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Der Baikalsee: Geheimnisvolle Tiefen mitten in Sibirien

Falls man den nächsten Urlaub in Russland verbringt, ist der Baikalsee auf jedem Fall einen Besuch wert. Denn er ist nicht nur der größte und tiefste Süßwassersee der Welt, in seinen Wassern lebt auch eine einzigartige Organismenwelt – von durchsichtigen Fischen über Riesenwürmer bis hin zu ungewöhnlichen Süßwasser-Robben. Auf Wanderungen rund um den See kann man seine Natur auf touristisch nachhaltige Weise erleben.
SRE, 23.01.2020

Die Anreise hat es in sich: Wenn man nicht gerade von Moskau in die am Baikal gelegene Stadt Irkutsk fliegt, kann man auch die Transsibirische Eisenbahn nutzen und ist drei Tage unterwegs. Dass sich der weite Weg dennoch lohnt, bezeugt nicht nur der Anblick, sondern auch die Geografie und Geschichte des Sees.

Die 1902 bis 1904als Teil der Transsibirischen Eisenbahn erbaute Baikalbahn ist heute nur noch eine vor allem touristisch genutzte Nebenstrecke.

iStock.com, Vera Tikhonova

Riss in der Erdkruste

Der Baikalsee gilt mit 25 Millionen Jahren als ältester und auch als größtes Süßwasserreservoir der Welt. Er ist mehr als zwölf Mal so groß wie das Saarland, im Schnitt aber nur 48 Kilometer breit. Außergewöhnlich ist auch seine Tiefe von mehr als 1.600 Metern. Damit ist er tiefer als jeder andere See und liegt in einer Größenordnung, die sonst nur der ozeanischen Tiefsee zugeordnet wird.

Seine enorme Tiefe und langgestreckte Form verdankt der See seiner geologischen Geschichte. Denn er liegt an einer alten Nahtstelle der Erdkruste - einem Grabenbruch. Dieser entstand, als der Subkontinent Indien einst mit Eurasien kollidierte und große Teile der umliegenden Erdkruste gestaucht und gedehnt wurden. Dort, wo heute der Baikalsee liegt, brach die Kruste und bildete einen tief eingesenkten Graben, der bis heute langsam wächst. Jahr für Jahr wächst der Baikalsee dadurch um rund zwei Zentimeter.

Der langgestreckte See ist im Schnitt nur 48 Kilometer breit.

SeaWiFS Project, NASA/Goddard Space Flight Center, and ORBIMAGE

Exotische Bewohner

Durch seine einzigartige Geologie und das hohe Alter besitzt der Baikalsee eine reiche und einzigartige Tier- und Pflanzenwelt. Viele seiner Bewohner haben in den Jahrmillionen der Isolation besondere Anpassungen an das Leben in großen Wassertiefen entwickelt. Eine weitere Ursache für den Artenreichtum ist das ungewöhnlich klare und sauerstoffreiche Wasser. Unzählige Mikroorganismen nahe der Oberfläche sorgen dafür, dass das Wasser ständig mit Sauerstoff angereichert wird und praktisch Trinkwasserqualität hat. Regelmäßig sorgen Stürme dafür, dass das Wasser umgewälzt wird und der lebensnotwendige Sauerstoff auch die größeren Tiefen erreicht.

Mehr als die Hälfte der Tier- und Pflanzenarten des Baikalsees treten nur hier auf und nirgendwo sonst auf der Welt. Im Sediment leben beispielsweise riesige Plattwürmer, die bis zu einem halben Meter lang werden. In anderen Gewässern haben solche Würmer nur eine Größe von ein bis zwei Zentimetern. Ein weiterer ungewöhnlicher Bewohner des Baikalsees ist der Große Ölfisch oder Golominka, ein fast durchsichtiger, schuppenloser Fisch mit langen Brustflossen. Normalerweise ist er an die Kälte und den hohen Druck in der Tiefe des Sees angepasst. Doch nachts steigt er bis auf 40 Meter unter die Wasseroberfläche hinauf und scheint dabei den enormen Wasserdruckunterschied problemlos zu vertragen.

Die seltene Baikalrobbe gilt als ein Wahrzeichen des Baikalsees.

Woher kamen die Robben?

Zu den bekanntesten endemischen Arten des Baikalsees gehört auch die Baikal-Robbe (Phoca sibirica) – die einzige bekannte Robbenart, die im Süßwasser lebt. Im Unterschied zu den meisten anderen Robbenarten besitzt diese Art Krallen an den Vorderflossen. Mit ihnen kratzt sie sich im Winter Löcher ins Eis.

Bis heute ist den Forschern ein Rätsel, wie die Robben den See kolonisiert haben. Forscher vermuten lediglich, dass die Art mit der Eismeer-Ringelrobbe verwandt ist und womöglich von dieser abstammt. Den Weg vom Nordmeer in den Baikalsee könnten die Vorfahren der Baikal-Ringelrobben während der letzten Eiszeit zurückgelegt habe, so die Hypothese.

Der Holzreichtum der Region weckt Begehrlichkeiten. Die Abholzung der Wälder für die Holz- und Papierindustrie machten schon zu Sowjetzeiten Schlagzeilen.

Vom Goldschatz des Zaren und Zellulosekombinaten

Auch einen Schatz soll es in den Tiefen des Baikalsees geben: Als die Weiße Armee nach der Oktoberrevolution vor den Bolschewiki floh, soll der Schatz des Zaren verloren gegangen sein. Die Angehörigen der Konterrevolution wurden im Winter 1919 vom eisigen Wetter überrascht. Bei minus 60 Grad erfroren die meisten von ihnen. Angeblich sanken ihre Überreste zusammen mit dem Schatz auf den Seegrund, als das Eis im folgenden Frühjahr taute. Der Legende nach liegt dieser Schatz bis heute auf dem Grund des Baikal.

Doch so legendär und einzigartig dieser See auch ist - lange Zeit drohte den Naturwundern des Baikalsees Gefahr. Grund dafür: Zwei Zellulosewerke in Baikalsk und Selenginsk am Rande des Baikalsees. Die Abwässer der Kombinate wurden lange Zeit ungeklärt in den See geleitet. Dies führte bereits mehrfach zu einem Massensterben der Ringelrobben. Ihre Abwehrsysteme waren durch die Chemikalien im Abwasser so geschwächt, dass diese leicht Krankheitserregern zum Opfern fielen. Mittlerweile wurden die Werke jedoch auf umweltfreundlichere Technologien umgerüstet.

Der heilige Schamanenfelsen auf der Insel Olchon zählt zu den berühmtesten Fotomotiven der Baikalregion.

unsplash.com, Ekaterina Sazonova

Ökotourismus am Baikal

Inzwischen ist der Baikalsee längst auch ein beliebtes Touristenziel. Vor allem Besucher aus China kommen jedes Jahr in Massen, um den größten See der Welt zu bestaunen. Diese Touristenanstürme haben die Einheimischen in den letzten Jahren nachdenklich werden lassen. Dadurch entwickelt sich allmählich auch so etwas wie nachhaltiger Tourismus in der Region.

Diese Art von Tourismus kann man zum Beispiel auf Wandertouren auf dem Great Baikal Trail erleben, der durch den Einsatz von Freiwilligen aus der ganzen Welt entstand. Für Instandhaltungsarbeiten und den weiteren Ausbau des Fernwanderwegs werden übrigens weiter Freiwillige gesucht. Wer also Lust auf ein exotischeres Reiseziel hat, kann dabei also auch etwas Gutes für die Umwelt tun.

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