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Baldrian: Das Gegenteil von Koffein?
Müde – eine Folge verschiedener Reaktionen
Im Gehirn wirken verschiedene Müdemacher; einer davon ist der Botenstoff GABA. Bislang vermutete man, dass Baldrian irgendwie in den GABA-Regelkreis eingreift.
Dabei gibt es auch noch ein ganz anderes "Müdigkeits-Molekül", das Adenosin. Dieses Molekül aus der Gruppe der Lignane bindet sich an bestimmte Rezeptoren im Gehirn, die den Wach-Schlaf-Rhythmus steuern, und setzt dadurch eine Kettenreaktion in Gang, die letztlich müde macht.
Koffein wirkt auf denselben Rezeptortyp, bewirkt allerdings das Gegenteil - es blockiert die Adenosin-Rezeptoren. Die Folge für den Kaffeetrinker: Er wird wach.
"Entspannte" Hirnströme
Erforscht wurde die Funktionsweise des Baldrians durch Versuche an Ratten. Hier konnte nachgewiesen werden, dass sich Vollextrakte aus der Baldrianwurzel an die Rezeptoren binden - ähnlich wie Adenosin.
Bestätigt wurden die Ergebnisse aus den Tierversuch mit gentechnisch produzierten menschlichen Rezeptoren.
Das Interesse eines Schweizer Pharmakonzerns an den Forschungsergebnissen ermöglichte nun eine klinische Studie, in der Zeller-Forscher die Hirnströme von knapp 50 Versuchspersonen maßen: Nach einer Koffeingabe verflachten die Alpha-Wellen, die Entspannung signalisieren; die Beta-Wellen, Anzeichen für Nervosität, wurden im Gegenzug ausgeprägter. Nach der Einnahme von Baldrianextrakt wurde dieser Effekt neutralisiert - ein weiterer Hinweis, dass die Pflanze tatsächlich auf den A1-Rezeptor (Adenosin-Repzeptor) wirkt.
Adenosin ist schlecht fürs Herz
Baldrian enthält verschiedene Verbindungen aus der Gruppe der Lignane. Lignane sind Naturstoffe, die in vielen höheren Pflanzen vorkommen. Die bei der Forschung entdeckte, bislang unbekannte Verbindung, die an den Rezeptoren andockt, ruft dort eine ähnliche Reaktion hervor wie Adenosin.
Adenosin selbst eignet sich nicht als Beruhigungsmittel, denn es wird innerhalb von Sekunden abgebaut. Länger wirksame Adenosin-Derivate sind ebenfalls problematisch: Da es im Herzmuskel auch Adenosin-Rezeptoren gibt, allerdings viel weniger als im Gehirn, können sie zu einer Herzmuskellähmung führen.
Das Lignan entfaltet dagegen nur bei der hohen Rezeptordichte im Gehirn seine Wirkung, zudem scheinen spezielle Transportmoleküle dafür zu sorgen, dass das Lignan besonders gut ins Gehirn gelangt.
Warum sich das Lignan überhaupt mit dem Adenosin-Rezeptor verträgt, ist noch völlig unklar - die Substanz hat kaum Ähnlichkeit mit Adenosin. Nun wollen die Bonner Forscher versuchen, das Molekül so zu verkleinern, dass nur der für die Wirkung wesentliche Teil übrig bleibt. Damit könnte die Wirksamkeit des Präparats erhöht werden.