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Die Himmelscheibe von Nebra – Krimi und Zeitkapsel zugleich

Die vor 20 Jahren entdeckte Himmelsscheibe von Nebra ist einer der berühmtesten Funde aus Bronzezeit. Denn sie liefert einzigartige Einblicke in die Astronomie und Himmelsvorstellungen unserer Vorfahren. Doch um ein Haar wäre die Himmelsscheibe in illegalen Kanälen verschwunden. Denn ihre Fundgeschichte ist ein echter Krimi. Die Akteure: Zwei Raubgräber, einige zwielichtige Kunsthändler und Hehler sowie ein Archäologe.
NPO, 04.07.2019

Himmelsscheibe von Nebra. Die annähernd kreisrunde, geschmiedete Bronzeplatte hat einen Durchmesser von etwa 32 Zentimetern und wiegt etwa 2,3 Kilogramm.

Fund im Waldboden

Der Krimi beginnt im am 4. Juli 1999 in einem Waldstück in Sachsen-Anhalt. Zwei Männer durchstreifen ein Waldstück am Mittelberg bei Nebra und sondieren den Untergrund mit Metalldetektoren. Sie suchen nach archäologischen Funden, vor allem Waffen oder Schmuckstücke, die sie zu Geld machen können. Ihre Chancen stehen gut, denn in diesem Gebiet sind bereits rund 800 bronzezeitliche Hügelgräber bekannt.

Plötzlich piept das Gerät laut – ein Fund. Die beiden Raubgräber beginnen im Waldboden zu graben und stoßen schnell auf eine runde, etwa 30 Zentimeter große, schwärzlich verfärbte Platte. Doch diese interessiert sie zunächst wenig. Viel spannender finden sie zwei daneben liegende, mit Gold verzierte Schwerter, einige Armreifen und Beile. Die beiden Männer raffen die Fundstücke samt der beim Ausgraben leicht beschädigten Scheibe zusammen und versuchen wenig später, ihre Beute zu Geld zu machen.

Undercover-Einsatz für einen Archäologen

Von einem Kölner Hehler bekommen sie 31.000 D-Mark für den Fund – für die beiden Amateur-Raubgräber viel Geld, aber gemessen am tatsächlichen Wert der Funde viel zu wenig. Das wissen auch die zwielichtigen Händler, durch deren Hände die Fundstücke nun gehen. Keiner von ihnen aber erkennt, um was es sich bei der unscheinbaren Scheibe handelt. Stattdessen versucht einer von ihnen sogar, das verschmutzte Stück mit Stahlwolle zu reinigen. Als dann einer der Händler die Stücke auch verschiedenen Museen anbietet, werden die Behörden hellhörig.

Um die Funde zu sichern und die Hehler zu überführen, planen sie eine fernsehreife Undercover-Aktion: Harald Meller vom Landesamt für Archäologie von Sachsen-Anhalt gibt sich als interessierter Käufer aus und vereinbart im Februar 2002 ein konspiratives Treffen mit den Hehlern in einem Hotel in Basel. Doch kaum hält er die Funde in den Händen, schreitet die Schweizer Polizei ein und nimmt die Hehler, eine Museumspädagogin und einen Lehrer, fest. Die beiden Raubgräber werden 2003 ebenfalls gefasst und geben Auskunft über den genauen Fundort der Scheibe nebst Beifunden.

Fundort bei Nebra (Unstrut) in Sachsen-Anhalt.

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Medien-gbr / CC BY-SA 3.0

Ein einzigartiger Schatz der Archäologie

Schon erste Untersuchungen der rätselhaften Scheibe enthüllen Sensationelles: Denn das so unscheinbare Fundstück besteht aus Bronze und ist mit astronomischen Symbolen aus Goldblech bedeckt – einer Sonne oder einem Vollmond, einer Mondsichel, punktförmigen Sternen und am Rand goldenen Bögen. Datierungen enthüllen, dass diese "Himmelsscheibe" zwischen 3.700 und 4.100 Jahre alt ist. Die Scheibe ist damit die älteste konkrete Darstellung des Himmels – ein einzigartiger Schatz der Archäologie.

