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Die Geburtsstunde der Gentechnik

Vor 50 Jahren gelang Forschern erstmals die Isolierung eines einzelnen Gens. Ihre Arbeit bedeutet damals einen Meilenstein für die Genetik: Sie weckt Hoffnungen, eines Tages zum Beispiel Erbkrankheiten heilen zu können. Doch schon damals warnen die Wissenschaftler auch vor den möglichen Risiken und ethischen Konsequenzen solcher Eingriffe ins Erbgut. Ihre Bedenken sind heute aktueller denn je - denn dank neuer Werkzeuge wie der Genschere CRISPR sind gentechnische Veränderungen so leicht möglich wie nie zuvor.
DAL, 22.11.2019

1969 gelang einer Forschergruppe um den Mikrobiologen und Genetiker Jonathan Roger Beckwith erstmals die Isolierung eines einzelnen Gens.

pixabay.com, TheDigitalArtist (Hintergrund)

1969 ist als das Jahr der ersten Mondlandung in die Geschichte eingegangen. Doch auch auf einem anderen Gebiet gelingt einem Menschen damals ein großer Schritt für die Menschheit: Die Rede ist von der Gentechnik. Am 22. November geben der US-Forscher Jonathan Beckwith und seine Kollegen bekannt, erstmals ein einzelnes Gen isoliert zu haben. Es stammt von dem Darmbakterium Escherichia coli und enthält den Bauplan für Beta-Galaktosidase - ein Enzym, mit deren Hilfe die Mikroben Milchzucker verdauen können.

Die Bilder dieses DNA-Abschnitts werden im Fachmagazin "Nature" veröffentlicht. Sie sorgen für viel Furore. Denn vor 50 Jahren wissen Wissenschaftler zwar längst, dass die DNA in jedem Zellkern steckt und die genetische Betriebsanleitung für das Leben enthält. Doch im Detail verstehen können sie diese Erbinformation noch nicht. Welche ihrer Buchstaben formen einen Sinnzusammenhang, bilden also ein Gen? Und welche Anweisungen verbergen sich in den einzelnen Abschnitten der DNA?

Erbgut-Manipulation wird denkbar

Den Antworten auf diese Fragen scheint die Wissenschaft dank Beckwiths Errungenschaft einen guten Schritt nähergekommen zu sein - es ist ein Meilenstein für die Genetik und die Geburtsstunde der Gentechnik. Auf einer Pressekonferenz zeigen der Forscher und seine Kollegen nicht nur Elektronenmikroskop-Aufnahmen und beschreiben, wie sie das einzelne Gen vom Rest des Bakterienerbguts getrennt haben.

Schon damals erkennen und erläutern sie auch die möglichen Konsequenzen, die sich aus dieser Methode ergeben - im Positiven wie im Negativen. Einmal isoliert, lässt sich ein DNA-Abschnitt theoretisch auch an anderer Stelle und in andere Organismen einbauen. Eine solche Manipulation von Erbgut könnte den Weg für die Heilung genetisch bedingter Erkrankungen ebnen, aber auch Tür und Tor für ethisch fragwürdige Projekte öffnen, warnt Beckwith. Was wäre, wenn eines Tages Menschen mit neuen Eigenschaften kreiert, Designerbabys geboren würden?

Die DNA-Sequenzierung ist heute aus dem molekularbiologischen und gentechnischen Laborbetrieb nicht mehr wegzudenken.

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Heute gängige Praxis

Seit der Isolierung des bakteriellen Beta-Galaktosidase-Gens hat sich viel getan in der Gentechnik: Beckwith nutzte damals Viren, um das gewünschte Erbmaterial zu isolieren. Inzwischen werden mit ähnlichen Verfahren routinemäßig Gene in Bakterien oder Pilze eingeschleust. Die so veränderten Organismen produzieren zum Beispiel Enzyme für Waschmittel oder Medikamentenwirkstoffe wie Insulin.

Auch Pflanzen und Tiere werden immer wieder genetisch verändert. Die Agrarforschung will Nutzpflanzen mithilfe solcher Eingriffe widerstandsfähiger und fit für den Klimawandel machen. In der Medizinforschung schleusen Wissenschaftler etwa Mäusen, Ratten oder Affen menschliche DNA-Abschnitte ein, um an ihnen Krankheiten zu erforschen. Dank genomweiter Analysen sind heute für viele Leiden und sogar für gewisse Charakterzüge genetische Einflussfaktoren bekannt.

Auch Pflanzen und Tiere werden immer wieder genetisch verändert.

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Die Gene bestimmen nicht alles

Mit der Genschere CRISPR/Cas haben Forscher inzwischen sogar ein Werkzeug entwickelt, das buchstabengenaue Eingriffe in das Erbgut fast jeden Organismus so einfach macht wie nie zuvor. Dieses Verändern von Erbgut nach dem "Copy and Paste"-Prinzip weckt neue Hoffnungen, wirft aber auch neue ethisch-moralische Fragen auf.

Je mehr die Wissenschaft mit den Buchstaben des Lebens experimentiert, desto stärker muss sie Rechenschaft über die Folgen ihrer Forschung für die Gesellschaft ablegen. Beckwith sorgt sich in diesem Zusammenhang unter anderem um eine genetische Diskriminierung, wenn die Ergebnisse von Gentests in falsche Hände gelangen - etwa in die von Krankenversicherungen.

Auch kritisiert er den genetischen Determinismus, zu dem viele Genforscher heutzutage neigen. Denn auch wenn unsere Erbinformationen die Basis für viele unserer Eigenschaften bilden. Sie sind nicht allein dafür verantwortlich, wie unser Charakter ist, wie krank oder wie alt wir werden. Zunehmend zeichnet sich ab: Umwelteinflüsse spielen dabei ebenfalls eine entscheidende Rolle. Denn sie wirken über epigenetische Veränderungen darauf ein, wie unsere Gene abgelesen werden.

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