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Das Wort des Monats März 2005

Es schien ein endlos schwieriger Monat zu werden, Ihre Einsendungen kamen spärlich und konnten die gestrenge Jury nicht wirklich überzeugen. Man raufte sich die Haare bis die Kopfhaut wund war, diskutierte, wartete. Und dieser quasi Kohl’sche Ansatz des Aussitzens führte tatsächlich zum Erfolg. Das war unerwartet, um so erfreuter wurde die Einsendung zur Kenntnis genommen, die uns spät am 31.März erreichte, wohl auch, da das Wort des Monats eine geniale Erfindung von Herrn Felsmann ist, der damit die Welt in den April zu schicken gedachte. (Was er dann auch tat.)

Dietmar Hefendehl

Einstimmig wurde also das Kunstwort “Dust-Collect“ zum Wort des Monats gewählt, die launige Begründung liest sich wie folgt:

Nachdem sie zuletzt auf Grund der Feinstaub-Affäre immer stärker in Bedrängnis gerieten, ist der deutschen Politik und der Automobilindustrie ein überraschender Befreiungsschlag gelungen. In einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz am Freitagmorgen kündigte die Bundesregierung die Gründung des Konsortiums „Dust Collect“ an, verbunden mit dem Versprechen, die Feinstaubproblematik bis zum Sommer in den Griff zu bekommen. Die einfache Lösung lautet: In Atemschutzmasken eingebaute Rußpartikelfilter für alle! Bereits zum Ferienbeginn soll die Ausgabe der Masken systematisch beginnen. Autofahrern und Fußgängern in Großstädten, die nach einer Übergangsfrist ohne Masken angetroffen werden, drohen drakonische Ordnungsstrafen.

Die Situation schien bis nach Ostern verfahren: Immer peinlicher wurde das komplette Versagen sowohl der Politik als auch der Autoindustrie sichtbar. Obwohl bereits 1999 eine erste EU-Richtlinie zu dem Thema auf dem Tisch lag und obwohl allen Beteiligten seit mindestens drei Jahren die seit Januar 2005 geltende neue Richtlinie bekannt ist, passierte praktisch nichts. Wie das Kaninchen vor der Schlange warteten die Gemeinden ab, bis wann sie ihr Kontingent von 35 Tagen im Jahr mit einer Feinstaubbelastung von mehr als 50 Mikrogramm Staub pro Kubikmeter Luft aufgebraucht hatten und die ersten Klagen eingereicht wurden. London hat derweil die City-Maut eingeführt, in italienischen Städten gelten Fahrverbote. Die deutsche Autoindustrie? Hat versucht, das Problem auszusitzen, während die Franzosen bereits serienmäßig ihre Stinker mit Rußpartikelfiltern entschärfen.

Wieder einmal war es ein Machtwort des Kanzlers, das in der Woche nach Ostern die Wende eingeläutet hat. Als der Leidensdruck für alle Beteiligten groß genug war, schaffte Schröder es, Bund, Länder und Gemeinden gemeinsam mit dem Verband der deutschen Automobilindustrie in dem Konsortium „Dust Collect“ zusammenzubringen. Das Vorgehen ist in der Nacht zu Donnerstag abgesteckt worden, die Ziele sind in einer gemeinsamen Presseerklärung am Abend formuliert worden.

So soll Dust Collect funktionieren: Bei allen Autobahnabfahrten in Großstädte über 100.000 Einwohnern sowie allen sonstigen Hauptzugangsstrecken stoppen die Autofahrer ab dem 1.7.2005 einmal vierteljährlich an Dust Collect Terminals zur Übernahme von sog. On-Board Units (OBU). Dabei handelt es sich um Rußpartikelfilter, die sich alle Fahrzeuginsassen über die Atemwege stülpen. Die Masken sind aus einem Hightech-Textilverbundmaterial, das zusätzlich mit einer - ähnlich von Bratpfannen bekannten - hauchdünnen Tefalverbindung bedampft sind. Diese Kombination eliminiert nicht nur Fein-, sondern, weltweit einmalig, sogar Feinststäube!

Um auch alle anderen Verkehrsteilnehmer zu erreichen, werden neben den On-Board auch Off-Board Units (ebenfalls OBU genannt, da baugleich) verteilt, und zwar im selben vierteljährlichen Rhytmus in den Straßenverkehrsämtern der Gemeindeverwaltungen.

