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Bologna im Prozess: Wo hakt‘s bei der Hochschulreform?

Susanne Böllert

 

Die Studenten wussten es längst: Im Bologna-Prozess ist einiges schief gelaufen. Schuld daran? In erster Linie die Politik. Als aber Bundesbildungsministerin Annette Schavan kürzlich Fehler im Bologna-Prozess einräumte, war das Erstaunen groß. Zu viel habe man über Strukturen, zu wenig über Inhalte und Ziele von Bildung diskutiert, so die Bildungschefin. Das Humboldtsche Ideal von Bildung durch Wissenschaft sei im Bologna-Prozess noch nicht verankert. Ob die achte Bologna-Konferenz Ende April, zu der der rumänische Bildungsminister nach Bukarest lädt, daran etwas ändern wird?

Vorurteile werden weniger
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Der Bologna-Prozess, den die europäischen Bildungsminister 1999 in der italienischen Stadt gleichen Namens initiierten, hatte vor allem eins zum Ziel: einen europäischen Hochschulraum. In ihm sollten sich die Studenten frei zwischen den Hochschulen aller Bologna-Länder bewegen, internationale und praktische Erfahrungen sammeln können, um ihre Berufschancen auf dem globalen Arbeitsmarkt zu steigern. Dafür würden im Bologna-Prozess die diversen Studiensysteme und Abschlüsse in die einheitliche Form der Bachelor- und Masterstudiengänge umgewandelt, Durchlässigkeit und Transparenz gesteigert und der Zugang zur Hochschulbildung demokratisiert. Und nicht zuletzt würde sich die unter wachsendem Fachkräftemangel leidende Wirtschaft früher als zuvor über akademischen Nachwuchs freuen. Dead Line für den Bologna-Prozess: das Jahr 2010.

Zahlen versus Realität

 

Pünktlich zur Jubiläums-Konferenz erklärte das Bildungsministerium damals: „Der Europäische Hochschulraum ist Realität.“ Die Zahlen scheinen dies zu bestätigen. 2010 haben in Deutschland erstmals mehr Studenten die Hochschule mit einem B.A.-Abschluss als mit einem traditionellen Titel wie Magister, Diplom oder Staatsexamen verlassen. Und zum Wintersemester 2010/11 war das gestufte Studiensystem aus Bachelor und Master zu immerhin 85 Prozent an den Unis und Fachhochschulen implementiert. Fast möchte man glauben, der Bologna-Prozess stehe haarscharf vor dem Abschluss. Wie aber lässt sich dann erklären, dass Schavan gerade jetzt mit Selbstkritik nicht geizt und davor warnt, der Bachelor dürfe nicht zur „bildungsfreie Zone“ werden.

Weil in zwölf Jahren Bologna-Prozess eben längst nicht alles so gelaufen ist, wie sich seine Begründer das einst ausgemalt haben, erklären Kritiker. So streben zwei Drittel der B.A.-Absolventen laut Hochschul-Informationssystem (HIS) nach dem B.A. einen Master-Abschluss an. Anders als intendiert, hält das Gros der Jung-Akademiker den B.A. also nicht für berufsqualifizierend und sich selbst für zu schlecht auf den Arbeitsmarkt vorbereitet.

Immer noch Zugangsbeschränkungen

 

Rein rechnerisch mögen zwar ausreichend Masterplätze zur Verfügung stehen, dennoch seien die Hürden immer noch zu hoch, sagt Salome Adam vom Freien Zusammenschluss von Studentinnenschaften (fzs). Trotz massiver Studentenproteste 2009 und 2010 gebe es vielerorts noch immer Zugangsbeschränkungen, die eine Bewerbung für den Wunschmasterplatz vereitelten. Neben Ausschlusskriterien wie B.A.-Note, Studiendauer und Praktika berechtigten oft nur ganz bestimmte B.A.s zum Anschlussmaster. Ein Wechsel von einer Uni zur anderen sei so kaum möglich. Transparenz und Durchlässigkeit im Bologna-Prozess? Weit gefehlt, findet die Biochemiestudentin Salome Adam.

Während es um die innerdeutsche Mobilität „extrem schlecht“ stehe, sieht sie zaghafte Fortschritte innerhalb Europas: „Immer mehr Unis stellen auf das allgemeingültige Punktesystem ECTS (European Credit Transfer System) zur Anrechnung von Studienleistungen um und integrieren Auslandssemester fest in den Studienplan. Das erleichtert es, wenigstens für ein halbes Jahr ins Ausland zu gehen.“

Zu wenig Auslandsaufenthalte

 

Doch noch immer treten deutlich weniger Studenten einen Auslandsaufenthalt an, als der Bologna-Prozess intendierte. Neben finanziellen Schwierigkeiten spricht der große Leistungsdruck im gestuften Studiensystem dagegen. Nie zuvor litten so viele Studierende unter Prüfungsstress, Versagensängsten und Depressionen. Laut Studierendensurvey der Uni Konstanz fürchtet jeder Zweite, sein Studium nicht zu schaffen. Die Forderung der Studentenproteste, die BAföG-geförderte Regelstudienzeit der Bachelor von sechs auf sieben oder acht Semester zu erhöhen, hat kaum eine Uni erfüllt. Über 70 Prozent sind weiterhin sechssemestrig. Inhaltlich entsprächen sie jedoch den deutlich längeren Magisterstudiengängen, klagen die Studenten.  Und noch immer ende fast jedes Modul mit einer Prüfung. Studentenvertreter fordern deshalb, das student centred learning stärker im Bologna-Prozess zu verankern. Eher als die obligatorischen Soft-Skill-Seminare würde dies die Eigenverantwortung, die kommunikativen und sozialen Kompetenzen steigern, die Personaler bei den jungen Bachelorn heute häufig vermissen. Auch dem von Annette Schavan angestrebten Humboldt-Ideal von Bildung käme der Bologna-Prozess dadurch einen Schritt näher, sind Kritiker überzeugt.

Studierende spiegeln nicht die Gesellschaft wider

 

Im Vorfeld der Bukarest-Konferenz appellieren sie noch in anderer Sache an die Ministerin. So beklagt Achim Meyer auf der Heyde, Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks, das Verfehlen eines weiteren Bologna-Ziels: „Ein breiterer und gerechterer Hochschulzugang ist noch nicht realisiert, die Zusammensetzung der Studierenden spiegelt noch nicht die Diversität der Gesellschaft wider.“ Neben der fehlenden Demokratisierung der Hochschulbildung müsse auch die soziale Dimension der Reform konkretisiert werden, so Meyer auf der Heyde. Etwa, indem die Studentenwerke mehr in den Bologna-Prozess integriert und für ihre Leistungen wie psychologische, Sozial- und Studienfinanzierungsberatung besser finanziell ausgestattet würden.

Eine gute und eine schlechte Nachricht zum Schluss: Laut einer HIS-Studie finden Bachelor ebenso schnell wie Studenten mit traditionellen Abschlüssen eine Arbeit, sogar eine adäquate. Indes: Adäquat bezahlt ist sie nicht. Viel zu häufig erhalten besonders Geisteswissenschaftler mit B.A. lediglich den Mindestlohn von 9,15 Euro. Auf der Bukarester Agenda der Bologna-Prozess-Experten fehlt dieser Punkt jedoch.

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