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Acrylamid - vergolden statt verkohlen
Ursprünglich war der Stoff Acrylamid nur aus der Industrie bekannt: als Baustein für Kunst- und Farbstoffe. Doch vor einiger Zeit fanden Wissenschaftler dann heraus, dass das Monomer auch in bestimmten Lebensmitteln vorkommen kann. Es entsteht, wenn kohlenhydratreiche Produkte gebacken, gebraten, geröstet oder frittiert werden. Das trifft zum Beispiel auf Kartoffel- und Getreideerzeugnisse wie Kroketten, Chips und Toastbrot, aber auch auf stärkehaltige Fleisch-Marinaden oder Kaffee zu.
Verantwortlich dafür ist die nach einem französischen Chemiker benannte Maillard-Reaktion. Sie sorgt dafür, dass sich aus Zuckern wie Glukose und Fruktose sowie der Aminosäure Asparagin bei Temperaturen über 120 Grad Celsius Acrylamid bildet. Derselbe chemische Prozess verleiht vielen Lebensmitteln beim Erhitzen eine schöne Bräune und das typische Röstaroma - ob den Pommes im Ofen oder dem Fleisch auf dem Grill.
Potenziell krebserregend
Das Problem: Acrylamid gilt als erbgutschädigend und krebserregend. So zeigen Tierversuche, dass durch eine erhöhte Aufnahme des Stoffes Genmutationen und Tumore entstehen. Wahrscheinlich spielt für diesen Effekt ein Stoffwechselprodukt des Acrylamids eine wesentliche Rolle: das Glycidamid. Studien direkt am Menschen haben einen Zusammenhang zwischen der Acrylamid-Aufnahme und der Krebsentstehung zwar noch nicht eindeutig belegt.
Trotzdem bewerten Institutionen wie die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) Acrylamid als eine potenzielle Gefahr für die öffentliche Gesundheit. Kinder sind nach Sicht der Experten einem besonderen Risiko ausgesetzt. Denn sie können bezogen auf ihr geringes Körpergewicht relativ schnell höhere Mengen der Substanz aufnehmen.
Neue Richtwerte
Aus diesen Gründen gelten in der Europäischen Union seit dem 11. April 2018 neue Regeln für Acrylamid-Werte in Lebensmitteln. Unternehmen, die zum Beispiel Pommes, Chips, Brot oder Kaffee produzieren, müssen künftig darauf achten, dass der Acrylamid-Gehalt in ihren Produkten unter den gesetzlich vorgeschriebenen Richtwerten liegt. Dass sie dies auch tun, sollen die Lebensmittelbehörden in den einzelnen EU-Ländern kontrollieren.
Doch wie viel Acrylamid ist zu viel Acrylamid? In der neuen EU-Verordnung sind je nach Produkt und Verwendung unterschiedliche Richtwerte festgelegt. Demnach darf etwa Getreidebreikost für Säuglinge und Kleinkinder nur noch 40 Mikrogramm pro Kilogramm enthalten, für verzehrfertige Pommes gilt dagegen ein Wert von 500 Mikrogramm. Allerdings: Wie viel Acrylamid Verbraucher wirklich bedenkenlos konsumieren können, lässt sich gar nicht genau bestimmen.
So wenig wie möglich
Einen Grenzwert, bei dessen Unterschreitung ein Risiko ausgeschlossen ist, gibt es nach derzeitigem Kenntnisstand nicht. Theoretisch könnten schon geringe Dosen potenziell die Gesundheit gefährden. Je mehr Acrylamid aufgenommen wird, desto größer wird das Risiko jedoch. Daher gilt aktuell das Prinzip: so wenig wie möglich und so viel wie nötig. Im Klartext heißt das für Verbraucher, dass sie die Aufnahmemenge so gering wie vernünftigerweise machbar halten sollen.
Völlig vermeiden lässt sich die Entstehung von Acrylamid bei bestimmten Garprozessen nicht. Doch nicht nur Lebensmittelhersteller können einiges dafür tun, dass sich zumindest weniger davon bildet. Auch daheim ist dies möglich - wenn man ein paar einfache Regeln befolgt. Erstens gilt: Besonders hochbelastete Produkte wie Kaffeesatz, Pommes, Chips oder Lebkuchen sollten möglichst selten verzehrt werden - insbesondere von Kindern.
Schonende Zubereitung
Zweitens sollten Verbraucher auf eine schonende Zubereitung achten. Garformen wie Kochen und Dünsten etwa gelten als unbedenklich. Beim Braten und Backen ist die Temperatur entscheidend: Ab 170 bis 180 Grad Celsius steigt die Menge des gebildeten Acrylamids sprunghaft an. Diese Temperaturen sollten daher im Idealfall unterschritten werden. Bei höheren Temperaturen gilt: Das Produkt nur so kurz wie nötig erhitzen.
Grundsätzlich raten Experten, sich bei der Zubereitung von Pommes, Bratkartoffeln, Kuchen und Co an einer einprägsamen Faustregel zu orientieren: "Vergolden statt verkohlen". Denn je dunkler ein Lebensmittel wird, desto mehr Acrylamid enthält es.