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Die Grundrechte in Bildern (Artikel 9 - 12)

aus der wissen.de-Redaktion

Artikel 9

 

 

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Erläuterung Lüpertz-Gemälde Artikel 9

 

Zum ersten Mal taucht in der Bilderserie eine zweite Figur auf. Rechts ist die dunkel eingefärbte Torso-Figur zu sehen, die wie im Gegenlicht vor allem als Silhouette wahrgenommen wird. Der Kahn als Attribut gehört zu ihr genauso wie Birke und Landschaft hinter ihr. Aber links sitzt eine Frau auf einer hellgelben Wiese, die sich hinter ihr bis zum Horizont mit dem licht-blauen Himmel weitet. Die weibliche Sitzende ist mit schnellen virtuosen Pinselzügen gemalt. Der Maler musste kaum Mühe aufwenden, um dieses zarte Wesen zu erschaffen. Es sieht aus wie das Bruchstück eines Reliefs; als ob es einem Tempelfries entnommen wäre. Auch die rote Draperie weist auf einen solchen Ursprung. Die Frauendarstellung bildet also einen völligen Gegensatz zu der Schattenmasse des Torsos. Es stellt sich sofort die Frage nach der Realitätsebene der verschiedenen Bildteile. Träumt der Mann mit dem Kahn sich eine Schönheit herbei? Oder ist es gerade umgekehrt, nämlich so, dass sich die Frau einen Partner wünscht? Kontakt jedenfalls gibt es zwischen den beiden noch nicht. Aber es könnte ein gemeinsames Handeln entstehen, wenn der Wille vorhanden ist. Oder ist es ganz verfehlt, die Szene überhaupt in einer Realität anzusiedeln, die durch die Landschaft und die Birke rechts zumindest gegeben zu sein scheint? Wenn es sich um eine Vision oder Halluzination handeln sollte, die der Maler durch die scheinbare Körperlosigkeit der Figuren inszeniert hat, dann könnte die Utopie einer Gemeinschaft imaginiert sein, die aus freiem Entschluss entsteht.

 

Artikel 10

 

 

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Erläuterung Lüpertz-Gemälde Artikel 10

 

Der Künstler hat das Format geteilt in rechts und links, jedoch in der Mitte die Motive verzahnt, d. h. mit Hilfe von Überschneidungen ineinandergeschoben. Die Landschaft rechts lässt an den französischen Maler Gustave Courbet denken, den Begründer des neueren Realismus in der Malerei. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts hat er seine ersten Hauptwerke geschaffen. Neben den großen Figurenbildern entstanden eindrucksvolle Landschaftsdarstellungen, darunter ist eine berühmte im Pariser Louvre zu sehen: Ein Kahn liegt am Strand, vor dem aufgewühlten Meer, über dem ein Gewitter tobt. Dieses Boot lässt Lüpertz als Zitat durch die Bilderreihe zu den Grundrechten wandern. Deutlich hat Lüpertz die dunkle Form des Boots aus dem Courbet-Bild zitiert und das Bedrohliche des Motivs betont. Umso heller erscheint die linke Bildhälfte, die einer ganz anderen Realität zuzugehören scheint. Figur, Himmel und Marmorscheibe schließen sich zu einem leuchtenden Formengebilde zusammen. Im Unterschied zu der Geschlossenheit und Hermetik des Landschaftsausschnitts rechts, dominiert hier eine Bewegung auf den Betrachter hin; er erhält eine Botschaft aus einer anderen Hemisphäre, die sich in Selbstsicherheit und Freiheit ausdrücken kann. Dies wird nicht alleine durch die Haltung des Torsos suggeriert, sondern auch durch das delikate Spiel mit den Möglichkeiten der Malerei.

