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Abschied von der Steinkohle

Mehr als tausend Jahre lang wurde in Deutschland Kohle gefördert. Ihr Abbau prägte ganze Landschaften und machte viele technische Entwicklungen und Industrien erst möglich. Doch jetzt ist damit Schluss. Ende 2018 machen auch die letzten beiden Steinkohlenzechen in Deutschland dicht. Damit geht eine auch für unsere Geschichte prägende Ära des Industriezeitalters zu Ende.
NPO, 14.12.2018

Am 21. Dezember ist endgültig Schluss. Dann wird mit Prosper Haniel die letzte deutsche Steinkohle-Zeche offiziell und feierlich geschlossen.

Sie sind die letzten ihrer Art: Prosper-Haniel im Ruhrgebiet und Anthrazit Ibbenbüren sind die letzten Zechen in Deutschland, in denen 2018 noch Steinkohle gefördert wurde. Doch damit ist es nun vorbei: In Ibbenbüren wurden schon im September 2018 die letzten Loren mit Kohle aus dem Bergwerk gefahren. Offiziell wurde die Zeche dann am 4. Dezember geschlossen. Nach gut 500 Jahren endete damit der Steinkohleabbau in einer der tiefsten Schachtanlagen Europas.

Im zweiten noch verbliebenen Steinkohle-Bergwerk, der Zeche Proper-Haniel in Bottrop, endet die Förderung offiziell am 21. Dezember 2018. An diesem Tag wird das letzte Stück Steinkohle in Deutschland aus der Erde geholt. Im Rahmen eines Festakts werden Bergleute dabei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier symbolisch dieses letzte Kohlestück überreichen.

Für Deutschland geht damit eine Ära zu Ende. Denn die Steinkohle und ihr Abbau haben unsere Wirtschaft, Geschichte und nicht zuletzt auch unsere Gesellschaft entscheidend geprägt. Erst durch sie entstanden Ballungsräume und Industriezentren wie das Ruhrgebiet. Und mit dem Bergbau und der Industrialisierung nahmen auch viele gesellschaftliche und politische Entwicklung ihren Anfang.

Wie die deutsche Steinkohle entstand

Die Geschichte der deutschen Steinkohle reicht zurück in die Zeit vor rund 300 Millionen Jahren. Damals lag Deutschland noch am Äquator, das Ruhrgebiet war ein von Sümpfen, Sandbänken und Wasserläufen durchsetztes Schwemmland unweit der Meeresküste. In diesen Sumpfgebieten entwickelte sich eine üppige Vegetation, darunter Farne, Schachtelhalme und Schuppenbäume. Weil sich die Flussläufe immer wieder verlagerten, aber auch der Meeresspiegel wiederholt anstieg und wieder absank, wurden diese Sümpfe periodisch überflutet und mit Sand oder Ton überdeckt.

Im Laufe der folgenden Jahrmillionen wurden diese vergrabenen Schichten immer größerem Druck und Wärme ausgesetzt. Dadurch wandelten sich die abgestorbenen Pflanzenreste und der Humus zuerst zu Braunkohle, dann zu Steinkohle. Eine ursprünglich acht Meter dicke Torfschicht, die sich in rund 8.000 Jahre des Pflanzenwachstums angesammelte hatte, verdichtete sich dabei zu einer nur noch einen Meter mächtigen Kohlenschicht. Die Steinkohle entstand. Durch Untergrundbewegungen und Erosion wurden diese Kohleschichten mancherorts aus der Tiefe wieder nach oben befördert. In Teilen des Saarlands und im Süden des Ruhrgebiets gelangten diese kohlenführenden Schichten sogar bis an die Oberfläche.

Die Anfänge des Kohlenabbaus

In diesen Regionen beginnt auch die lange Geschichte des Kohleabbaus: Im Saarland sammelten die Kelten schon in der Jungsteinzeit Kohlebrocken und schnitzten daraus manchmal sogar Grabbeigaben. Später erkannten die Römer den praktischen Nutzen der Steinkohle als Brennstoff: Sie verwendeten die schwarzen Bocken zum Heizen von Häusern und Thermen, wie Funde in Ruinen römischer Gebäude belegen.

Im Ruhrgebiet ist der Steinkohleabbau spätestens seit dem Mittelalter belegt. Erst erfolgte dies ein einfachen Gruben, den sogenannten Pingen, später grub man rechteckige Schächte und sogar schon erste Stollen. Aber obwohl der Nutzen dieses "schwarzen Goldes" damals durchaus bekannt war, fand die Kohle zunächst nur vereinzelt Verwendung.

