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Die Beobachtungsgeschichte des Venustransits

Dirk Soltau

1631 und1639: Erster Auftritt der Venus

Die Generalproben

Erst durch Keplers Gesetze war es möglich geworden, Venusdurchgänge vorherzuberechnen. Kepler selbst berechnete den für ihn nächsten Venusdurchgang auf den 6. Dezember 1631, aber er starb ein Jahr vorher am 15. November 1630. So wurde ihm eine Enttäuschung erspart: In Europa war es nämlich zur Zeit des Transits noch dunkel! Dies zeigte, dass die Berechnungen noch zu ungenau waren, um einen Venustransit auf die Minute genau vorherzusagen. Kepler erwartete den nächsten Durchgang erst wieder in ungefähr hundert Jahren.

Beinahe unbemerkt

Mit der Verbesserung der Berechnungen beschäftigte sich der Engländer Jeremiah Horrocks. Wenig ist über diesen genialen jungen Mann überliefert. Mit dreizehn besuchte er die Universität in Cambridge, wo sich der Sohn armer Eltern sein Studium als College Diener verdienen muss. Er studiert die Schriften des noch weitgehend unbekannten Kepler und 1639, im Alter von zwanzig Jahren, entdeckt er, dass Venusdurchgänge in Paaren auftreten. Verblüfft stellt er fest: Es sind nur noch wenige Wochen bis zum nächsten Venustransit am 4. Dezember 1639! Es bleibt keine Zeit mehr, das wissenschaftliche Establishment Europas zu informieren. In aller Eile bereitet er sein kleines Teleskop vor: Die Sonne will er auf ein Blatt Papier projizieren und dann den Durchmesser der kleinen schwarzen Venusscheibe vermessen. Außerdem benachrichtigt er William Crabtree, einen befreundeten Amateurastronomen und bittet ihn, die gleiche Beobachtung durchzuführen.

Crabtree lebt nur dreißig Meilen von Horrocks entfernt, doch werden sich die beiden nie persönlich begegnen. Der große Tag kommt, und die beiden Engländer sind die einzigen Menschen auf der Erde, die das Himmelsschauspiel beobachten. Das englische Herbstwetter meint es mit beiden gut: In Wolkenlücken beobachten sie an diesem Sonntagnachmittag, wie der kleine schwarze Kreis der Venusscheibe langsam vor der Sonne vorbeizieht. Beide erleben es als einen Triumph des menschlichen Geistes: Durch reine Mathematik hatte man ein seltenes Himmelsereignis vorhersagen können. Crabtree ist so aufgeregt, dass er das Sonnenbild mit der schwarzen Venus andächtig betrachtet, anstatt gleich mit der Zeichnung zu beginnen. Als er schließlich aus dem Staunen erwacht, ist die Sonne schon wieder hinter Wolken verschwunden. Aus dem Gedächtnis zeichnet er die Venus aufs Papier.

Horrocks ist der Professionellere von beiden. Sorgfältig dokumentiert er in Wort und Bild, was er sieht. Am Ende des Tages ahnt er, dass das Planetensystem viel größer sein muss, als Kepler es sich hat träumen lassen, denn der Winkeldurchmesser der Venus war mit 0,02° kleiner ausgefallen als erwartet. Unter der Annahme, dass die Venus die gleiche Größe wie die Erde hat, berechnet er einen Wert von 100 Millionen Kilometer für die Entfernung Erde-Sonne. Der Wert liegt zwar um 50 Millionen Kilometer vom wahren Wert entfernt, aber immerhin stimmte die Größenordnung.

Horrocks und Crabtree hätten nun zu den berühmtesten Astronomen ihrer Zeit gehören können. Horrocks war sogar dem Gravitationsgesetz auf der Spur, das Newton erst sechzig Jahre später veröffentlichen sollte. Doch Horrocks stirbt 1641 plötzlich im Alter von nur 22 Jahren. Erst 21 Jahre nach seinem Tod werden die Beobachtungen von Horrocks und Crabtree veröffentlicht.

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