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Arzneimittel und Volksdroge

Die Geschichte des Rauchens ist geprägt von Ge- und Verboten. Früher galt die Rauchkultur überwiegend als Genuss. Heute wird sie zwar noch immer als normales gesellschaftliches Verhalten akzeptiert, doch die Einstellung zum Rauchen ist in den vergangenen Jahren nicht nur kritischer geworden. Sie wird auch wesentlich intensiver bekämpft. Wer hätte vor wenigen Jahren noch gedacht, dass jemals so rauchstarke Völker wie Spanier, Engländer, Italiener und Iren eine Verbannung der Glimmstängel aus den Lokalen ohne große Proteste hinnehmen würden?
von Iris Hilberth, wissen.de

Wann der Mensch die Tabakpflanze für seinen Konsum entdeckt hat, weiß man nicht genau. Sicher ist aber, dass auf dem amerikanischen Kontinent bereits Jahrhunderte vor Christi Geburt der Tabak als Droge bekannt war. Unter den Ureinwohnern war es üblich, Tabakblätter ähnlich wie Cocablätter zu kauen. Es gab aber auch aus Schilfröhrchen gefertigte Zigaretten, in die zerkleinerter Tabak gestopft wurde sowie Vorläufer der heutigen Zigarre, die aus zusammengerollten kleinen Tabakblättern bestand und mit einem größeren Blatt umwickelt war.

Vor allem aber diente das Rauchen von Tabak den Indianern bei Kulthandlungen und Zeremonien, etwa beim Regen- oder Kriegszauber, um mit der spirituellen Welt in Kontakt zu treten. „Eigentlich benutzen wir den Tabak, um mit dem Großen Geist in Verbindung zu treten. Wir fühlen, dass durch den Rauch, der zum Himmel steigt, die Botschaften zum Großen Geist getragen werden, der im Himmel ist und zu dem ich spreche“, sagte der Sioux-Indianer Toni Little Cloud. Hinlänglich bekannt ist natürlich das Rauchen der Friedenspfeife. Aber Tabak wurde in Amerika auch als Arzneimittel, etwa zur Wunddesinfektion, eingesetzt.


Mit Kolumbus nach Europa

Als Kolumbus 1492 Amerika entdeckte, brachten seine Seefahrer auch die Tabakpflanze mit nach Europa. Zwar war ihnen die Angewohnheit der amerikanischen Ureinwohner zunächst etwas fremd. Sie berichteten, dass man sich in der Neuen Welt angezündete Blätter in den Mund steckte und den Rauch „trank“.

Doch schnell fanden auch die Europäer Gefallen an dieser Gewohnheit. Davon konnte sie auch der Bischof der neu entdeckten Kolonie Fray Bartolome de Las Casas nicht abbringen, der berichtete:“ Ich habe mehrere Spanier auf der Insel Hispaniola gesehen, die sich dieser Dinge bedienten und, als man sie wegen solch hässlicher Gewohnheit tadelte, antworteten, dass es ihnen nunmehr unmöglich sei, diese wieder abzulegen.“

 

"Heidnische Sitte"

Rauchen war zwar mitunter als „heidnische Sitte“ verschrien und die Inquisition behauptete gar, in den Raucher wäre der Teufel gefahren, da er höllischen Qualm ausstieße. Das stoppte aber nicht die Verbreitung des Tabaks in ganz Europa. Man schätzte seine vermutete Heilkraft und nutzte seine leicht euphorisierende Wirkung.

Während des Dreißigjährigen Kriegs (1618-1648) wurde das Rauchen durch die Soldaten auch nach Deutschland gebracht. Zwar galt der Tabak weiterhin als Medizin und durfte legal nur in Apotheken verkauft werden. Wer sich nicht daran hielt, musste jedoch nicht mit Strafen rechnen, denn die Zahl der Konsumenten war damals schon derart hoch, dass die Machthaber kaum Chancen sahen, das Rauchen zu unterbinden.

Anderswo hingegen war man weniger nachsichtig mit den Rauchern. So ließ der türkische Sultan Murad IV. in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts seine rauchenden Untertanen hinrichten. Auch in Russland ging man nicht zimperlich mit den Qualmern um, ihnen drohte das Aufschlitzen der Nase.


"Tabaktrinken" zur Entspannung

Hierzulande kam Rauchen im 17. Jahrhundert regelrecht in Mode, es wurde mit Ruhe und Besinnlichkeit verbunden. Man sprach vom „Tabaktrinken“ und bevorzugte dies bei geistiger Arbeit oder zur Entspannung. Rauchen sollte die Konzentrationskraft verbessern und die Gedanken schärfen. Mit der Einführung der Tabaksteuer im 18. Jahrhundert hatte auch kein Machthaber mehr Interesse, das Rauchen zu verbieten.


