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Das Wort des Monats Oktober 2003

Dietmar Hefendehl

Bürgerversicherung

Die Debatte um die Sozialversicherung, wie etwa die Lohnnebenkosten zu senken sind, die Renten stabil bleiben können, die Krankenversicherung finanzierbar bleibt und damit zusammenhängende Themen sind dieses Jahr ausgiebig diskutiert worden. Und mit einem Mal tauchte in der Diskussion ein neuer Begriff auf, der plötzlich nicht mehr nach Steuererhöhung und steigenden Belastungen klang: Bürgerversicherung.

Auf den Internetseiten der Bundesregierung findet sich denn auch eine nüchterne Erläuterung, was sich hinter diesem Begriff eigentlich verbirgt: In eine Bürgerversicherung zahlen alle Erwerbstätigen ein, also nicht nur die Angestellten (wie derzeit in der gesetzlichen Krankenversicherung), sondern auch die Beamten, Politiker, Selbstständigen und Freiberufler. Die Krankenversicherungsbeiträge werden nicht mehr nur auf das Arbeitseinkommen, sondern auch auf Miet- und Zinseinkünfte erhoben. Die Beitragshöhe bleibt abhängig vom Einkommen. Der Solidarausgleich zwischen mehr und weniger Verdienenden, zwischen jung und alt sowie zwischen Gesunden und Kranken findet damit innerhalb der Versicherung statt. Die Beitragsbemessungsgrenze von derzeit 3.440 Euro wird angehoben. Die Versicherungspflichtgrenze (derzeit 3.825 Euro), ab der die Versicherten zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung wählen können, fällt weg.

Auch die beiden Gewinnerinnen der Abstimmung zum Wort des Monats haben je eine Erklärung parat. So begründete Doris Helmer aus Kelsterbach ihre Wahl wie folgt: Das Wort hört sich gut an, klingt fair und harmlos, ist aber in Wahrheit gar keine Versicherung, sondern eine Steuer, da nicht jeder für die gleiche Leistung dasselbe zahlen muss, sondern sich der Beitrag nach dem Einkommen richtet. Es handelt sich hier also um eine "Mogelpackung" und es wird noch zu prüfen sein, ob eine solche Handhabung verfassungsrechtlich überhaupt zulässig ist.
Und auch die zweite Gewinnerin, Frau Carola Lehr, äußert sich eher skeptisch zur Bürgerversicherung: Über Kranken-, Renten- und Arbeitslosen-, also schlicht über die Sozialversicherung, ist ja schon viel geredet, geschrieben und gestritten worden; meistens kam dabei, wenn dies öffentlich geschah, also in Regierungen oder Parteien, für die eigentlich Betroffenen nur heraus, dass sie am Ende tatsächlich "betroffen" waren, weil wieder einmal gespart werden musste. Das Wort "Bürgerversicherung" klingt zunächst freundlicher, da es ja "etwas f ü r die Bürger" zu sein scheint, entpuppte sich bei näherer Betrachtung aber gleichfalls als ein Instrument, dem Bürger "durch die rosarote Brille" das Unvermeidliche schmackhafter zu machen. Ergo: eine gute Wahl, wenn man keine Alternative zum eigentlichen Handeln hat.

Vielen Dank an die zahlreichen Teilnehmer an unserer Aktion “Wort des Monats“. Senden Sie uns auch im November wieder Ihren Vorschlag mit einer Begründung an die bekannte Email-Adresse: wortdesmonats@wissen.de. Wie üblich gibt es auch im November einen Wahrig: Deutsche Rechtschreibung zu gewinnen wir freuen uns auf Ihre Einsendung und wünschen viel Erfolg!

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