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Abendstern und Morgenstern – aus zwei mach eins

Planetarien und Sternwarten kennen das: Ein aufgeregter Anrufer meldet einen „neuen Stern“ oder ein UFO. Der Anrufer ist sich sicher: Noch nie habe er einen so hellen Stern am Abendhimmel gesehen, das sei bestimmt eine Supernova (wenn nicht sogar etwas Schlimmeres). Ein halbes Jahr später häufen sich wieder ähnliche Sichtungen: Am Osthimmel vor Sonnenaufgang und noch lange danach sei ein Stern zu sehen, der aussehe wie die Landescheinwerfer eines Flugzeuges, aber er rühre sich nicht vom Fleck. Die besorgten Anrufer heutiger Tage teilen ihr Erlebnis mit den Menschen, die in der Antike lebten, und die den beiden hellen Sternen ihre Namen gaben: Hesperos, der Abendstern, und Phosphoros (lat. Luzifer), der „Lichtträger“, bzw. Morgenstern.

Dirk Soltau

Plinius der Ältere schreibt dem griechischen Mathematiker und Philosoph Pythagoras von Samos (570 bis 500 v. Chr.) die Enthüllung der wahren Natur dieser beiden Himmelskörper zu: Hesperos und Phosphoros sind identisch.

Es ist der Planet Venus, der dieses Wechselspiel veranstaltet, indem er manchmal nach der Sonne untergeht (Abendstern) und manchmal vor der Sonne aufgeht (Morgenstern). Die positive Rolle als Aufhellerin des Abends und des Morgens prägte das günstige mythologische und später astrologische Image. Schließlich ist die Venus nach der Sonne manchmal das hellste Objekt am Himmel!

Besonders in Rom wurde sie verehrt und mit der griechischen Göttin Aphrodite gleich gesetzt. Sie ist die Göttin der Liebe und der Schönheit, sie bringt Glück und Sieg und beschützt die Keuschheit. In dieser Rolle mag sie überschätzt worden sein, denn ihre Ehe mit dem Gott Vulkan hielt sie nicht von zahlreichen Affären, u.a. mit dem Kriegsgott Mars, ab. In der Symbolik steht Venus für das weibliche Prinzip und das alte astronomische Venussymbol findet sich in der Frauenbewegung an vielen Stellen wieder. Für die langen Jahrhunderte bis zur kopernikanischen Wende und zur Erfindung des Fernrohres war Venus einfach der „Juwel am Himmel“ und für die Dichter mindestens so attraktiv wie für die Himmelsgelehrten. So schmachtete der Minnesänger Wolfram von Eschenbach (ca. 1180 bis 1220) zur mittelalterlichen Leier:

„O du mein holder Abendstern Wie schaut ich immer dich so gern!“

Und ahnte noch nichts davon, wie wenig „hold“ sich Venus den modernen Astronomen zeigen sollte ...

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