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Das Spätwerk

von Christian Strehk

Mit der „Genoveva“ und der Schauspielmusik zu Lord Byrons „Manfred“ ist Schumanns zielgerichteter Rundgang durch alle möglichen Gattungen im Grunde abgeschlossen. Und sofort wird deutlich, wie er plötzlich in den Jahren 1848 bis 1850 wieder begann, breit seine Interessen zu streuen: Es entstanden die Es-Dur-Sinfonie, das wirkungsvolle Konzertstück für vier Hörner und Orchester, das Cello-Konzert, lyrische Kammermusik, viele Lieder und Chorwerke, darunter das eigenwillige, chorsinfonische „Requiem für Mignon“ nach Goethe.

 

Da Dresden ihm letztlich kein Glück und berufliches Fortkommen bescherte, entschloss sich Schumann, das Angebot anzunehmen, in Düsseldorf ab August 1850 Musikdirektor zu werden. Und er war dort zunächst auch erfolgreich, auch wenn er mit den rheinischen Frohnaturen nur bedingt zurechtkam, ihnen bald Leistungen – zum Beispiel in Aufführungen von Bachs beiden großen Passionen – abforderte, die er aus den Musikstädten Leipzig und Dresden gewohnt war. Spannungen waren da vorprogrammiert. Aber Schumann komponierte wiederum Werke, die bisher in seinem planvoll erstellten Oeuvre fehlten. Er schrieb Violinsonaten, Konzertouvertüren, eine Messe, ein kleines Oratorium, schließlich ein Requiem.

 

Schumanns eigensinniges Schaffen, stets kunstvoll in Relation zu kompositorischen Errungenschaften der Vergangenheit und zeitgenössischen Gegenwart gebracht, hatte sich inzwischen gänzlich von einer äußeren, auch äußerlichen Kraft des pianistischen Feuerkopfs abgewandt. Es verlagerte sein Zentrum weiter nach Innen, erscheint oft in der lyrischen Konzentration essentiell verknappt.

 

Dieses „Spätwerk“ des nicht einmal Fünfzigjährigen, zu Lebzeiten noch mit Interesse in der Musikszene beachtet, geriet – auch durch das Zutun von Schumanns Witwe Clara – posthum in Misskredit. Seine innovativen Potenziale wurden als Verschrobenheiten nachlassender Geisteskraft desavouiert. Manche Werke – wie das Violinkonzert – blieben Jahrzehnte unter Verschluss. Erst in den letzten Jahrzehnten hat sich endlich in der Wahrnehmung des Spätwerkes Grundlegendes geändert. Die dritte Violinsonate oder der faszinierende, von Hölderlin inspirierte Klavierzyklus „Gesänge der Frühe“ verdienen genausoviel Wertschätzung wie Schumanns sinnreiche Idee, Bachs Solo-Suiten eine stützende Klavierstimme hinzu zu komponieren, um sie im Musikleben populärer zu machen.

 

Genie und angeblicher Wahnsinn: Wie Mehltau hatte sich das traurige biographische Ende des Komponisten auf die Wahrnehmung der späten Werke gelegt. Denn der ohnehin psychisch labile Schumann erkrankte schwer, bekam Halluzinationen, hörte angeblich Stimmen der Komponisten Schubert und Mendelssohn, die ihm ein Thema zusangen, das er dann in seinen sogenannten „Geistervariationen“ verarbeitete. Mit einem Sprung in den Rhein hatte er am Rosenmontag des Jahres 1854 seinem Leben ein Ende zu setzen versucht und wurde in die Nervenheilanstalt von Endenich bei Bonn eingeliefert. Dort starb er erst zwei Jahre später, nach ewigem gesundheitlichen Auf und Ab.

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