wissen.de Artikel

Algorithmen im Wahlkampf – zwischen Microtargeting und Deep Fakes

Ob Social Bots, die Falschinformationen verbreiten, Deep Fakes oder Datenmissbrauch zur Wählermanipulation – lernfähige Algorithmen und Botsysteme stehen immer wieder im Verdacht, gerade im Vorfeld von Wahlen manipulativ in die Meinungsbildung und vielleicht sogar das Wahlgeschehen einzugreifen. Aber was ist dran an der Gefahr durch KI und Co für unsere Demokratie?
NPO, 16.09.2021

Bei vielen Wahlen besteht der Verdacht, dass sie über das Internet von Social Bots und professionellen „Troll“-Armeen beeinflusst wurden.

GettyImages

Nirgendwo sonst verbreiten sich Aussagen und Meinungen so schnell wie über die sozialen Medien. Facebook, Twitter und Co sind längst zum Sprachrohr und Stimmungsbarometer der modernen Gesellschaft geworden – und deshalb auch für Politiker im Wahlkampf ein wichtiges Werkzeug. Spätestens mit der US-Präsidentschaftswahl im Jahr 2016 wurde bekannt, in welchem Maße automatisierte Posts und Bot-Botschaften schon jetzt in die Meinungsbildung im Netz eingreifen.

Schon damals kamen Wissenschaftler zu dem Schluss, dass Algorithmen das politische Geschehen im Wahlkampf in mehrfacher Hinsicht manipulieren können: „Erstens kann mit ihnen der Einfluss verschiedener Accounts gezielt verändert und umverteilt werden. Zweitens können die Roboter die Debatte noch weiter polarisieren. Drittens können sie die Verbreitung falscher oder unbestätigter Informationen verstärken“, erklärt Emilio Ferrara von der University of Southern California in Los Angeles.

Wie Bots die Meinungsbildung beeinflussen können

Auch in Deutschland gibt es Anzeichen dafür, dass social Bots vor Wahlen verstärkt aktiv sind. „Insbesondere im Vorfeld von Wahlen steigt die Gefahr von absichtlich eingesetzten Desinformationskampagnen im Internet, um irreführende Informationen zu verbreiten", sagt Jessica Heesen, Medienethikerin an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen.

Ein klassischer Weg der Manipulation durch lernfähige Bots ist das Betreiben von Fake-Accounts in den sozialen Medien. Die KI-Systeme posten gezielt meinungsmachende Informationen, versehen wünschenswerte Inhalte mit Likes, teilen sie und lassen ihr manipulatives Verhalten so aussehen, als stamme es von einem Menschen. Auf diese Weise verhelfen die social Bots Falschinformationen oder bestimmten Personen zu großer Reichweite. "Daher ist es wichtig, dass die Teilnehmenden von Online-Unterhaltungen wissen, ob sie ein menschliches oder nicht-menschliches Gegenüber haben", erklärt Christoph Bieber, Leiter des Projekts KI-Governance an der Universität Duisburg-Essen.

Deep Fakes und Fälschungsjäger

Neue Technologien eröffnen dieser Form der Manipulation und Desinformation zudem ganz neue Möglichkeiten: "Darüber hinaus erweitern KI-Systeme das Spektrum von Falsch- und Desinformationen – etwa durch multimediale Deep Fakes, wenn Audio- und/oder Video-Statements bekannter Persönlichkeiten künstlich erstellt – also gefälscht – werden. Auf diesem Weg lassen sich irreführende Kampagnen-Botschaften entwickeln und verbreiten, die eine ordentliche Wählerinformation erschweren", so Bieber.

Umgekehrt können Algorithmen aber auch dabei helfen, Manipulationen im Netz aufzudecken und zu entfernen. "Gerade KI-Systeme können einen ersten wertvollen Beitrag für die Detektion von Falschnachrichten leisten“, sagt Heesen. So haben Forscher haben bereits Algorithmen entwickelt, die Nachrichten mit Lauffeuer-Potenzial auf Facebook, Twitter und Co identifizieren können – und somit Meldungen, die möglichst schnell auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden sollten. Andere Algorithmen erkennen typische Merkmale von Falschmeldungen in den Texten selbst, aber auch in deren Metadaten.

Zu einseitigen Inhalten oder in algorithmischen Filterblasen können zudem alternative Links und Gegenargumente bereitgestellt werden.

Die Auswertung persönlicher Daten durch lernfähige Algorithmen erlaubt es den Wahlkämpfern, ihre begrenzten Mittel zielgenauer einzusetzen.

GettyImages, Dilok Klaisataporn

Wahlwerbung mit Microtargeting

Künstliche Intelligenz steckt heute auch hinter dem sogenannten Microtargeting. Dabei werden mithilfe von lernfähigen Algorithmen Nutzerdaten ausgewertet. Auf Basis dieser persönlichen Daten können dann – ähnlich wie in der Werbung – verschiedene Zielgruppen mit personalisierten Informationen angesprochen werden. "Seitens der Parteien können solche Auswertungen dazu beitragen, vorhandene Mittel besser und zielgenauer im Wahlkampf einzusetzen", erklärt Bieber.  Empfehlungsalgorithmen können werden, um potenzielle Wähler gezielter anzusprechen.

Gleichzeitig können sich Parteien mithilfe der Algorithmen auch einen Überblick über die Aktivität der Konkurrenz verschaffen: "Eine KI-gestützte Bilderkennung kann helfen, negative Kampagnenmotive der politischen Konkurrenz aufzuspüren und Reaktionen darauf zu erleichtern", erklärt Bieber. Je mehr Daten vorliegen und parteiintern verarbeitet werden können, desto besser sind die Startvoraussetzungen in Wahlkämpfen. Allerdings: Von solchen „lernenden Systemen“ seien die Parteien in Deutschland noch weit entfernt, wie der Experte betont.

Wie sicher ist der Wahlprozess?

Wie aber sieht es mit der Wahl selbst aus? Können technische Tricks oder KI-Systeme das Wahlergebnis verfälschen? Während der ehemalige US-Präsident Donald Trump bis heute der Ansicht ist, ihm sei der Wahlsieg durch direkten Betrug und digitale Manipulationen "gestohlen" worden, gibt es bis heute keine Hinweise auf eine solche Wahlbeeinflussung. Auch die in den USA teilweise mögliche Abstimmung über Wahlmaschinen hat bisherigen Erkenntnissen nach keinen Einfluss auf den Ausgang der US-Präsidentschaftswahl gehabt.

Aber wie sieht es hierzulande aus? Das haben Wissenschaftler ebenfalls näher untersucht. Sie kommen zu dem Schluss, dass für den Wahlprozess bislang keine Gefahren von KI-Systemen ausgehen.  „Insbesondere die Stimmabgabe ist in Deutschland durch den Verzicht auf Wahlcomputer und ähnliche Technik sehr sicher", erklärt Tobias Matzner von der Universität Paderborn. "Vereinzelt mögliche Angriffe auf die Auswertung der Stimmen haben nichts mit KI zu tun. Wo KI Risiken birgt, ist im Wahlkampf und für die Meinungsbildung vor Wahlen."

Mehr Artikel zu diesem Thema

Weitere Lexikon Artikel

Weitere Artikel aus dem Wahrig Synonymwörterbuch

Weitere Artikel aus dem Wahrig Fremdwörterlexikon

Weitere Artikel aus dem Wahrig Herkunftswörterbuch

Weitere Artikel aus dem Vornamenlexikon