Das Anlegen der OBUs garantiert eine Reduzierung der Feinstaubbelastung auf praktisch Null, wenn die Masken vorschriftsmäßig getragen werden. Dadurch kann die EU-Richtlinie locker erfüllt werden, die allerdings für die deutschen Besonderheiten in der Umsetzung modifiziert werden muss. Praktischer Nebeneffekt: Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Autoindustrie wird gestärkt, indem sie nicht zu aufwändigen Veränderungen am Abgassystem der Motoren gezwungen wird und dadurch weiterhin Kostenvorteile geltend machen kann. Das Nichttragen der OBUs in Großstädten wird als Ordnungswidrigkeit mit Bußgeldern geahndet. Die Finanzierung der OBU erfolgt durch eine pauschale Erhöhung der KFZ-Steuern. Der genaue Schlüssel dafür wird noch diskutiert. Ein solches Verfahren hat den Vorteil, schneller und unbürokratischer zu sein als etwa die Erhebung der Kosten an den Terminals selbst.

Wer macht was bei Dust Collect?

  • Die Gemeinden müssen sich um die Einrichtung der Terminals sowie die Ausgabe der OBUs in den Verwaltungen kümmern.
  • Die Länder sorgen über die erhöhte KfZ-Steuer für die Finanzierung von Material, Vertrieb und Verwaltung.
  • Die Bundesregierung hat die Aufgabe übernommen, bei der EU die Modifikation der Feinstaubrichtlinie zu erwirken. Denn die geplanten Maßnahmen werden nichts am Feinstaubgehalt der Luft ändern, wohl aber - und dies ist im Interesse der Menschen letztlich entscheidend - an der Aufnahme des Feinstaubs in den Organismus. Die Messeinrichtungen müssen also quasi hinter den Schutzmasken ansetzen. Der Bundeskanzler zeigt sich allerdings optimistisch, der EU-Kommission diesen Sachverhalt klarmachen und für Deutschland eine entsprechende Ausnahmeregelung bei der Richtlinie erwirken zu können. Ähnliches ist ja bereits beim EU-Stabilitätspakt gelungen.
  • Die großen deutschen Autofirmen schließlich zeichnen für die technische Umsetzung von Dust Collect verantwortlich. Sie liefern also die Staubmasken, was aber einen wesentlich geringeren technologischen Aufwand darstellt als etwa die Entwicklung von Partikelfiltern für Automotoren.

Politiker aller Parteien betonen, dass gerade nach dem Scheitern der Föderalismusreform im Dezember 2004 die Einrichtung des Konsortiums einen Neuaufbruch hin zu gemeinschaftlichem, konstruktivem Handeln bedeuten kann. Im Fahrwasser des Erfolgs haben sich Edmund Stoiber und Franz Müntefering bereits zu neuen Föderalismusgesprächen bereits im April verständigt. Neben diesem psychologischen Aspekt verspricht Dust Collect weitere handfeste Vorteile:

  • Eine fünstellige Zahl dauerhafter Arbeitsplätze im Verwaltungsbereich
  • Eine Technologie, die auf Grund ihrer Einfachheit in großem Maßstab in Länder der Dritten Welt exportiert werden kann
  • Wegen der sinkenden Zahl von Erkrankungen der oberen Luftwege prognostizieren Experten eine Senkung der Krankenkassenbeiträge um durchschnittlich 0,2% - das wären bei einem Beitrag von monatlich 200 Euro immerhin 40 Cent, die im Bestfall dem Konsum zur Verfügung gestellt werden. Dieser Effekt sollte langfristig die Kosten mehr als aufwiegen.

Proteste sind bis jetzt nur von der deutschen Tourismusbranche zu vernehmen. Die Frage ist: Kann man ausländischen Touristen in Deutschland das Tragen von Gasmasken zumuten? Und generell: Werden womöglich ungute Assoziationen im Ausland hervorgerufen, wenn man auf Fotos deutscher Städte künftig nur noch Menschen mit Masken vor dem Gesicht sieht?

Vielen Dank den Teilnehmern an unserer Aktion “Wort des Monats“. Senden Sie uns auch im kommenden Monat wieder Ihren Vorschlag mit einer Begründung an die bekannte E-Mail-Adresse:wortdesmonats@wissen.de. Wie üblich gibt es auch im kommenden Monat einen Wahrig: Deutsche Rechtschreibung zu gewinnen (dafür aber nicht die Begründung vergessen!) wir freuen uns auf Ihre Einsendung und wünschen viel Erfolg!

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