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Dämmen: Sinn oder Wahn-Sinn?

Ob Alt- oder Neubaubesitzer: Um das Beschäftigen mit kryptisch anmutenden Bezeichnungen wie U-Wert, EEWärmeG oder EnEv kommt heute keiner mehr herum, denn sie alle sind Grundlage der Dämmpflicht. Doch stellt sich die Frage: Wo hört der Umweltschutz auf und wo fängt Dämm-Wahnsinn an?

Ein mittlerweile vertrautes Bild: Ein Altbau wird mit einer dicken Dämmschicht unter der Dachdeckung versehen.

pixabay.com, Digitalwunder

Es passiert in Deutschland jährlich ungezählte Male: Menschen erben ein Haus. Vielleicht ein altes von Oma oder dem verblichenen Onkel – und ohne irgendetwas Böses zu tun sind diese Menschen dann, sobald sie dieses Haus nutzen, Gesetzesbrecher. Denn mittlerweile besteht für jedes Bestandsgebäude eine Pflicht, die oberste Geschossdecke, ersatzweise das ganze Dach zu dämmen – Ausnahmen gibt es praktisch keine. Auch bei Neubauten gibt es ähnliche, sogar wesentlich strengere Vorgaben und alle treiben die Kosten gewaltig in die Höhe. Da stellt sich natürlich die Frage, wo Sinnhaftigkeit endet und ein regelrechter Dämmwahn beginnt. Der folgende Artikel versucht, dieser Frage auf den Grund zu gehen.

1. Schützt es wirklich die Umwelt?

Die grundsätzlichste Frage, mit der man sich befassen muss, ist die nach dem Erreichen des Primärziels der Dämmung: dem Schutz der Umwelt. Schon das ist eine durchaus zweiseitige Medaille. Betrachtet man sich ein Haus als isoliertes Konstrukt, dann geht natürlich die Rechnung auf. Denn die Dämmung sorgt dafür, dass:

  • Kälte (und auch Sommerhitze) langsamer ins Haus eindringt
  • Sich Räume schneller aufheizen lassen
  • Erzeugte Wärme sich länger hält

Zudem reduziert sich als attraktives Beiwerk auch noch die Lärmbelastung im Innenraum. Unterm Strich sorgt die Wärmedämmung also dafür, dass ein Haus weniger Energie benötigt, um beheizt oder gekühlt zu werden.

Doch dem entgegen stehen Nachteile: Denn künstlich erzeugte Dämmstoffe sind nicht wirklich umweltfreundlich herzustellen. Die allermeisten Kunststoffe, die in Dämmungen Verwendung finden, werden auf Basis von Erdöl hergestellt. Das macht sie auch schwierig zu recyceln, erhöht die Gefahr bei Bränden und sorgt so für eine äußerst durchwachsene Umweltbilanz, wenn man das große Ganze betrachtet. Die einzige Ausnahme von der Regel sind sogenannte ökologische Dämmstoffe wie etwa Hanf oder Flachs. In diesem Ratgeber über Naturdämmstoffe werden verschiedene Dämmstoffe verglichen und aufgezeigt, warum diese gesundheitsfreundlicher und auch besser für die Umwelt sind. So wird deutlich: im Gegensatz zum Dämmen mit Stoffen Erdölbasis ist Dämmung dann insgesamt umweltschonend, denn solche Stoffe wachsen schnell nach und benötigen auch bei der Herstellung sehr viel weniger Energie, bei ansonsten den künstlichen Materialien weitgehend entsprechenden Dämmwerten.

Zwischenfazit: Dämmen ist kleinmaßstäblich immer umweltfreundlich, aber großmaßstäblich nur dann, wenn ökologische Dämmstoffe zum Einsatz kommen.

Jedes Dämmmaterial senkt zwar den Energieverbrauch, insgesamt umweltfreundlich ist jedoch nur Dämmung aus Naturmaterialien.

pixabay.com, AKuptsova

2. Stimmt das mit dem „Luftdicht-machen“?

Eines der größten Argumente der Dämmungskritiker ist, dass ein derart „eingepacktes“ Haus beinahe luftdicht wäre. In diesem Zug wird dann auch angeführt, dass das für Schimmel verantwortlich wäre (siehe nächster Punkt).

