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Die doppelte Königin

Kaum eine amtierende Königin dürfte so populär sein wie Elisabeth II., die 1952 als Königin proklamiert wurde und seither ein fester Begriff im Leben nicht nur zahlreicher Briten ist. Doch der Zahl in ihrem Namen wird bei Berichterstattungen meist wenig Beachtung geschenkt. Welche Verbindungen bestehen eigentlich zum Leben von Elisabeth I., die als „jungfräuliche Königin“ einem ganzen Zeitalter ihren Namen gab? Soviel ist gewiss: Die Dauer der Regentschaft ihrer Vorgängerin hat Elisabeth II. schon lange überholt.
Kai U. Jürgens

Zwei Frauen für England

Natürlich liegt es nahe, zunächst die Lebensdaten zu vergleichen, wenn man sich mit den beiden Königinnen beschäftigen will. Elisabeth I. lebte von 1533 bis 1603 und wurde 69 Jahre alt; sie war 25, als sie den Thron bestieg, den sie insgesamt vierundvierzig Jahre innehatte. Ihre spätere Nachfolgerin erblickte 1926 das Licht der Welt, bringt es also auf mehr als 85 Lebensjahre; sie wurde am 6. Februar 1952, dem Todestag ihres Vaters, als Königin proklamiert und im Folgejahr gekrönt. Elisabeth war zu diesem Zeitpunkt 27 Jahre alt; unterdessen ist sie rund sechs Jahrzehnte Oberhaupt der britischen Monarchie. Doch während Elisabeth II. und ihre Familienangehörigen im Wesentlichen zeremonielle und repräsentative Funktionen wahrnehmen, war Elisabeth. I eine „richtige“ und damit beinahe unumschränkt herrschende Königin. Die Auswirkungen ihrer Amtshandlungen haben sich sehr deutlich von denen ihrer Nachfolgerin unterschieden.

Überraschenderweise war es beiden Frauen keineswegs in die Wiege gelegt, später Königin zu werden. Albert, der Vater von Elisabeth Windsor, war nämlich nur der zweitälteste Sohn des regierenden Königs Georg V., weswegen 1936 der Erstgeborene als Eduard VIII. den Thron bestieg. Er dankte aber nach bloß zehn Monaten ab, um eine Bürgerliche heiraten zu können, und so wurde der Platz frei für Albert, der sich Georg VI. nannte und das Amt von 1936 bis 1952 innehatte. Seine älteste Tochter folgte ihm als Elisabeth II. – Dreihundert Jahre zuvor hatten sich die Ereignisse noch etwas dramatischer abgespielt. Elisabeth Tudor war zwar die Tochter von Heinrich VIII., aber ihre Mutter war Anna Boleyn, die zweite seiner insgesamt sechs Ehefrauen, die 1606 hingerichtet wurde. Da der Vater einen männlichen Erben wünschte, wurde die kleine Elisabeth von der Thronfolge ausgeschlossen und erst Jahre später mit parlamentarischem Beschluss wieder rehabilitiert. Heinrich VIII. starb 1547; es sollte aber noch bis 1558 dauern, bis Elisabeth den Thron besteigen konnte.    

 

Nach den Kriegen, zwischen den Kriegen

Elisabeth II.
shutterstock.com/Atlaspix
Der Krieg hat im Leben beider Königinnen geprägt – wenn auch auf unterschiedliche Weise. Die junge Elisabeth Windsor ließ sich während des Zweiten Weltkriegs zur Kraftfahrerin und Automechanikerin ausbilden. Das geschah 1944 im Rahmen des Heimathilfsdienstes und war so unüblich, dass Elisabeth II. bis ins 21. Jahrhundert hinein das einzige weibliche Mitglied der königlichen Familie ist, das Militärdienst geleistet hat. – Elisabeth I. hingegen war direkt in Kriege verwickelt. Zunächst beendete sie 1559 die langjährige Auseinandersetzung mit Frankreich, obwohl Calais dabei an die Gegenseite ging – diese Stadt war Englands letzte Bastion auf dem Kontinent gewesen. Doch Elisabeth I. erhielt hierfür so viel Geld, dass sie Schulden bezahlen und die Wirtschaft ihres Königsreichs fördern konnte. Erheblich besser verlief für Elisabeth I. der Konflikt mit Spanien, an dem sie nicht ganz unschuldig war, weil das englische Königshaus seit Jahren Kaperzüge wie die von Francis Drake unterstützte, der spanische Schiffe ausplünderten. Als 1588 König Philip II. plante, Britannien zu erobern und die spanische Armada auf den Weg schickte, konnte diese geschlagen werden. 

Auch wenn der Konflikt mit Spanien damit nicht beigelegt werden konnte – er wurde erst 1604 und damit nach Elisabeths Tod beendet –, war das britische Königreich unterdessen eine berüchtigte Seemacht geworden. Zwar unterhielt England noch keine Kolonien in Nordamerika, fing aber die Transportschiffe anderer Nationen ab, die kostbare Güter aus der Neuen Welt an Bord hatten. Nach dem Sieg über die spanische Armada wurde Elisabeth I. daher auf einem Gemälde mit der Hand über einem Globus dargestellt, was ihren Anspruch als Weltmacht verdeutlicht. – Elisabeth II. braucht sich diesbezüglich nicht zu verstecken. Sie ist nicht nur die Königin des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland, sondern auch Staatsoberhaupt von weiteren sechzehn Nationen; hierzu gehören etwa Australien, Kanada und Neuseeland. Auch steht Elisabeth symbolisch dem Commonwealth of Nations vor, einem lockeren Staatenbund, der sich aus dem untergegangenen British Empire entwickelt hat. Dank Indien, dem mit Abstand einwohnerstärksten Land des Commonwealth, umfasst der Bund knapp ein Drittel der Erdbevölkerung. Damit wäre wohl auch Elisabeth I. zufrieden gewesen.

 

Das Erbe der Königinnen

Elisabeth I. wird nicht grundlos die „jungfräuliche Königin“ genannt – sie blieb unverheiratet. Liebhaber dürfte sie hingeben gehabt haben, auch wenn die Chroniken respektvoll schweigen; zu Nachwuchs kam es jedoch in keinem Fall. Daher erlosch mit ihr die Herrscherlinie der britischen Adelsfamilie Tudor, die seit Heinrich VII. und damit seit 1485 angedauert hatte. Elisabeths Nachfolger wurde der schottische König Jakob VI., der sich nun Jakob I. nannte; er war lediglich der Ururenkel von Heinrich VII., was sich jedoch für die Thronfolge als ausreichend erwies. – Elisabeth II. hingegen hat geheiratet und vier Kindern, von denen Charles, der Prince of Wales, am ältesten und bekanntesten ist. Doch ob er jemals als Georg VII. das Erbe seiner Mutter antreten wird, bleibt einstweilen offen. Es spricht auch viel dafür, dass Charles zugunsten seiner Kinder verzichtet, die nun etwa in dem Alter sind, in dem die beiden Elisabeths den Thron bestiegen. Kein Wunder also, wenn das Haus Windsor ganz offensichtlich für das 21. Jahrhundert vorbereitet ist.

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