 

Artikel 11

 

 

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Erläuterung Lüpertz-Gemälde Artikel 10

 

Zum ersten Mal taucht eine Siedlung in unmittelbarer Nähe von Torso und Kahn auf. Ein breiter Weg führt auf die Häuser des Dorfes zu, die gestaltet sind wie eine Variation der Grundformen von Kubus, Kegel und Quader. Dadurch, dass die Landschaft eine Offenheit ausstrahlt und die Zufälligkeit der Bebauung etwas von der sukzessiven Entstehung des Dorfes ahnen lässt, stellt sich der Eindruck ein, dass die Bewohner frei waren im Kommen und Gehen. Selbst in der kleinsten Einheit des Zusammenlebens, dem Dorf, hinterlässt die Geschichte ihre Spuren; der Maler hat ihnen einen Rhythmus gegeben und die Aufmerksamkeit gerade auf die individuelle Gestalt selbst einer zuerst unscheinbar aussehenden Siedlung gelenkt. Auch der Torso hat sich genauso wie die Landschaft in seiner Erscheinung gewandelt, denn jetzt ist deutlicher zu erkennen, dass er von einer antiken Statue abgeleitet wurde. Als Inspiration diente Lüpertz eine Statue, die von dem antiken griechischen Bildhauer Lysippos geschaffen wurde. Dieser war einer der berühmtesten des 4. Jahrhunderts, der in seinem langen Leben den Bronzeguss perfektioniert hatte und ungemein viele Werke vollenden konnte; z. B. ein berühmtes Portrait Alexanders des Großen. Lüpertz ließ sich von der Skulptur eines Faustkämpfers anregen, des Agias von Pharsalos. Die kräftige Gestaltung der Muskeln, das etwas derbe Gesicht, die gespannte Haltung der Statue des Lysippos schimmert durch die gelb-grüne Patina, die der Maler dem Körper verliehen hat. Voller Bewusstsein seiner eigenen Kraft und Bedeutung scheint der Faustkämpfer auf die nächste Herausforderung zu warten, die ihn in andere Städte und Gegenden führen wird.

 

Artikel 12

 

 

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Erläuterung Lüpertz-Gemälde Artikel 12

 

An diesem Beispiel lässt sich die Malweise von Lüpertz besonders gut studieren. Alles Landschaftliche ist mit zügigen Pinselstrichen gestaltet. Der Betrachter kann regelrecht zuschauen, wie die Masse des bläulichen Grüns sich in eine Baumgruppe verwandelt, er sieht das Feld entstehen und die dunkleren Partien, dort, wo der Schatten dargestellt werden soll. Er sieht einen anderen Farbauftrag, wenn die Marmorplatte links erscheint; denn hier wirkt noch alles wie im Fluss, so leicht und zart sind die Adern im Stein gemalt. Von Gemälde zu Gemälde wurde die Figur anders herausgearbeitet. Wie mit einer transparenten Aquarellfarbe ist der Körper angelegt, aber weiße Aussparungen schaffen die Voraussetzung für die Modellierung, die mit einigen schwarzen Andeutungen weiter ausgeführt wurde. Rechts vom Torso schwebt eine schwarze abstrakte Fläche, so dass der eine Arm des Mannes verdeckt bleibt. Dieses Element stört den Ablauf der Komposition, die sich von links nach rechts vor der Landschaft entfaltet. Zuerst könnte es so aussehen, als ob die Figur einen Schild vor ihren Körper halten würde, aber diesen Gedanken lässt man wieder fallen, da das Schwarz auf der Bildoberfläche fast rüde präsent ist. Es kommt eine weitere Beobachtung hinzu, nämlich das Band oder der Riemen, der sich von links oben nach rechts unten über den Körper legt. Deutet dies darauf hin, dass der Mann auf dem Rücken etwas trägt, etwas, was zu seiner Tätigkeit gehört wie vielleicht auch das schwarze Element rechts von ihm? Ohne dass etwas Genaues auszumachen ist, handelt es sich möglicherweise um einen Gegenstand oder ein Instrument (oder eine Waffe?), die noch nicht endgültig definiert sind. Vielleicht steht die Wahl eines Berufes unmittelbar bevor.


 

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