Spuren des historischen Bergbaus, wie hier das Mundloch des 1735 bis 1873 betriebenen Caroliner Erbstollens in Holzwickede-Natorp, finden sich überall im Ruhrgebiet.

Dampfmaschine, Stahl und Eisenbahn

Doch mit dem Beginn der industriellen Revolution ändert sich alles: Zuerst in England, später auch in Deutschland und anderen Ländern, breitet sich die Dampfmaschine als neue Technik aus – und mit ihr der Kohleabbau. Denn um die bald in vielen Fabriken und zum Antreiben von Lokomotiven und Schiffen eingesetzten Dampfmaschinen anzutreiben, wird ein effektiver Brennstoff benötigt, der bei geringem Platzbedarf möglichst lange brennt. Genau das liefert die Steinkohle.

Um möglichst viel von dem "schwarzen Gold" gewinnen zu können, entwickeln sich nun auch die Methoden des Bergbaus rasant weiter. Im Ruhrgebiet, dem Saarland und dem damals noch zu Deutschland gehörenden Oberschlesien entstehen immer mehr Bergwerke, die ihre Stollen und Schächte hunderte Meter tief in den Untergrund treiben. Allein im Ruhrgebiet sind um 1804 schon 229 Steinkohle-Zechen in Betrieb. Sie fördern zusammen rund 380.000 Tonnen Kohle im Jahr. Schnell entwickelt sich das Ruhrgebiet zur größten Bergbauregion Europas.

Eisen, Stahl und Schwerindustrie

Und noch etwas verdankt Deutschland seinen reichen Kohlevorkommen: Dank der Steinkohle kann nun auch Eisen und Stahl in großen Mengen produziert werden -  die deutsche Schwerindustrie entsteht. Aus Kohle wird zunächst Koks gewonnen, eine poröse Mischung aus Kohlenstoff und Asche. Im Hochofen wird der Koks dem Eisenerz zugesetzt und entzieht diesem beim Verbrennen den Sauerstoff. Aus dem Roherz entsteht so flüssiges Roheisen, das dann zu Stahl weiterverarbeitet werden kann.

Vor allem im Ruhrgebiet, aber auch im Saarland und einigen anderen Regionen entstehen in 19. Jahrhundert große Zentren der Stahlproduktion, des Maschinenbaus und der Industrie. Sie ziehen tausende von Arbeitskräften an, Siedlungen werden gebaut und nach und nach wachsen Ballungsräume wie das Ruhrgebiet heran. Zum Höhepunkt der deutschen Steinkohleförderung arbeiten allein im Ruhrgebiet mehr als 570.00 Menschen im Kohlebergbau.

Die Steinkohle verhilft auch der chemischen Industrie zum Aufschwung: Ende des 19. Jahrhunderts entdecken Forscher, dass man aus Kohlebestandteilen Teerfarben herstellen kann – und bald besitzen deutsche Chemiefirmen hierin nahezu ein Monopol.

Dank der Steinkohle entstehen im Ruhrgebiet große Zentren der Stahlproduktion, des Maschinenbaus und der Montan- und Energieindustrie. Das bekannteste Symbol dieser Entwicklung, die Krupp-Gussstahlfabrik in Essen, nimmt zu ihrer Hochzeit fünf Quadratkilometer Fläche ein.

Gemeinfrei

Niedergang und Ende

Doch nach dem Zweiten Weltkrieg beginnt die Steinkohle  - bis dahin der dominante fossile Brennstoff in Europa - allmählich an Bedeutung zu verlieren. Sie wird zunehmend vom Erdöl abgelöst. Weil viele Kohlevorkommen schon stark ausgebeutet sind, wird die Kohleförderung zudem immer teurer und im Vergleich zu Öl und Gas zunehmend unrentabel. Als Folge schließen zwischen 1955 und 1965 allein im Ruhrgebiet 40 Zechen – 160.000 Bergleute werden arbeitslos. Seitdem sinkt die Zahl der Steinkohlezechen stetig weiter.

Inzwischen hat die Steinkohle in Deutschland endgültig ausgedient: Jetzt, im Dezember schließen die letzten beiden Zechen. Doch das Erbe der Kohle lebt in vielen Regionen Deutschlands weiter –in einmaligen Industriedenkmälern wie dem UNESCO-Kulturerbe Zeche Zollverein in Essen, aber auch der Kultur und den Menschen ganzer Regionen wie dem Ruhrgebiet.

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