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Auf Du und Du mit Koryphäen

Eine hochkarätige Mischung: In Lindau am Bodensee findet in diesen Tagen ein Treffen der besonderen Art statt. 600 Studenten und Nachwuchsforscher aus fast 80 Ländern bekommen die einmalige Gelegenheit, mit absoluten Koryphäen der Wissenschaft zu treffen: 37 Nobelpreisträger, die ihre Erfahrungen, ihr Wissen und ihre Persönlichkeit mit den jungen Menschen teilen.
NPO

Nobelpreisträger sind auch nur Menschen

Von entrücktem Elfenbeinturm keine Spur: In Lindau wird gestritten, gelacht und heftig diskutiert. Denn das Nobelpreisträger-Treffen ist keine normale Tagung, hier geht es eher informell zu – quasi um Koryphäen zum Anfassen, um die Möglichkeit, sich direkt auszutauschen und Ideen zu entwickeln – über alle Hierarchien des Wissenschaftsbetriebes hinweg.

Treffen der Nobelpreisträger in Lindau: Seit mehr als 60 Jahren Tradition.
Lindau Nobel Laureate Meetings

Kein Wunder, dass die Teilnahme an diesen Treffen hoch begehrt ist. Mehrere tausend Studenten, Doktoranden und Postdocs unter 35 Jahren hatten sich bereits ab September 2013 um eine Teilnahme beworben. In einem mehrstufigen Auswahlprozess wurden dann 600 von ihnen für das jetzige, vom 29. Juni bis zum 4.Juli dauernde Treffen ausgewählt. Sie gehören zu den besten und motiviertesten ihrer Jahrgänge und bekommen nun die einmalige Chance, die Spitzen ihres Fachs persönlich zu treffen und kennen zu lernen. "Es war eine extrem bereichernde persönliche Erfahrung, von der ich voller Motivation und neuer kreativer Ideen zurückkehrte", erzählt Rosa Castañé Selga, Teilnehmerin des Jahres 2010.

Der Anfang: Zwei Ärzte und ein Graf

Begonnen hat die Geschichte der Nobelpreisträger-Treffen im Jahr 1950  - mit zwei Ärzten aus Lindau am Bodensee Damals, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, war die deutsche Wissenschaft international ziemlich isoliert. Deutsche Forscher hatten oft kaum Kontakt zu ausländischen Kollegen, internationale Tagungen gab es in Deutschland kaum, wichtige Impulse fehlten. Frustriert von dieser Isolation wandten sich Franz Hein und Gustav Parade 1950 an den am Bodensee lebenden Grafen Lennart Bernadotte. Ihre Idee: Einen Kongress zu gründen, der alljährlich hochrangige Preisträger aus aller Welt nach Lindau zu einem wissenschaftlichen Austausch einlädt. Zunächst vor allem auf dem Feld der Medizin, später dann auch in anderen Fachdisziplinen.

Der mit dem schwedischen Königshaus verwandte Graf Bernadotte nutzte seine Kontakte nach Stockholm aus und versuchte, vor allem Nobelpreisträger für das Treffen zu gewinnen. Mit Erfolg: Schon zum ersten Lindauer Treffen im Juni 1951 reisten sieben Nobelpreisträger an, 4.000 Mediziner aus Deutschland und den umliegenden Ländern besuchten dieses erste europäische Treffen von Nobelpreisträgern.

Koryphäe zum Anfassen: Chemie-Nobelpreisträger Mario Molina diskutiert mit Nachwuchsforschern in Lindau.
Rolf Schultes / Lindau Nobel Laureate Meetings

Wiederholungstäter und Manifeste

Nach diesem ersten Erfolg wurde das Treffen schnell zur Tradition. Die informelle Atmosphäre, der rege interdisziplinäre Austausch, zu dem ab 1953 auch ausgewählte Studenten eingeladen wurden, machte die Lindauer Meetings auch für die Nobelpreisträger interessant. Schnell wurden einige berühmte Forscher Stammgäste in Lindau: Der Chemiker Otto Hahn nahm 16 Mal an dem Treffen teil, Werner Heisenberg 15 Mal.

Aber nicht nur reine, entrückte Wissenschaft war Thema auf den Lindauer Treffen. Schon bald ging es auch um gesellschaftliche Themen, die Forscher formulierten Apelle und Warnungen zu Kernwaffen, der Umweltverschmutzung oder die drohende Knappheit von Erdöl und anderen Ressourcen. 1955 riefen Otto Hahn und seine Kollegen im "Mainauer Manifest" zur nuklearen Abrüstung auf: "Der volle Einsatz dieser Waffen kann die Erde so stark radioaktiv verseuchen, dass ganze Völker ausgelöscht werden würden", heißt es darin. "Alle Länder müssen daher zur Entscheidung kommen, dass sie auf Gewalt als letztes Mittel der Politik verzichten."

Der "Fall Galileo Galilei"

1968 kam es zu einer historischen Begegnung von Kirche und Wissenschaft:  Beim Treffen in Lindau plädierte der Erzbischof von Wien, Franz König, erstmals dafür, Forschern die Akten des "Falles Galilei" zugänglich zu machen. Der Astronom und Gelehrten war 1633 von der Inquisition als Ketzer verurteilt worden, weil er entgegen dem von der Kirche vertretenen geozentrischen Weltbild erklärte, dass sich die Erde um die Sonne dreht. Galilei gilt als klassisches Beispiel für den Konflikt zwischen Kirche und Forschung. Der Appell von König war ein erster Schritt hin zu einer Rehabilitation des Gelehrten von Seiten der katholischen Kirche, die damals seine Schriften noch immer auf dem Index führte. Bis die Kirche Galilei allerdings offiziell rehabilitierte, sollte es noch Jahrzehnte dauern: Dies geschah erst 1992 durch den Papst Johannes Paul II.

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