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Was Selfies über uns aussagen
„Der Begriff Selfie feiert gerade seinen 21. Geburtstag“, erklärt Tobias Schneider von der Universität Bamberg. Final angebrochen ist die Ära des digitalen, schnell geknipsten Selbstporträts allerdings erst im Jahr 2010, als mit dem iPhone 4 erstmals ein Handy mit Innenkamera auf den Markt kam. Der parallele Aufstieg von sozialen Medien wie Facebook und Instagram hat schließlich dafür gesorgt, dass Selfies mittlerweile nicht mehr aus unserem Alltag wegzudenken sind. Wir posten sie online, schicken sie an Freunde und Familie oder nehmen sie einfach privat auf.
Der Selfieliebe auf der Spur
Aber warum sind wir überhaupt so selfiebegeistert? An der „Jugend von heute“ kann es schon einmal nicht liegen, denn auch in Zeiten ohne Smartphone und Internet war die Menschheit schon daran interessiert, sich selbst darzustellen. „Selbstporträts sind der Kunstgeschichte seit fast 200 Jahren in der Fotografie und seit mehr als 500 Jahren in der Malerei bekannt“, erklärt Schneider. Als erstes offizielles Selbstporträt gilt das 1433 vom niederländischen Maler Jan van Eyck geschaffene Ölgemälde „Porträt eines Mann mit rotem Turban“. Das erste mit einer Kamera aufgenommene „Selfie“ wurde 1839 von dem US-Amerikaner Robert Cornelius im Hinterhof seines Familiengeschäfts geknipst.
Während man Selbstbildnisse aus den damaligen Zeiten noch als den Ausdruck von Erfindergeist und Neugierde interpretieren kann, werden selfieliebenden Menschen heutzutage eher Arroganz und Narzissmus nachgesagt. Laut einer Studie aus dem Jahr 2020 ist das aber tatsächlich nicht der Hauptgrund, warum wir uns selbst fotografieren. Die für die Studie Befragten gaben nur in 30 Prozent der Fälle an, Selfies zu schießen, weil sie sich selbst attraktiv finden und das mit der Welt teilen wollen. Die restlichen 70 Prozent der Selfie-Schnappschüsse entstehen, weil die Befragten Erfahrungen mit anderen teilen oder Erinnerungen festhalten wollen, beziehungsweise weil Selfies zu ihrem Berufsleben als Influencer oder anderweitig Prominentem dazugehören.
Worauf wir bei Selfies achten
Doch egal ob wir nun ein Urlaubs-Selfie in die Familiengruppe schicken oder ein Bild mit angespannten Muskeln aus dem Spiegel des Fitnessstudios posten: In den meisten Fällen verfolgen wir mit einem Selbstporträt ein bestimmtes Ziel. Wir wollen uns auf spezielle Weise hervorheben, etwa indem wir uns als besonders attraktiv, intelligent oder reiselustig darstellen. Obwohl diese Inszenierung häufig eher unterbewusst geschieht, löst sie bei den Betrachtern unseres Bildes trotzdem bestimmte Assoziationen aus.
Was in Menschen vorgeht, wenn sie das Selfie einer fremden Person betrachten, hat Tobias Schneider gerade erst zusammen mit einem Kollegen untersucht. Die Forscher baten dafür über 100 Testpersonen, jeweils 15 zufällig ausgewählte Selfies zu betrachten und spontan fünf Begriffe aufzuschreiben, die sie mit den Aufnahmen assoziieren. Dabei stellten Schneider und sein Kollege fest, dass wir Selfies typischerweise hinsichtlich fünf Kategorien beurteilen:
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„Ästhetik“: Finden wir das Bild ästhetisch? Welchen Stil verfolgt es?
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„Imagination“: Was macht die Person auf dem Selfie gerade? Was geht in ihr vor?
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„Charakterzug“: Welche Persönlichkeitseigenschaften hat die abgebildete Person wohl?
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„Gemütszustand“: Wie fühlt sich die Person auf dem Selfie gerade?
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„Theorie des Geistes“: Welche Motive verfolgt die gezeigte Person? Welche Identität hat sie?
Mit einem simplen Selfie können wir bei unserem Gegenüber also eine Vielzahl verschiedener Assoziationen auslösen, die wahrscheinlich mal mehr, mal weniger ins Schwarze treffen, aber stets auf der Version unserer selbst beruhen, die wir auf dem Selfie präsentieren. „Das zeigt, dass wir nicht zwingend Worte brauchen, um ganz spezifische Nachrichten über uns selbst an die Außenwelt zu senden“, sagt Schneider. Vielleicht sollten wir Selfies in Zukunft also weniger als bedeutungslose Spielerei und mehr als eine Art Visitenkarte oder Botschaft verstehen, mit der wir anderen Menschen ausgewählte Informationen über uns zukommen lassen können.