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Das wissen.de-Interview mit Matthias Horx

Matthias Horx gilt als einflussreichster Trendforscher des deutschsprachigen Raumes. Sein Zukunftsinstitut ist ein Think-Tank für strategische Zukunftsberatung mit Sitz in Kelkheim bei Frankfurt und Wien. Es beschäftigt sich seit Jahren mit prognostischen Systemen und der Auswertung der weltweiten Ergebnisse der seriösen Trend- und Zukunftsforschung. Es gibt monatlich den Zukunftsletter 2000x heraus. Matthias Horx ist ein begehrter Zukunfts-Referent bei Wirtschaft und Politik. Er hat bis heute 15 Bücher geschrieben.

Die Zukunft der Arbeit

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Herr Horx, wie sieht der Arbeitsmarkt der Zukunft aus?

Er wird sehr viel mehr verschiedene Arbeitsformen anbieten, sehr viel mehr Teilzeitjobs, sehr viel mehr "Flexjobs", sehr viel mehr freie und selbstständige Arbeit. Die Zeit der klassischen Lohnarbeits-Biografien geht zu Ende - in Zukunft werden wir in unserem Leben viele verschiedene Jobs und Tätigkeiten haben. Klassische Arbeits"plätze" werden eher selten sein. Und noch viel mehr als heute steht die Persönlichkeit des Bewerbers im Vordergrund, weniger seine spezifische Qualifikation (Ausnahme sind hier natürlich die eher technischen Berufe).

Ist eine Vollbeschäftigung in Deutschland überhaupt noch eine Option für die nächsten Jahre oder bleibt sie Utopie?

Wenn Sie Vollbeschäftigung bei etwa 5 % Arbeitslosigkeit ansetzen, dann sind wir im Westen Deutschlands mit 7,5 % gar nicht so weit entfernt davon. Das Problem ist der de-industrialisierte Osten, der unter 60, 70 Jahren Diktatur leiden musste. In Westeuropa hingegen sind die Arbeitslosenquoten im letzten Jahrzehnt massiv gefallen - um fast die Hälfte. In Dänemark, Österreich, Benelux, Großbritannien herrscht heute Vollbeschäftigung - das sind die Länder, die ihre Arbeitsmärkte frühzeitig flexibilisiert haben.

Bricht der Arbeitsmarkt Deutschland ohne massive Zuwanderung hochqualifizierter ausländischer Arbeitskräfte zusammen?

In manchen Sektoren wird es dabei sehr knapp werden, sowohl bei hochbezahlten globalen Management-Funktionen, bei den Technikern und auch und vor allem im Home-Service-Bereich, wenn es um Krankenpflege etc. geht. Ich würde eher von einer "Verstopfung" des Arbeitsmarktes reden: Wir könnten ohne Einwanderung eine "doppelte Joblessness" bekommen: Millionen suchen nach Arbeit, und Millionen Leute werden für unbesetzte Jobs gesucht. Das ist zum Teil heute schon so.

Ist es möglich, dass der Wandel zur Wissensgesellschaft derart tiefgreifende Folgen hat wie die Phase der Industriellen Revolution?

Sie ist ein genauso epochaler Übergangsprozess wie der von der agrarischen zur industriellen Kultur. Ihr Kern besteht in einem Rohstoffwechsel: Statt Ausdauer, Körperkraft wie im Industrialismus sind nun "Ideen und Kommunikationen" der Quell unseres Wohlstands."

Werden die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit immer stärker verschwimmen?

Bedingt. Einerseits LERNEN wir in der Tat sowohl im Privaten wie im Beruf: die emotionale Intelligenz, die man für eine Familie benötigt, benötigt man auch in der Karriere. Und Allgemeinbildung, kulturelle Bildung, "Weltbildung", die ja auch etwas Privates hat, lässt sich nicht nach Arbeit und Freizeit sortieren. Andererseits zeigt sich immer wieder, dass das Privatleben und die Arbeit eben DOCH verschiedene Rhythmen und Gesetze haben, und dass man, wenn man beides vermischt, den Stress ins Unerträgliche erhöht.

Hat der 8-Stunden-Tag Ihrer Meinung nach überhaupt noch eine Zukunft in der Arbeitswelt von morgen?

Nein. Acht Stunden sind an den Maschinenlaufzeiten entlang entstanden, "Schicht" nannte man das. Die Arbeitswelt von Morgen wird a-rhythmisch. Intensive Entscheidungsprozesse und kreative Phasen benötigen manchmal 14-Stunden-Tage. Auf der anderen Seite kann kein Mensch mehr als fünf Stunden am Tag konzentriert am Computer sitzen. Und die neue Bedeutung der Familie kommt hinzu: In der Familienphase brauchen Männer UND Frauen flexible Jobs.

