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Bernstein – ein Fenster in die Vergangenheit

Ob als Schmuckstück, natürliche Zeitkapsel oder Heilstein: Bernstein galt schon bei unseren Vorfahren als kostbare Besonderheit. Doch hinter dem Begriff "Bernstein" verbirgt sich eigentlich ein fossiles Harz, das der Wissenschaft bereits viele wertvolle Erkenntnisse über die Vergangenheit gebracht hat. Aber wie kommt der Bernstein zu seinem steinernen Erscheinungsbild? Welche Rückschlüsse lassen sich auf unsere Vergangenheit ziehen? Und was lernen wir aus den Funden?
ABO, 14.08.2020

Sogenannte Inklusen wie diese Libelle sind ein unschätzbares Abbild des Lebens im Tertiär, der Entstehungszeit der meisten Bernsteine.

iStock.com, NitroCephal

So unscheinbar es auch scheint: Bernstein ist ein Fenster in die Vergangenheit. Es handelt sich um Jahrmillionen altes Baumharz, das aus den Wunden von Kiefern und anderen Nadelhölzern ausgetreten und an der Luft sehr schnell ausgehärtet ist.

Ein "Stein" entsteht

Nachdem das Harz aus den Bäumen austrat, schloss die zähe Flüssigkeit manchmal Insekten, Pflanzenpollen und andere Objekte in sich ein. Nachdem das Harz dann hart wurde, wurden die Tropfen und Klumpen von Sand, Staub und neu gebildeten Gesteinsschichten zugeschüttet. Über Millionen von Jahren wurde aus dem Baumharz unter Luftabschluss und Druck schließlich Bernstein. Anders als bei Versteinerungen findet beim Bernstein keine Umwandlung in ein anderes Material wie zum Beispiel Kristall statt. Der Bernstein, den wir heute in der Hand halten, ist die gleiche Substanz, die als Harz aus dem Baum ausblutete und dann erhärtete.

In diesem Zustand kann das Harz Teile von Pflanzen, Tieren und anderen Organismen über Jahrmillionen hinweg fast unverändert erhalten. Fossile Harze haben sich im Laufe verschiedener Epochen der Erdgeschichte gebildet. Die ältesten sind mehr als 300 Millionen Jahre alt.

Darin eingeschlossene Überreste der Vergangenheit sind für Forscher daher von besonderer Bedeutung – sie gewähren immer wieder einzigartige Einblicke in längst vergangene Zeiten. Häufig finden Wissenschaftler etwa Insekten oder Urzeit-Blüten in dem fossilen Baumharz. Funde von Wirbeltieren sind dagegen äußerst selten.

Vor rund 100 Millionen Jahren wurde diese Spinne auf der Jagd vom Harz ertränkt.

Einen Fund gemacht

Und was passiert nun, wenn Forscher einen Fund machen? Paläontologen müssen zunächst nach den gelb-braunen Stein suchen und graben. Und das klingt leichter als es ist: Bernstein ist von sehr unterschiedlichem Umfang. Die meisten Stücke, die man am Strand finden kann, sind von größeren Bernsteinen abgesplittert und kleiner als Kieselsteine. Manchmal jedoch finden sich auch Bernsteinstücke von der Größe einer Kinderfaust. Größere Funde des fossilen Harzes sind jedoch äußerst selten. Sie finden sich oft als Einschlüsse in urzeitlichen Erdschichten.

Bernstein kann grundsätzlich überall außerhalb der Polarregionen gefunden werden, meist aber in den nördlichen und gemäßigten Breiten der Erdhalbkugel. Wo früher Wälder standen, spülen die Meere heute immer wieder große Mengen des fossilen Harzes an die Küsten. Besonders in der südlichen Ostsee gibt es reiche Vorkommen.

Doch auch nicht jeder Fund verspricht einen Blick in die Vergangenheit. Erst wenn kleine Tiere oder Pollen beispielsweise von dem noch flüssigen Baumharz eingeschlossen werden und schließlich luftdicht darin überdauern, können Forscher der Neuzeit erfolgreiche Erkenntnisse gewinnen. Der Bernstein schützt das tote Lebewesen vor Umwelteinflüssen und Zersetzung.

Mehr als 20 Millionen Jahre in Bernstein konserviert: Gecko aus dem Oligozän.

Aus Funden lernen

Und wenn dann tatsächlich ein Bernsteinfossil auftaucht, können zahlreiche Untersuchungen unser Wissen über die Vergangenheit erweitern: Obwohl es Seltenheiten sind, haben Paläontologen schon Bernsteinfossilien wie einen Urvogel-Flügel oder den Schwanz eines jungen Dinosauriers gefunden. Häufig lassen sich sogar Entwicklungen von Tiergattungen nachverfolgen oder Verbindungen zu heute lebenden Tier- und Pflanzenarten erkennen.

Erstaunlich war auch der Fund eines 15 bis 20 Millionen Jahren alten Bernsteinstücks mit einem kleinen Reptil darin: Der Fuß einer kleinen Anolis-Echse war noch so gut erhalten, dass sogar die Krallen und zwei Knochenbrüche gut zu erkennen sind – möglicherweise stammt einer davon vom Biss eines Raubtieres. So können Rückschlüsse auf das Leben früherer Tiere getroffen werden.

Selbst Funde, die zunächst unspektakulär klingen, eröffnen erstaunliche Einblicke: Forscher der Universität Göttingen und Helsinki entdeckten den bisher ältesten bekannten Schleimpilz. Das Fossil ist etwa 100 Millionen Jahre alt und überdauerte in Bernstein in Myanmar. Da fossile Schleimpilze äußerst selten sind, kann ihre Evolutionsgeschichte nur schwer nachverfolgt werden. Die Forscher zeigen sich daher beeindruckt, dass die Pilzsporen am Körper einer Eidechse hefteten und sich schließlich ablösten zusammen mit dem Reptil [im Harz] eingebettet“ wurden, so Jouko Rikkinen von der Universität Helsinki. Funde wie diese seien besonders interessant, weil sie einer noch heute lebenden Gattung zugeordnet werden können. „Das Fossil gibt einzigartige Einblicke in die Langlebigkeit ökologischer Anpassungen der Myxomyceten“, erläutert der Paläontologe Alexander Schmidt von der Universität Göttingen. Das beweist: Die Suche nach Fossilien bleibt stets eine Suche nach der Erklärung heutiger Erscheinungen.

Eingeschlossen in fossilem Baumharz haben diese Fruchtkörper eines Schleimpilzes die Jahrmillionen überdauert.

Rikkinen, Grimaldi, & Schmidt, 2019 / CC BY 4.0

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