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Der Riesenkalmar – Meeresgigant und doch nur Walfutter

Dr. Uwe Piatkowski ist Fischerei-Biologe und kennt sich mit den Bewohnern der Ozeane bestens aus. Im wissen.de-Gespräch erklärt der Wissenschaftler, warum Riesenkalmare im Kampf mit Pottwalen oft den Kürzeren ziehen, und wie es sein kann, dass die Tiefsee bisher kaum erforscht wurde.
wissen.de-Redakteurin Susanne Böllert

wissen.de: Sie arbeiten am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel, uns geht es allerdings um die Bewohner der Azoren. Die Gegend gilt als wahrer Hotspot von Riesenkalmaren. Aber woher weiß man das, wenn doch außer in Japan noch nie ein lebendiger Architeuthis gesichtet wurde?

Piatkowski: Ein wichtiges Indiz für das Vorkommen von Riesenkalmaren ist das Auftreten von Pottwalen, denn die ernähren sich vor allem von Tintenfisch. Sie fressen in einem Jahr insgesamt fast 100 Millionen Tonnen Tintenfisch, das entspricht etwa der Gesamtmenge an Fischen, Algen, Tintenfischen, und anderen Organismen, die der Mensch jährlich aus den Meeren und Süßgewässern fischt.

Bis 1987 wurden Pottwale vor den Azoren gefangen. Bei der Auswertung ihrer Mageninhalte fand man die für Wale unverdaulichen, hornartigen Schnäbel der Kalmare, und dabei auch die des Architeuthis.

 

Kampf der Giganten

wissen.de: Andererseits haben die scheinwerfergroßen Abdrücke von Saugnäpfen auf der Haut von Walen schon mehrfach von den Duellen gezeugt, die sich Riesenkalmare mit Walen geliefert haben. Heißt das, Riesenkalmare fressen andererseits ihre Feinde, die Wale?

Piatkowski: Angaben von scheinwerfergroßen Saugnäpfen sind Unsinn. Man muss bedenken, dass die Narben alt gewesen sein können und mit dem Pottwal mitgewachsen sein müssen.

Nein, Kalmare fressen keine Wale, sie verteidigen sich aber mutig gegen sie. Ein Riesenkalmar könnte keinen gleichgroßen Pottwal besiegen, dafür ist der Wal viel zu groß und stark. Pottwale sind die unbestrittenen Herrscher der Tiefsee.

 

Dehnbares Meeresungeheuer

wissen.de: Aber auch so ein Allesfresser wie Architeuthis ist mit seinen 18 Metern maximaler Körpergröße ein ziemliches Meeresungeheuer.

Piatkowski: Man will bei einem gestrandeten Exemplar sogar knapp 21 Meter gemessen haben. Aber da wäre ich vorsichtig. Kalmare gehören wie Schnecken oder Muscheln zu den Mollusken, also zu den Weichtieren. Sie haben kein Skelett wie Fische. Und ihre relativ weichen Arme und Tentakel lassen sich wie ein Gummiband in die Länge ziehen.

Unzweideutiger ist das Gewicht: Riesenkalmare können bis zu 500 Kilogramm wiegen. Doch noch furchterregender ist der Kolosskalmar, der in der Antarktis und vor Neuseeland lebt. Der wird zwar nicht ganz so groß, hat aber an seinen Tentakeln nicht nur Saugnäpfe, sondern auch große Haken. Wenn er die in seine Beute rammt, hat die verständlicherweise keine Chance mehr.

 

Titenfisch-Riese scheut die Kameras

wissen.de: Dann ist die Suche mit einem kleinen U-Boot nach Architeuthis also gar nicht so ungefährlich?

Piatkowski: Theoretisch könnte er so ein U-Boot mit seinen zehn Armen packen und in die Tiefe ziehen oder durch die Gegend schleudern, wenn er schlecht gelaunt ist. Aber das wird er nicht tun. Kalmare sind sehr scheu.

Aber dass die Forscher liebend gerne so ein Riesenexemplar vor die Linse kriegen wollen, ist verständlich. Kalmare sind clevere, charismatische und sehr beeindruckende Geschöpfe.

 

Ferngesteuerte U-Boote erkunden dunkle Tiefen

wissen.de: Die Tiefsee steckt voller faszinierender Lebewesen. Wie kann es sein, dass der Mensch sie nicht schon viel stärker erforscht hat?

Piatkowski: Heute wird die Tiefsee überwiegend mit hochentwickelten Technologien erforscht, während man früher auf den Ozean hinaus fuhr und die Tierarten untersuchte, die man selbst aus dem Meer gefischt hatte.

Die Wissenschaftler schicken heute so genannte remotely operated vehicles (ROV), also ferngesteuerte Unterwasserfahrzuge, in die Tiefsee. Das GEOMAR-ROV schafft sogar 6500 Meter. Die Kameras der ROVs senden ihre Videos und Bilder zum Schiff, wo sie digitalisiert auf Computer-Bildschirmen zeitgleich betrachtet und analysiert werden können.

wissen.de: Dann sind ja die technischen und technologischen Voraussetzungen bestens?

Piatkowski: Ja, man könnte die Tiefsee hervorragend kartographieren und die unbekannten Tierarten dokumentieren. Das ist allerdings mit einem sehr großen Aufwand und hohen Kosten verbunden.

Was staatliche Fördergelder angeht, konkurriert die Ozeanforschung mit der Nanotechnologie-, der Weltraum- und der medizinischen Forschung. Teure Tiefseeforschung leisten sich derzeit vor allem die USA und Japan, in Europa haben Deutschland, Großbritannien und Frankreich die Nase vorn.

 

Erfahren Sie mehr über den Riesenkalmar: Tiefseeforscher gehen im U-Boot auf Tintenfisch-Jagd

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