Fakt ist: Ja, eine Dämmung packt ein Haus durchaus luftdicht(er) ein, als ein Gebäude, das ohne errichtet wird. Doch hier muss die Gegenfrage erlaubt sein: Sind alte Häuser ohne gedämmte Wände zugig? Denn genau das müssten sie sein, wenn das Argument der Gegner einen Wert hätte. Sie sind es natürlich nicht. Denn ob man nun Bims-Hohlblöcke als Beispiel nimmt, Backsteine oder Beton: All diese Werkstoffe eines massiven Gebäudes zeichnen sich dadurch aus, dass sie allein schon kaum Luftbewegung zulassen. Zumindest nicht so viel, dass sich dadurch das Raumklima merklich ändern würde. Was sie aber tun, ist Feuchtigkeit, die von außen kommt, leichter ins Mauerwerk zu lassen. Aus diesem Grund sind alte Keller so oft feucht. Das einzige, was Dämmungen aus bauphysikalischer Sicht wirklich tun, ist der Wärme (und auch der Feuchtigkeit), die durch jedes Baumaterial wandert, eine zusätzliche Sperrbarriere entgegenzustellen.

Zwischenfazit: Wärmedämmungen machen ein Haus nicht luftdichter – denn das ist es schon durch seine Mauersteine weitestgehend.

Kaum ein Bau hat heute noch Winterpause. Daher sind seine Wände beim Einzug voller Bauwasser – der Hauptgrund für Schimmel.

pixabay.com, Hans

3. Ist Dämmen der Grund für Schimmel?

Wer die Luftdichtigkeitstheorie vertritt, glaubt auch, dass dadurch die Dämmung direkt mit Schimmel in Verbindung stünde. Der Glaube: Wo Luft wegen der Dämmung nicht zirkulieren kann, blüht Schimmel. Doch auch wenn das sogar stimmt – dass stehende Luft Schimmelbildung begünstigt – ist das leider eine echte Milchmädchenrechnung.

Denn tatsächlich benötigt Schimmel nicht nur stehende Luft, sondern auch eine davon abhängende Raumtemperatur. Genau hier trifft die wie erwähnt feuchtigkeitsdurchlässige ungedämmte Wand auf kühlere Materialtemperaturen. Anders ausgedrückt: Man stelle eine Flasche Mineralwasser für eine halbe Stunde ins Gefrierfach und nehme sie wieder heraus. Was passiert? Die Luftfeuchtigkeit kondensiert daran und bildet einen idealen Nährboden für Schimmel.

Nichts anderes passiert ohne Wanddämmung: Die ungedämmte Wand ist insgesamt kühler, wodurch Raumluft besser daran kondensiert und deshalb der lokale Feuchtigkeitswert über das kritische Maß für die Schimmelentstehung klettert.  

Der Grund, warum viele Neubauten oft Schimmelprobleme haben, hängt deshalb nicht kausal mit der Dämmung zusammen, sondern nur, weil Dämmung und neue Bauweisen zeitgleich ins Spiel kamen. Heutige Baustoffe erlauben es, ein Gebäude in viel kürzerer Zeit zu errichten, oftmals auch über die Frostperiode hinweg. Dennoch werden für Zement, Estrich usw. nach wie vor enorme Mengen Wasser benötigt. Bloß ist ein modernes Haus schneller fertiggestellt, als dieses Wasser Zeit hat, zu verdunsten. Im Innenraum ist dann die Luftfeuchtigkeit dementsprechend so hoch, dass sie – mit oder ohne Dämmung – weit über der Mindestgrenze für die Schimmelentstehung liegt.

Zwischenfazit: Nicht die Dämmung trägt Schuld am Schimmel, denn sie sorgt dafür, dass die Wandflächen insgesamt wärmer sind, sodass sich dort keine Luftfeuchtigkeit niederschlagen kann. Schuld ist vielmehr die rasche Bauweise moderner Gebäude, die kein echtes Austrocknen des Bauwassers noch während der Bauphase ermöglicht und damit einhergehende Lüftungssünden der Bewohner.

Sinn oder Wahnsinn?

Natürlich mag es dem einen oder anderen fragwürdig erscheinen, ob eine Regierung Bauherrn zwingen sollte, zu dämmen, weil das einfach eine Art „befohlene Bauverteuerung“ ist und auch wie eine Subventionierung der Dämmungs-Industrie anmutet. Das würde die Diskussion aber bereits auf eine gänzlich andere Ebene hieven. Unterm Strich betrachtet ist es so, dass Dämmen tatsächlich Sinn macht. Hundertprozentigen Umwelt-Sinn macht sie zwar nur, wenn man auf Petrochemie-basierende Dämmungen verzichtet, doch der dadurch erzielte Minderverbrauch an Heizenergie ist alleine schon Umwelt-sinnvoll – und nebenbei auch für den Geldbeutel.

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