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Die Schieferdörfer Portugals

Andrea Rickert, wissen.de

A. Rickert, München

Der Weg in das Dorf Talasnal ist selbst mit einem Geländewagen beschwerlich. Er führt über eine holprige Schotterstraße durch einen dichten Wald aus Kastanien-, Eukalyptus- und Eichenbäumen. Der kleine Ort liegt in der bergigen Mitte von Portugal, weit weg vom Meer und vom Tourismus. Dort leben ganzjährig nur noch das Ehepaar Lina und Manuel. Beide sind über 80 Jahre und noch vor wenigen Jahren schien es, als ob mit dem Tod der beiden das Dorf aussterben würde.

Aber Talasnal, dessen Häuser sich übereinander an einen Berghang der Serra Lousa schmiegen, ist aus dem Dornröschenschlaf erwacht. Es ist eines von rund 25 traditionellen Schieferdörfern der Region Pinhal Interior, die zum Ankurbeln des ruralen Tourismus aufwändig restauriert und wieder mit Leben erfüllt werden. Die Orte liegen zwischen Coimbra und der spanischen Grenze.
 

A. Rickert, München

Herzhafter Bacalhau und süßer Kastanienkuchen

Jedes Wochenende kommen die Schwestern Lisele und Amelia aus Coimbra angereist. Ein einfaches Holzschild mit der Aufschrift „Ti Lina“ an ihrem Schieferhaus weist auf ihr kleines Restaurant hin. Es ist Lina gewidmet, daher der Name. Im Gastraum ist eine offene Feuerstelle, die alten Holzböden knarren beim Drüberlaufen, an den Wänden, die auch innen aus Schieferstein sind, hängen Gegenstände, die an vergangene Zeiten erinnern: Lampen, die mit Olivenöl gefüttert werden und große Küchentöpfe, die irgendwann einmal ihren Platz auf der Feuerstelle einnahmen.

In ihrer liebevoll eingerichteten Gaststube servieren die beiden zwei Hauptspeisen: „Bacalhau“ (Stockfisch) und „Chanfana“, ein junges Zicklein in Rotwein geschmort. Mittlerweile sollte man einen Tisch in diesem Lokal reservieren, denn die 20 Plätze sind meist ausgebucht. Gäste kommen aus dem Umland, um die leckere Küche zu genießen und einen kleinen Verdauungsspaziergang durch das Schieferdorf zu unternehmen.

 

A. Rickert, München

Süßes im „Lojinha do Talsasnico“

Dann streifen sie sicher auch an dem kleinen Laden „Lojinha do Talsasnico“ vorbei. Mirita, eine bodenständige Portugiesin, bietet hier ihre hausgemachten Produkte an. Sie beherrscht noch die Kunst, aus den wenigen Erträgen der Region, Köstlichkeiten zu zaubern. Ihr Enkel steht im Laden und verkauft Miritas süßes Gebäck aus Honig und Esskastanien, diverse Liköre und Marmelade aus den Früchten des Medronho (Erdbeerbaum) und Kastanienhonig. 
 

Mit dem Führer unterwegs

Wenn man den Rundgang fortsetzt, entdeckt man nur noch wenig verfallene Häuser. Inzwischen seien mindestens 70 Prozent der Häuser in Talasnal restauriert, erklärt uns Francesco, der in der Umgebung der Serra Lousa für die Agentur „Tras serrano“ Freizeitaktivitäten organisiert.

Ein kundiger Führer kann hier nicht schaden. Es gibt zwar mittlerweile schon Wanderwege und einen Wanderführer, das ist in der Gegend nicht selbstverständlich. Jahrzehntelang benötigte kein Mensch die Verbindungen zwischen den Dörfern. Die Gässchen im Ort wurden repariert, die Wege außerhalb teilweise wieder freigelegt. Die Infrastruktur wird permanent erweitert. Francesco und sein Team bieten mittlerweile auch Mountainbiking, Orientierungslauf, Rafting- und Klettertouren an, um Sportler und Aktivurlauber hierher zu locken. Er kennt die Gegend wie seine Westentasche, mit den Dorfbewohnern pflegt er einen herzlichen Kontakt. Besonders begeistert ist er von Kerstin.

 

Kerstin gestaltet „ihr“ Dorf

Die Deutsche lebt seit über 20 Jahren in Candal Village und hat schon vor dem Geldfluss durch die EU diesen Ort geprägt. Das Studium brachte sie in die Universitätsstadt Coimbra und bei einem Ausflug aufs Land entdeckte sie das alte Schieferdorf, das sie seitdem nicht mehr losgelassen hat. Kerstin zog mit ihrem Partner nach Candal Village und pflegt seitdem Haus und Garten. Die zweifache Mutter organisierte internationale Camps, um die Wege rundherum frei zugänglich zu machen. „Wenn wir gegangen wären, dann wäre wieder alles überwuchert, das Dorf komplett verfallen“, erklärt sie lachend, denn einsam ist es hier schon gibt sie zu.

 

Holzarbeiten für den Lebensunterhalt

Kerstin verdient ihren Unterhalt mit ihren handgefertigten filigranen Holzarbeiten, die sie im Sommer überall auf portugiesischen Märkten verkauft. Bei allen Schwierigkeiten, die sich in den vergangenen Jahren der Familie gestellt haben, schätzen sie die Freiheit und die Gestaltungsmöglichkeiten, die sich in Candal Village für sie geboten haben.

In regelmäßigen Abständen veranstaltet „pinus verde“ Treffen mit allen Bewohnern der Schieferdörfer, um Pläne vorzustellen, Probleme anzuhören, den Kontakt zu allen Dorfbewohnern zu halten. Die Organisation kümmert sich im Auftrag der EU und der lokalen Verwaltungen um diese lange Zeit sehr vernachlässigten Region, die nun wieder aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht.

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