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Der Mann auf der einsamen Insel

Mit der Geschichte des Schiffbrüchigen Robinson Crusoe, der auf einer einsamen Insel strandet und dort 28 Jahre verbringt, schuf Daniel Defoe einen Klassiker der Abenteuerliteratur. Auch 300 Jahre nach seinem Erscheinen fasziniert der Roman noch viele Leser und weckt die Abenteuerlust. Dabei lässt sich Robinson Crusoe jedoch nicht nur als Abenteuergeschichte lesen.
DAL, 25.04.2019

Der Schriftsteller und seine Schöpfung.

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Es war ein Text in der Zeitschrift "The Englishman", der den britischen Schriftsteller Daniel Defoe zu seinem ersten Roman inspiriert haben soll: ein Bericht über das Schicksal des Schotten Alexander Selkirk – seines Zeichens Freibeuter im Auftrag der englischen Krone. Diesem Seeräuber hatte ein Streit mit seinem Kapitän einen unfreiwilligen Aufenthalt auf einer einsamen Insel beschert. Wegen der Auseinandersetzung war er auf "Mas a Tierra" vor der chilenischen Küste ausgesetzt und erst nach vier Jahren und vier Monaten gerettet worden.

Die Geschichte dieses Mannes, gefangen auf einer Insel, nutzt Defoe als Vorlage für seinen Roman über die Abenteuer des Robinson Crusoe. Statt sich lediglich auf die Fakten der Vorlage zu konzentrieren, schmückt Defoe die Geschichte allerdings aus, verlegt die Insel in die Karibik und lässt dort seinen fiktiven Protagonisten an Land gehen. Dieser hat auf einer Reise, um Sklaven für seine Zuckerplantage zu besorgen, Schiffbruch erlitten und findet sich am 30. September 1659 als einziger Überlebender auf einem abgelegenen Eiland wider.

Bestseller: Nach der Erstveröffentlichung am 25. April 1719 erschienen im selben Jahr noch drei weitere Auflagen.

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Erster Roman mit 59

Dort beginnt nun das Abenteuer: Robinson Crusoe rettet Kleidung, Werkzeug, Waffen, Bibeln und auch Schreibgerät vom Wrack und macht sich mit Entschlossenheit daran, sein Überleben zu sichern. In den folgenden 28 Jahren bis zu seiner Rettung durchläuft er dabei förmlich den Gang der menschlichen Zivilisation – er entwickelt sich vom Jäger und Sammler über den Viehzüchter bis hin zum Ackerbauer.

Als die Geschichte des Robinson Crusoe im Jahr 1719 erscheint, hat ihr Verfasser Defoe bereits selbst ein abenteuerliches Leben hinter sich. Nach einer Karriere als Kaufmann war er als Regierungsberater und Journalist tätig, der häufig unter Pseudonym Artikel verfasste und wegen politischer Schmähschriften auch schon einmal im Gefängnis landete. Erst im Alter von 59 Jahren wird Defoe schließlich zum Autor eines Romans, der ihn weltberühmt machen soll.

Ein Welterfolg und ein neues Genre

Defoes fantasievolle Abenteuergeschichte ist in seiner ersten Auflage bereits drei Wochen nach Erscheinen restlos vergriffen. Noch im selben Jahr folgen drei weitere Auflagen. Ein Jahr nach der Veröffentlichung der Originalausgabe sind zudem schon die ersten Übersetzungen ins Französische und Deutsche erhältlich – in den Folgejahren wird der Roman ein weltweiter Bestseller.

Doch nicht nur das: Von Robinson Crusoe inspiriert erscheinen schnell eine Reihe weiterer Abenteuerromane, die ebenfalls das literarische Motiv des Eingeschlossenseins auf einer Insel nutzen und reißenden Absatz finden. Sie werden in Anlehnung an ihr Vorbild auch als Robinsonaden bezeichnet.

Keine Südseeidylle: 1704 wude Alexander Selkirk, das Vorbild für Defoes Robinson, auf der chilenischen Isla Robinson Crusoe ausgesetzt und überlebte dort vier Jahre und vier Monate in völliger Einsamkeit.

Mehr als eine Abenteuergeschichte

Obwohl Robinson Crusoe bereits kurz nach seinem Erscheinen hauptsächlich auf den Abenteuercharakter reduziert wird, ist der Roman jedoch mehr als ein abenteuerlicher Reisebericht. Ebenso lässt sich Defoes Werk als Modell des radikalen Individualismus lesen oder als moralische Fabel. So wurde die Erzählung mit ihren belehrenden Passagen schon früh als pädagogisches Instrument genutzt, um Kindern Werte wie Eigenständigkeit, den verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen und das Vertrauen zu Gott zu vermitteln.

Aus heutiger Sicht spiegelt Robinson Crusoe zudem den Prototyp des britischen Kolonisten wider. Defoe schrieb den Roman in einer Zeit, in der imperiales Denken und Handeln allgegenwärtig waren – und die damals vorherrschende Haltung der Überlegenheit des weißen Mannes zieht sich kontinuierlich durch sein Werk. So begegnet Robinson Crusoe auf seiner Insel einem "Wilden", der ihm im Laufe der Zeit zum Freund und Diener wird. Ihm bringt Crusoe die englische Sprache bei, macht ihn mit der europäischen Lebensweise vertraut und führt ihn an den christlichen Glauben heran.

Kolonialregime: Das Verhältnis von Freitag, dem Diener, und Crusoe selbst als dem Herren, zeigt mustergültig, wie eine koloniale Beziehung aus Sicht des Autors und seiner europäischen Zeitgenossen funktionieren sollte.

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