Wird mit der "Ressource Mensch und Talent" in der New Economy noch fair umgegangen?

Die New Economy ist vorbei, jetzt kommt die Next Economy. Damit verschwinden auch die Exzesse der New Economy. Aber das hatte ja zwei Seiten: Auf der einen Seite wurden Menschen in den Start-Ups stark ausgenutzt, auf der anderen Seite gab es auch Bereiche, in denen Arbeit selbstverwirklichte Kreativität war. Ich würde deshalb diese wilde Phase nicht zu den Akten legen - da wurden teilweise neue Unternehmenskulturen pionierhaft ausgedacht und ausprobiert, von denen die Zukunft handeln wird...

Was meinen Sie, müssen wir damit rechnen, in Zukunft eine längere Lebensarbeitszeit zu haben?

Ja. Und die meisten Menschen wollen das auch. Mit 50 in Rente gehen ist ein Wunsch, den Menschen in der industriellen Welt hatten - völlig zu Recht, man war in diesem Alter körperlich ausgelaugt, und die Arbeit war oft monoton. In der Wissensökonomie werden wir aber jenseits der 50 erst schlau, und die meisten Menschen bleiben fit und neugierig. Man fängt also mit 60 manchmal erst an, gut zu werden. Arbeit wird in der Wissensökonomie auch viel kreativer. Wir müssen allerdings auch lernen, mit unseren Ressourcen schonend umzugehen und nicht zu übertreiben.

Hat die Reizfigur des Workaholics in der Arbeitswelt der Zukunft ausgedient?

Der Workaholic ist ein Klassiker, den es in allen Erwerbskulturen gibt. Aber er repräsentiert nur eine kleine Minderheit. Die meisten Menschen versuchen, Balancen zu finden - zwischen Partnerschaft und Beruf, zwischen Stress und Entspannung. Wir gehen in eine "Wellness-Gesellschaft", wo dies eine immer größere Rolle spielen wird.

Welches sind die zukünftigen Schlüsselqualifikationen eines Arbeitnehmers?

Kommunikations-Intelligenz, Emotionale Intelligenz, Sprachen, Allgemeinwissen. Sprechen und Darstellen können. Selbstständig sein.

Wie sollte sich der typische Arbeitnehmer von heute fit für die Anforderungen der Arbeitswelt von morgen machen?

Er sollte aufhören, sich als "Arbeitnehmer" zu sehen. Denn in der Wissensgesellschaft sind wir GEBER unserer Arbeit. Er sollte beginnen, sein Portfolio zu kennen - seine individuelle Mischung aus Qualifikationen, emotionalen Fähigkeiten etc. Und er sollte lernen, dies weiterzuentwickeln - unabhängig von der momentanen Joblage. Kluge Firmen unterstützen diesen Prozess bei den Mitarbeitern.

Wie sehen konkret die Arbeitsplätze der Zukunft aus?

Etwa 20 Prozent der Arbeit wird in Zukunft von zu Hause aus erledigt. In den Büros wird es Mischformen aus "Arbeitszelle", Gruppenräumen und offenen Gemeinschaftsbüros geben, "kombinierte Arbeitslandschaften". Viele Menschen, aber nicht mehr als 20 Prozent, werden auch "nomadisch" arbeiten.

Zum Abschluss möchten wir Sie bitten, folgende Sätze zu ergänzen!

"Wenn ich Arbeitsminister wäre,...
... würde ich mich angesichts der Lobbys in diesem Bereich erschießen!"

"Wenn ich arbeitslos wäre,...
... würde ich mir einen Job ausdenken und erfinden."

"Wenn ich die Zukunft schauen könnte...
... Gute Frage. Kann ich, wenn auch nicht via Kristallkugel..."

"Der Satz 'Arbeit ist eine veraltete Methode, den Lebensunterhalt zu verdienen' entlockt mir...
... ein müdes Gähnen. Ein typischer 90er-Jahre-Spruch. Selbst wer ein großes Vermögen hat, will im Allgemeinen eine herausfordernde Tätigkeit. Die Parole der Zukunft lautet: Aus hard work wird hard fun. Freizeit ist langweilig!"

Das Gespräch führte Jörg Peter Urbach, wissen.de. Veröffentlichung, auch auszugsweise, ist nur unter ausdrücklicher Nennung von wissen.de gestattet.

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