werden offenbar alle getestet, egal, ob sie dem gewachsen sind oder nicht. Von daher bedeutet dieses Nationen-Ranking eine enorme Verzerrung“, beklagt Pädagoge und Historiker Rainer Bölling. Hinzu kommt, dass nicht alle 15-Jährigen mit denselben Startvoraussetzungen in die Prüfung gehen. In manchen Ländern entspricht ihr Alter der Klassenstufe neun, in anderen der zehn. In wieder anderen Ländern ist es außerdem üblich, neben der Schule noch private Nachhilfe zu erhalten. Dadurch steht sogar in Frage, ob PISA überhaupt seinen Zweck als Schulvergleich erfüllen kann.
Doch die Kritik an der PISA-Studie entbindet die deutsche Bildungspolitik nicht von ihrer Verantwortung. Denn auch unabhängig von den neuesten PISA-Ergebnissen gibt es immer wieder Kritik am deutschen Schulsystem und daran, dass die Leistungen der Schüler sinken. Bildungsforscher fordern daher schon länger ein Upgrade für deutsche Schulen – etwa indem diese digitaler werden oder mehr Möglichkeiten erhalten, sozial benachteiligte Kinder zusätzlich zu fördern.