Die Gruppe der sieben kleinen Plättchen stellt vermutlich den Sternhaufen der Plejaden, die zum Sternbild Stier gehören.

NASA, ESA, AURA/Caltech

Wozu diente die Himmelsscheibe?

Doch was genau ist auf der Himmelsscheibe dargestellt? Einen ersten Hinweis gibt die auffällige Punktgruppe oberhalb von Mondsichel und Goldscheibe: Diese sieben Punkte stellen nach Ansicht der meisten Archäologen die Plejaden dar – das Siebengestirn. Ihr Aufgang markierte für viele Bronzezeitkulturen den Frühlingsbeginn und war das Signal, mit der Aussaat zu beginnen. Der Untergang dagegen galt als Zeichen für das Ende des Erntejahres.

Die Himmelsscheibe könnte ihren bronzezeitlichen Nutzern demnach als kalendarische Gedächtnisstütze gedient haben. Dabei verriet ihnen die Position des Siebengestirns in Bezug auf den goldenen Vollmond und die sichelförmige Monddarstellung an der Seite, wo die Plejaden am Himmel bei Frühlings- oder Herbstbeginn standen.

Die Mondsichel auf der Himmelsscheibe könnte aber sogar noch eine astronomische Funktion gehabt haben, wie einige Forscher vermuten. Demnach repräsentiert diese Sichel den Mond, wie er rund vier Tage nach Neumond aussieht. Diese Mondphase jedoch zeigte an, wann im Mondkalender ein Schaltmonat fällig wurde. Die Besitzer der Scheibe mussten daher nur beim Aufgang der Plejaden im Frühjahr den Mond anschauen und ihn mit seinem goldenen Ebenbild auf der Scheibe vergleichen. War er dünner, war alles gut, sah er dagegen gleich dick aus, war ein Schaltmonat fällig.

Durch Ausrichtung vom Mittelberg zum Brocken wird die Scheibe justiert. Dargestellt ist der Sonnenuntergang zur Sommersonnenwende.

Rainer Zenz / Gemeinfrei

Horizontbögen und Sonnenbarke

Einem anderen astronomischen Zweck könnten dagegen die erst später angebrachten goldenen Randbögen der Scheibe gedient haben – die Horizontbögen. Sie umspannen jeweils einen Winkel von 82 Grad - und dieser hat eine besondere Bedeutung im Sonnenlauf. Denn der Ort, an dem die Sonne bei der Sommer- und Wintersonnwende am Horizont auftaucht, liegt in Nebra genau um diesen Winkel auseinander.  Demnach könnten die Horizontbögen unseren Vorfahren geholfen haben, den Zeitpunkt dieser Wendepunkte im Sonnenjahr zu identifizieren.

Eher rätselhaft ist dagegen ein weiteres Element auf der Himmelsscheibe von Nebra: ein unter den Mondsymbolen angebrachter Goldbogen mit zwei Längsrillen. Dieses Element wurde als letztes auf der Scheibe befestigt. Archäologen vermuten, dass dies zu einer Zeit geschah, als die Himmelscheibe schon kein astronomisches Instrument mehr war, sondern eher als Kultobjekt bei Ritualen verwendet wurde. Die Form des Bogens sowie feine, kurze Kerben entlang seiner Längsseiten im Bronzehintergrund erinnern an ähnliche Darstellungen aus Ägypten. Archäologen vermuten deshalb, dass es sich hier um die Darstellung einer Sonnenbarke handeln könnte – des Schiffs, mit dem in vielen Mythologien die Sonne über den Himmel fährt.

Rätsel bleiben

Auch 20 Jahre nach ihrem Fund sind noch längst nicht alle Geheimnisse der Himmelsscheibe von Nebra gelüftet. Dieser einzigartige Schatz der Archäologie wird daher bis heute intensiv von Wissenschaftlern untersucht. Ausgestellt ist der bronzezeitliche Fund heute im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle an der Saale. Wer anschaulich erfahren möchte, welche astronomischen Funktionen sich in der Himmelsscheibe verbergen, kann das multimediale Besucherzentrum "Arche Nebra" in der Nähe des Fundorts besuchen.

Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle (l.) und "Arche Nebra" in der Nähe des Fundorts.

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