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Die Schöpfer im Verborgenen

Der Berufsstand des Ghostwriters hat eine lange Tradition. Vom antiken Griechenland bis zu den literarischen Meisterwerken der Neuzeit – immer wieder haben „Geistschreiber“ im Namen Anderer Bedeutendes erschaffen. Auch heute existiert der Berufsstand weiter, unter anderem in der Wissenschaft und Politik. Ein Ausflug in die Geschichte eines faszinierenden Handwerks, das meist verborgen bleibt.

 

Das Verfassen von Texten für andere war schon in der Antike weit verbreitet.

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In der Antike finden wir den Ursprung der modernen Demokratie, des Rechtssystems und der Wissenschaft. Viel Geschriebenes, das zu jener Zeit entstand, wird heute noch in den Klassenzimmern und Hörsälen dieser Welt studiert. Dabei waren Menschen, die schreiben und lesen konnten, damals eine Seltenheit. Bei ihren Mitbürgern genossen sie höchstes Ansehen. Das zeigt sich unter anderem darin, dass selbst Sklaven und ehemalige Sklavinnen als talentierte Schreiber Wohlstand und Einfluss erlangen konnten, sofern sie entsprechend bewandert und wortgewandt waren.

Besonders gefragt waren die Dienste der Schreiber damals im Bereich Rhetorik. Ob vor Gericht oder in der Politik: Wenn es darum ging, die Mitmenschen von den eigenen Standpunkten zu überzeugen, galt es, gewinnende Reden zu schwingen. Bei den alten Griechen und Römern war es gang und gebe, in solchen Fällen Profis zu engagieren. Auch Briefe, die bei Empfängern einen bestimmten Effekt hervorrufen sollen, wurden von diesen ersten „Ghostwritern“ verfasst.

Ein bekannter Vertreter dieses Berufsstands ist , der etwa 400 Jahre vor Christus in Athen als Logograph arbeitete und Gerichtsreden schrieb. Auch der berühmte Rhetoriker Demosthenes, der als junger Mann einen brisanten Gerichtsprozess gewinnen konnte und auf diesem Ruhm eine politische Karriere aufbaute, soll sich für gut situiertes Klientel als Redenschreiber betätigt haben. Lysias, ein anderer bedeutender Rhetoriker seiner Zeit, hatte selbst eine Verteidigungsrede für Sokrates vorbereitet, die dieser jedoch letztendlich ablehnte.

Die Geburt eines Wortes

Später, als sich das Christentum und ein 1.000-jähriges Feudalsystem in Europa verbreiteten, geriet der Berufsstand der Ghostwriter keinesfalls aus der Mode. Die Literarität der Bevölkerung war mitunter noch niedriger als in der Antike, Schreiben und Lesen waren somit weiterhin gefragte Fähigkeiten. Von Konstantin dem Großen bis Kaiser Wilhelm II – die mächtigsten christlichen Kaiser setzten auf einen ganzen Stab von Redenschreibern, die häufig zugleich engste Berater waren. Und wenn man sich die Entstehungsgeschichte der Bibel genauer ansieht, stellt man fest, dass auch hier wohl so mancher geheime Autor im Namen der Evangelisten am Werk war.

In der Neuzeit treffen wir dann in der Literatur vermehrt auf Ghostwriter. So ist zum Beispiel bekannt, dass der Autor Alexandre Dumas ein ganzes Atelier mit Schreibern beschäftigte, die ihn beim Verfassen seiner Romane und Dramen tatkräftig unterstützten – zum Beispiel dürften Der Graf von Monte Christo, Die drei Musketiere und andere Klassiker überwiegend aus der Feder von Auguste Maquet geflossen sein, auch wenn Dumas den Ruhm dafür einheimste.

Geprägt wurde das Wort „Ghostwriter“ letztendlich in den 1920er-Jahren vom amerikanischen Sportagenten und Autor Walter ‚Christy‘ Walsh. 1912 verfasste er ein Interview mit der Baseballlegende Christy Mathewson, obwohl Mathewson zu diesem Zeitpunkt gar nicht im Land war. Mathewson war jedoch zutiefst zufrieden mit dem Ergebnis. So elegant, schlagkräftig und sympathisch wie in Walshs vermeintlichem Interview hätte er sich selbst wohl nicht auszudrücken vermocht. Daraufhin erhielt Walsh gut dotierte Angebote von anderen Profisportlern, um imagefördernde Texte in deren Namen zu verfassen. Rasch baute Walsh eine lukrative Agentur mit über 30 Vollzeitschreibern auf, die für hunderte Klienten arbeiteten. 1921 bezeichnete er sich und seine Mitarbeiter zum ersten Mal als „Ghostwriter“. Damit war das Wort geboren, das bis heute ‚unsichtbare‘ Autoren bezeichnet, die stets im Hintergrund bleiben.

