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Die Deutschen reisen – Endlich Urlaub!

“Das reiselustigste Volk der Welt“

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“Die Deutschen werden reisen wie noch nie, wenn sie erst wieder satt zu essen haben,“ prophezeit 1949 Carl Degener, Reisekaufmann und Touristikpionier aus Bremen. Er behält Recht. In beiden deutschen Staaten gewinnt das Reisen trotz gegensätzlicher politischer und wirtschaftlicher Rahmenbedingungen einen hohen Stellenwert. Bereits in den fünfziger Jahren ist die Urlaubsreise für breite Bevölkerungsschichten ein fester Bestandteil im Jahresablauf. In der Bundesrepublik Deutschland übertreffen 1958 erstmals die Devisenausgaben für den Reiseverkehr die Deviseneinnahmen aus dem Tourismus. Ende der sechziger Jahre bleibt nur noch eine Minderheit im Urlaub zu Hause. “Die Deutschen sind das reiselustigste Volk der Welt,“ meint 1961 die Süddeutsche Zeitung. Trotz Konjunkturschwankungen, Arbeitslosigkeit, steigender Steuer- und Abgabenbelastung ist dieser Trend bis heute nicht gebrochen. “Die Deutschen bleiben Reiseweltmeister. Gespart wird noch nicht am, sondern nur im Urlaub,“ kommentiert 1994 der Kölner Stadt-Anzeiger anlässlich der Internationalen Tourismus-Börse (ITB) in Berlin, der weltweit größten Fachmesse für die Reisebranche.

Internationale Organisationen bestätigen die wachsende Bedeutung vor allem des grenzüberschreitenden Reiseverkehrs. Unter dem Schlagwort “Tourismus - Reisepaß zum Frieden“ proklamiert die UNO 1967 zum Internationalen Reisejahr. Die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) schließt 1975 die Schlussakte von Helsinki mit der Überzeugung: “Die teilnehmenden Staaten (sind) sich des Beitrags bewußt, den der internationale Tourismus zur Entwicklung eines gegenseitigen Verständnisses zwischen den Völkern (...) liefert.“ Die Reformbewegungen in Staaten des ehemaligen Ostblocks greifen dieses Stichwort auf. “Visafrei bis Schanghai“ lautet eine Forderung der Leipziger Montagsdemonstranten, die die friedliche Revolution in der DDR einleiten. 1989 wählt die Gesellschaft für deutsche Sprache in Wiesbaden “Reisefreiheit“ zum Wort des Jahres, weil es für viele Menschen persönliche Freiheit und Freiraum für individuelle Lebensqualität unmittelbar zum Ausdruck bringt.

“Reisefreiheit“ ist nicht allein eine politische Forderung, sondern auch Hinweis auf einen Mentalitätswandel: Die Aufwertung der Freizeit ändert soziale Normen. Spontaneität, Mobilität, Erlebnis- und Genussfähigkeit treten an die Stelle einer von Ordnung, Sparsamkeit und Selbstdisziplin geprägten Arbeitsethik.

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