Zunächst löste die Zigarre die Pfeife ab, mit der Industrialisierung war die Zigarette immer mehr im Kommen. Französische und englische Soldaten hatten diese neue Art des Rauchens während des Krim-Kriegs kennen gelernt und brachten die Zigaretten mit dem milden Tabak aus Russland und dem Osmanischen Reich mit nach Hause. Zigarettenrauchen hatte etwas Exotisches, ein wenig auch Verruchtes. Man verband es mit Weltgewandtheit und eleganter Lebenskunst.


Zeichen der Emanzipation

Doch bereits um die Jahrhundertwende war die Schädlichkeit des Tabakgenusses bekannt. Das rasche Ansteigen der Raucherquoten wurde kritisiert, die Rauchleidenschaft der Frauen, die den Glimmstängel als Zeichen der Emanzipation sahen, beklagt. Erste Organisationen entstanden, die sich eine Eindämmung des Rauchens zum Ziel setzten.


Bis Mitte des 20. Jahrhunderts nahm der Tabakkonsum dennoch ständig zu. Auch die Nichtraucher-Ideologie der Nationalsozialisten bremste diese Entwicklung nicht. Im Gegenteil: zwischen 1932 und 1939 verbreitete sich in Deutschland das Rauchen stärker als in anderen Ländern. Nach dem Krieg war der Tabak knapp, jeder bekam Zigaretten zugeteilt, die so zu einem begehrten Tauschobjekt wurden. Amerikanische Marken wie „American Blend“ und „Lucky Strike“ suggerierten das neue Gefühl von Freiheit.

 

Krebskranker Marlboro-Mann

Der „Marlboro-Mann“ trat 1955 seinen Werbefeldzug an. Der Tabakkonzern Philip Morris wollte damals dem „weibischen“ Image der Filterzigarette einen kernigen Mann entgegensetzen. Seit den 1960er Jahren tritt er als Cowboy auf. Dass zwei der Darsteller an Lungenkrebs gestorben sind, stimmt tatsächlich. Rodeoreiter Warren McLaren, der 1976 in einer Werbung auftrat, hatte sich sogar nach der Diagnose in den zwei Jahren bis zu seinem Tod für Nichtraucherorganisationen eingesetzt. Noch bekannter ist der Fall von David McLean, einem Darstellers aus den frühen 1960ern, dessen Witwe einen Prozess gegen Philipp Morris anstrengte. Sie behauptete, ihr Mann hätte während des Fototermins bis zu fünf Packungen Zigaretten rauchen müssen.

Erste Studien, die auf die Gefahr des Lungenkrebses durch Rauchen hinwiesen, wurden bereits in den 1950er Jahren veröffentlicht. Damals war schon bekannt, dass das Inhalationsgift nicht nur die Raucher selbst, sondern auch anwesende Nichtraucher gefährdet. Die Tabakbranche reagierte mit der Einführung von Filterzigaretten und so genannten Leichtzigaretten, die suggerierten, die Gesundheit nicht zu gefährden.


Nichtraucher-Kampagnen

Nichtraucher-Kampagne 2000
Glaxo Wellcome, Hamburg
Seit vielen Jahren gibt es Nichtraucher-Kampagnen von Regierung und Gesellschaft. Es bestehen Rauchverbote in Flugzeugen und Schulen, Restaurants weisen spezielle Raucherecken aus.

Das von der Europäischen Union bereits beschlossene komplette Verbot für Tabakwerbung dagegen wurde durch den Widerspruch einiger Länder, darunter auch Deutschland, vor dem Europäischen Gerichtshof erfolgreich angefochten. Trotzdem ist Tabakwerbung heute nur noch im Kino und auf Plakatwänden zugelassen, im Internet und in audiovisuellen Medien dürfen Zigaretten gar nicht angepriesen werden und ein Auftritt als Sponsor von Sportveranstaltungen ist gesetzlich auch so gut wie nicht mehr möglich.

Die Tabakindustrie setzt weiterhin massiv auf das Gefühl von Unabhängigkeit und Freiheit – zum Marlboro- gesellte sich der Camel-Mann. Als werbewirksam erweisen sich heute Bilder, die das Rauchen als „erwachsenes“, als „soziales“ und „normales“ Verhalten“ zeigen, wenn junge Leute in entspannter Runde fröhlich zusammensitzen. Mit Worten wie "mild", „leicht“, „rein“ und „frisch“ schafft man gar die Verbindung zwischen Rauchen und Gesundheit.

 

Nichtraucherschild 2007
istockphoto
Die aktuellen Zahlen schließlich zeigen, dass es noch viel zu tun gibt in punkto Aufklärung: Rund jeder Vierte zwischen Deutsche raucht noch immer, allen Kampagnen zum Trotz.

 

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