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Appell an Opferwillen

13. Oktober 1982 - Vor dem Bundestag gibt der neue Bundeskanzler Helmut Kohl seine Regierungserklärung ab, in der er die Leitlinien seines Kabinetts vorlegt. Zusammen mit den am 27. Oktober beschlossenen Eckwerten für den Haushalt 1983 macht die Erklärung deutlich, dass die neue Regierung vom Bürger Opfer verlangt.

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Kohl zeichnet zunächst ein düsteres Bild der Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland. Nach seinen Worten befindet sich das Land in der schwersten Wirtschaftskrise seit der Staatsgründung. Diese habe auch das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates erschüttert. Darüber hinaus befinde sich die Bundesrepublik in einer geistig-politischen Krise: "Es besteht tiefe Unsicherheit, gespeist aus Angst und Ratlosigkeit, Angst vor wirtschaftlichem Niedergang, Sorge um den Arbeitsplatz, Angst vor Umweltzerstörung, vor Rüstungswettlauf, Angst vieler junger Menschen vor ihrer Zukunft".

 

In dieser Lage appelliert Kohl an die Opfer- und Leistungsbereitschaft der Bürger. Der Einzelne müsse Initiative ergreifen und nicht mehr nur auf den Staat warten. Leistung solle sich wieder lohnen. Zugleich dürfe aber auch den Schwachen und Notleidenden solidarische Hilfe nicht verweigert werden. "Die Frage der Zukunft lautet, wie sich Freiheit, Dynamik und Selbstverantwortung neu entfalten können. Auf dieser Idee gründet die Koalition der Mitte. Zu viele haben zu lange auf Kosten anderer gelebt: Der Staat auf Kosten der Bürger, Bürger auf Kosten von Mitbürgern und - wir sollten es ehrlich sagen - wir alle auf Kosten der nachwachsenden Generationen. Es ist jetzt auch ein Gebot des sozialen Friedens und der sozialen Gerechtigkeit, dass wir der Ehrlichkeit, der Leistung und der Selbstverantwortung eine neue Chance geben."

 

Als konkrete wirtschaftspolitische Maßnahmen kündigt Kohl Steuersenkungen für Kleinbetriebe, die Förderung des Wohnungsbaus, die teilweise durch eine Zwangsanleihe für Besserverdienende finanziert werden soll, sowie der Anhebung der Mehrwertsteuer um 1 % zur Förderung der privaten Investitionstätigkeit an. Außerdem sollen verschiedene Sozialleistungen gekürzt werden, um Investitionsprogramme auflegen und die Staatsfinanzen sanieren zu können. Diese Einschnitte bezeichnet Kohl als "Atempause"; um die finanziellen Grundlagen des sozialen Netzes zu sichern, sei es notwendig, den Bürgern Opfer abzuverlangen.

 

Im außenpolitischen Teil seiner Rede stellt Kohl die Freundschaft mit den USA und die Einbindung in das westliche Bündnis in den Vordergrund. Die Regierungserklärung zeigt darüber hinaus, dass die neue Regierung in der Außenpolitik Kontinuität wahren will, wie sie sich in der Person des alten und neuen Außenministers Hans-Dietrich Genschers manifestiert.

 

Die Ausführungen zur Innenpolitik beschränken sich auf Aussagen zur Ausländerfrage. Kohl betont den Willen zur Integration, sieht aber Begrenzung des Ausländerzuzugs, u.a. durch die Aufrechterhaltung des Anwerbestopps für ausländische Arbeitnehmer und die Begrenzung des Familiennachzugs, als Voraussetzung für ein spannungsfreies Zusammenleben an. Die Bereiche Umwelt- und Datenschutz sowie innere Sicherheit klammert es aus, weil hier noch Differenzen zwischen den Koalitionspartnern bestehen.

 

Was die Bürger konkret an Einsparungen zu erwarten haben, zeigt sich am 27. Oktober, als das Kabinett den Haushaltsentwurf für 1983 unter dem Motto "Wirschaftsförderung und Atempause in der Sozialpolitik" verabschiedet. 1983 sollen die Ausgaben des Bundes um 2,9 % auf 253,8 Milliarden DM steigen; die geplante Neuverschuldung liegt mit 41,5 Milliarden DM um 1,4 Millarden DM über der des laufenden Jahres.

 

Die größten Einsparungen (1,26 Milliarden DM) soll des bei den Zuschüssen zur Bundesanstalt für Arbeit geben. Dies wird in erster Linie durch eine drastische Kürzung der Rentenversicherungsbeiträge für Arbeitslose erreicht. Weitere Maßnahmen sind u.a. Kürzungen bei Kinder- und Wohngeld, Verschiebung der Rentenanpassung, Einschränkungen der Schülerförderung sowie der Sprachförderung von Aussiedlern, Asylbewerbern und Flüchtlingen und Kürzung der Zuschüsse des Bundes zur Rentenversicherung.

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