Plagiatsaffären um abgeschriebene Arbeiten

Anfang der 2000er-Jahre tauchte das (bis dahin durchaus angesehene) Ghostwriting-Gewerbe dann in einem ganz anderen Kontext wieder auf – wenn auch zu Unrecht. Im Zusammenhang mit diversen Plagiatsaffären wurde unterstellt, dass Ghostwriter beteiligt gewesen seien. Der bekannteste dieser Fälle ist wohl der Skandal rund um die Doktorarbeit des damaligen deutschen Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg. In seiner Dissertation wurden unzählige Urheberrechtsverletzungen (sogenannte Plagiate) entdeckt, die letztlich zur Aberkennung seines akademischen Titels führten.

Zahlreiche ähnliche Skandale anderer Politiker folgten und folgen. So verloren unter anderem die FDP-Politikerin Silvana Koch-Mehrin und Veronica Saß, die Tochter von Edmund Stoiber, ihre Doktorwürde. Zuletzt musste die österreichische Arbeitsministerin Christine Aschbacher ihr Amt wegen einem Plagiatsskandal zurücklegen. Ihr wird vorgeworfen, rund ein Fünftel ihrer Doktorarbeit abgeschrieben zu haben.

Losgetreten wurden die meisten dieser Skandale von sogenannten Plagiatsjägern. Sie suchen gezielt nach betrügerischen akademischen Arbeiten, meist im Umfeld der Politik. Mittels technischer Innovationen, die erst in den letzten Jahrzehnten entwickelt wurden, können sie einen Text in Sekundenschnelle mit Millionen anderen Texten abgleichen und so falsch oder gar nicht gekennzeichnete Zitate aufdecken.

Häufig kam es im Zuge der Plagiatsskandale auch zu medialen Anschuldigungen, dass Ghostwriter bei der Entstehung der mangelhaften Arbeiten beteiligt gewesen seien. Diese Vorwürfe erwiesen sich jedoch stets als haltlos. Denn die Arbeiten von zu Guttenberg, Aschbacher und Co. wurden vor allem deswegen kritisiert, weil sie oft seitenweise nicht gekennzeichnete Zitate oder auch extrem holprige Übersetzungen aus dem Englischen, ebenfalls ohne die Originalquelle zu nennen, enthielten. Von Isokrates bis zum akademischen Geistschreiber von heute – ein Ghostwriter, der sein Handwerk versteht und ernstnimmt, würde solche Fehler niemals begehen.

Campus-Alltag und Rap-Battles

Ganz unverfänglich in der Politik verbreitet ist der Berufsstand des Ghostwriters heute noch als Redenschreiber. Als sogenannte „Spin-Doktoren“ sind solche Politberatern oft wesentlich dafür verantwortlich, wie hochrangige politische Persönlichkeiten in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Unter Promis ist es auch üblich, dass sie sich beim Verfassen der eigenen Biografie die Unterstützung professioneller Schreiber holen. Manchmal werden diese als Co-Autoren genannt – häufig bleiben sie im Hintergrund und sind somit Ghostwriter.

In noch einem gesellschaftlichen Bereich treffen wir heute immer wieder auf Ghostwriting, und zwar im Rap. Rund um den Berliner Rapper Bushido häufen sich seit Jahren Vorwürfe, er würde sich beim Verfassen seiner Texte insgeheim von Ghostwritern helfen lassen. Andere Rapper  gehen ganz offen mit diesem Thema um: So macht zum Beispiel Hip-Hop-Legende Dr. Dre kein Geheimnis daraus, dass er sich bei seinen Texten Unterstützung von Jay Z, Snoop Dog und anderen Rap-Kollegen holt.

Die häufigste Form von Ghostwriting spielt sich heute wohl im akademischen Bereich ab. Immer wieder wird bekannt, dass sich Studierende wie Dozenten beim Schreiben wissenschaftlicher Arbeiten unterstützen lassen. An so manchem Campus bewerben die Ghostwriter ihre Dienste sogar auf dem schwarzen Brett. Im Internet tummeln sich indes Agenturen, die fachkundige Ghostwriter vermitteln. Das breite Angebot allein lässt eine entsprechende Nachfrage vermuten.

Die Ghostwriting-Preise variieren dabei – wie schon in der Antike – abhängig von den Fähigkeiten und Talenten des Ghostwriters. Promovierte Experten, die in ihrem Fachbereich sehr gefragt sind und ihre Zeit und Expertise auch anderswertig einsetzen könnten, verlangen da schon mal mehrere 100 Euro pro Seite. Demgegenüber stehen sogenannte „Essay-Mühlen“, meist ansässig in Niedriglohnstaaten, die englischsprachige Texte schon ab ein paar Dollar pro Seite anbieten. Die Seriosität solcher Angebote sei in den Raum gestellt, vor allem angesichts der Tradition des Ghostwriters als hochgebildeter, hochkompetenter und hochgeschätzter Berater.

Das Berufsbild des Ghostwriters hat sich im Laufe der Geschichte immer wieder gewandelt und verändert. Letztlich hängt es auch damit zusammen, was gerade gefragt ist – von Verteidigungsreden im alten Rom über die Romane von Dumas bis zu den sorgfältig vorformulierten Antworten in einem Polit-Interview heute. Ghostwriter machen eben das, was sie am besten können: Sie teilen ihre Wortgewandtheit und ihr Wissen mit ihren Klienten – quer durch alle Epochen.

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